Dienstag, 20.06.2017 / 11:10 Uhr

Die Kölner Antiterror-Demonstration und die Folgen

Von
Gastbeitrag von Guido Schlösser

Lamya Kaddor hat bei der Organisation dieser Demo so ziemlich alles falsch gemacht, was falsch gemacht werden kann. Sie ist nun einmal eine Religions- und keine Politiklehrerin, und daher damit beschäftigt, Widersprüche zuzukleistern, statt sie zu bemerken und zu analysieren.

Das Ergebnis ist verheerend. Diejenigen in Deutschland, die den Islam für eine existentielle Bedrohung halten, fühlen sich bestätigt. Wenn schon in Köln, einer Stadt mit zigtausend Muslimen, nur wenige hundert von denen gegen den Terror demonstrieren, dann müssen die anderen Muslime diesen Terror doch einigermaßen gut oder wenigstens akzeptabel finden.

Die "Muslime in Deutschland" gibt es nicht

Politiker und Journalisten suchen seit Jahrzehnten Repräsentanten für „die Muslime in Deutschland“. „Die Muslime in Deutschland“ gibt es aber nicht. Es gibt Menschen, die aus mehrheitlich muslimischen Ländern in Deutschland eingewandert sind und deren Nachfahren, und es gibt Konvertiten, also Menschen, die sich freiwillig zum Islam bekannt haben. Von den Einwanderern und deren Nachfahren stammen die meisten aus der Türkei, einem multiethnischen und multireligiösen Land. Aleviten z.B. werden von der türkischen Regierung nicht als Muslime anerkannt, einige von ihnen fühlen sich auch nicht als Muslime. Viele Menschen, die von der Statistik als Muslime bezeichnet werden, haben mit Gott nichts oder nicht mehr viel zu tun. Viele Menschen iranischer Herkunft lehnen das schiitische Mullah-Regime im Iran ab. Ungefähr einmal im Monat entdecke ich bei meinen Erkundungen über den Nahen Osten eine Volksgruppe, von der ich noch nie zuvor etwas gehört hatte.

Für die Imame von DITIB, ATIB, Millî Görüş und Muslimbruderschaft ist die westliche Gesellschaft der Feind. Das ist nicht einmal paranoid.

Lamya Kaddor hat 2010 den Liberal-Islamischen Bund gegründet, der laut Wikipedia vier Gemeinden umfasst. Die Gemeinden treffen sich einmal monatlich samstags oder sonntags (LIB-Homepage). Zur DITIB, dem deutschen Ableger der türkischen Religionsbehörde Diyanet, gehörten 2014 laut Wikipedia 896 Gemeinden, die sicherlich über ein regeres Gemeindeleben verfügen als die Gemeinden des LIB.

Lamya Kaddor hat für die Demo den kleinsten der vier großen Moscheeverbände ins Boot geholt, den Zentralrat der Muslime mit seinem Vorsitzenden Aiman Mazyek. Genauer gesagt: nur Aiman Mazyek. Dessen Stellvertreter Mehmet Alparslan Çelebi, der im Zentralrat die türkisch-rechtsnationalistische ATIB vertritt, in deren Gemeinden ebenso wie bei der DITIB türkische Religionsbeamte predigen, hat sich nach der Demo kräftig mokiert: „Köstlich, wenn nicht Ramadan wäre, würde ich mir Popcorn machen und dem Spektakel auf meiner Couch zusehen.“

Islamverbände und ihre Mitgliedszahlen

Der Zentralrat der Muslime ist ein Lobbyverband von 22 Moscheeverbänden, die sonst nicht viel miteinander zu tun haben. Das Islamische Zentrum Hamburg steht der iranischen Regierung nah, die IGD und das Islamische Zentrum München gehören zur Muslimbruderschaft. Aiman Mazyek ist das freundliche Gesicht, hinter dem sich fundamentalistische und antisemitische Verbände verstecken.

Die Erstunterzeichnerliste zum Demonstrationsaufruf wurde also vom Zentralrat und vom LIB angeführt. Wer will sich davon aufgerufen fühlen? Liberale Muslime, die die Muslimbruderschaft verabscheuen? Oder Muslimbrüder, die liberale Muslime für Ungläubige halten? Die DITIB signalisierte Bereitschaft zur Teilnahme, wurde aber offensichtlich von Ankara zurückgepfiffen. Der von Millî Görüş dominierte Islamrat hat ebenfalls abgewunken.

Die größte sichtbare Gruppe von Muslimen in der Demo waren Vertreterinnen der Ahmadiyya-Sekte, die nicht Muhammad für den letzten Propheten hält, sondern sich seit Mirza Ghulam Ahmad (1835-1908) von aktuellen Prophetennachfolgern anführen lässt.

Die Medien-Lieblinge Lamya Kaddor und Aiman Mazyek haben offensichtlich mit den Muslimen in Deutschland nicht viel zu tun.

Vielleicht sollte man lieber ein Auge auf den deutschen Konvertiten Pierre Vogel werfen, der schon vor Jahren Lamya Kaddor per Mobiltelefon zu einem öffentlichen Disput aufgefordert hat, wie sie selbst 2014 in einer öffentlichen Veranstaltung in Dortmund berichtet hat. Pierre Vogel hat 270.000 Facebook-Follower. Oder einen Blick werfen auf „Generation Islam“ mit 54.000 Followern und „Osmanische Generation“ mit 64.000.

Seyran Ateş’ Moscheegründung in Berlin fand Medienresonanz von Washington bis Algier. Ob dieser kirchentagskompatible Islam, wie ihn auch Mouhanad Khorchide vertritt, zu einem neuen Aufbruch führen kann, ist äußerst fraglich. Koran und Prophetenbiographie sind nicht die Bergpredigt und die Evangelien.

Islam als totalitäre Ideologie?

Der Islam, wenn er zur identitären und totalitären Ideologie reduziert wird, ist absolut verdammenswert. Ist diese Reduzierung gerecht? Gedanken, die heute der europäischen Aufklärung zugeordnet werden, wurden auch schon in Bagdad vor dem Mongolensturm 1258 gedacht. Es gab dort harsche Religionskritik. Diese Gedanken haben aber mit dem Islam wenig bis nichts zu tun. Ebensowenig wie Kants Gedanken über die Vernunft mit dem Christentum.

Humanisten müssen sich klar gegen identitäre Zuschreibungen aussprechen. Einen Menschen per Geburt oder magischem Akt zum Hindu, Juden, Christen oder Muslim zu erklären, ist gegen die Vernunft. Wer sich irgendwann in seinem Leben zu hinduistischen Göttern, dem Judentum, dem Christentum oder dem Islam bekennen will, kann das gerne tun. Aber dafür muss er oder sie wissen, worum es geht.

Identitäre Zuschreibungen spalten die Gesellschaft. Atheisten werden gegenüber Gottgläubigen als Menschen ohne Moral vorgestellt, während Gottgläubige wie z.B. Erdoğan sich von jeder Moral befreit haben. Auch Muhammad, wie er in den Überlieferungen dargestellt wird, war ein Mensch, der sich am Ende seines Lebens von jeder Moral befreit hat.

Menschen sind soziale Wesen. Sie fressen sich nicht deswegen nicht gegenseitig auf, weil sie an einen Gott glauben, der ihnen das verboten hat. Gottgläubige haben diese Vorstellung entwickelt, aber diese Vorstellung ist völlig überflüssig.

Märchenbücher und heilige Schriften

Der Islam als Kultur ist ein reichhaltiges Menschheitserbe, das im Westen erst noch entdeckt werden muss. Fundamentalisten in der muslimischen Welt wollen diese Kultur vernichten zugunsten einer primitiven Kriegerkultur, die angeblich der Realität des frühen 7. Jahrhunderts im Hedschaz nacheifert. Diese Realität hat es aber nie gegeben.

Eine aufgeklärte Gesellschaft kann es nur geben, wenn sie sich der historischen Wissenschaft schonungslos ausliefert, wobei es sich dabei um einen dialektischen Prozess handelt. Eine heutige Gesellschaft kann sich nicht auf Mythologie gründen.

Identitäre Ideologien funktionieren über Feindbilder. Ein Stamm, ein Volk oder eine Religionsgemeinschaft fühlt sich bedroht, entweder vom äußeren oder vom inneren Feind, im Normalfall von beidem.

Für die Imame von DITIB, ATIB, Millî Görüş und Muslimbruderschaft ist die westliche Gesellschaft der Feind. Das ist nicht einmal paranoid. Eine Gesellschaft, die Märchenbücher als Märchenbücher bezeichnet und nicht als heilige Schriften, ist gefährlich für Religionsgemeinschaften, die absolut wissenschaftsfeindlich sind. Von diesen Religionsgemeinschaften kann keine westliche Gesellschaft Integrationsbereitschaft erwarten.

Lamya Kaddor repräsentiert eine Art von Islam, von dem sich nicht nur die Talkshow-Redakteure wünschen, er sei repräsentativ für den Islam in Deutschland. Dafür, dass er es ist, hat jedenfalls die Demo in Köln nicht das geringste Anzeichen gegeben.