Oligarchen machen Druck

In Rußland rücken Präsident, Regierung und Unternehmer näher zusammen

Rußlands Tycoons sind immer wieder für eine Überraschung gut. So wandten sich die Chefs von zehn großen russischen Unternehmen vor knapp zwei Wochen in einer gemeinsamen Erklärung an die Öffentlichkeit. Der Regierung wurde darin Unterstützung bei "schmerzhaften, aber unumgänglichen Maßnahmen" zur "Gesundung der russischen Wirtschaft" zugesagt. Fast der gleiche Kreis von Unternehmern hatte sich nur wenige Tage zuvor bei einem Treffen mit Boris Jelzin - frei von der Leber weg - über die russische Finanz- und Wirtschaftskrise beraten. Unisono wurde nach dem Treffen die große Einmütigkeit aller Beteiligten betont, auch über den Schritt, der als wichtigster zur Lösung der Budgetkrise angesehen wurde: die Anhebung des Produktionsniveaus.

"Nicht alles wird in Geld gemessen", versuchte ein Regierungssprecher Fragen nach konkreten Ergebnissen auszuweichen. Und kryptisch-ironisch wurde weiter ausgeführt, daß sehr wichtig hingegen die "intellektuelle Hilfe bei der Suche nach Schritten, um aus der Situation herauszukommen", gewesen sei. Schließlich seien die Teilnehmer des Treffens in diesem Bereich sehr großzügig gewesen.

Zum ersten Mal seit den Präsidentschaftswahlen 1996 scharen sich russische Unternehmer um Boris Jelzin. Unterstützten die Tycoons 1996 Jelzin mit Finanzhilfen und Medienkampagnen - und trugen so dazu bei, daß der Präsident seine anfänglich schlechten Umfrageergebnisse verbesserte und über den KP-Kandidaten Sjuganow siegte - liegt der Anlaß für das jetzige Treffen in der nach wie vor schwierigen Finanzsituation Rußlands begründet. Zwar konnten in den vergangenen Wochen ein Börsenkollaps und die Abwertung des Rubels vermieden werden, doch ist die Krise keineswegs überwunden. Regierung und Unternehmer säßen daher zur Zeit "in einem Boot", schrieb die Tageszeitung Iswestija kürzlich.

Einen weiteren Grund für das neuerliche Gespräch sah Iswestija vor knapp zwei Wochen in den zu privatisierenden Staatsbetrieben: "Es beginnt ein neuer Kampf um die Verteilung des Eigentums, und die Nähe zur Regierung in dieser Zeit schadet nicht." Und weiter: "Die Perspektive der sozialen Katastrophe, welche mit den Bergarbeiterstreiks erkennbar wurde, war nicht dazu angetan, die Seele der Unternehmer zu wärmen." Unklar sei auch der Ausgang der Duma- und der Präsidentschaftswahlen in den nächsten beiden Jahren. Außerdem wachse die Zahl der Regionen, die bereit seien, mit dem föderalen Zentrum einen Konflikt zu wagen. Es drohe die Desintegration Rußlands.

Da Rußlands Unternehmer aber an einer aus ihrer Sicht stabilen Enwicklung interessiert sind, und dazu gehört ein einheitlicher Wirtschaftsraum, suchen sie den direkten Kontakt zum politischen Chef. Die Unterzeichnerliste ihrer gemeinsamen Erklärung liest sich entsprechend wie ein Who-is-who der ökonomischen Macht im Lande: Michail Fridman (Alpha-Gruppe), Anatolij Tschubais (Stromkonzern RAO JEES Rossij), Wladimir Potanin (Interros-Holding), Wagit Alekperow (Lukoil), Wladimir Gusinskij (Media-Most), Michail Chodorkowskij (Rosprom-Jukos), Witalij Malkin (Bank Rossiskij Kredit), Alexandr Smolenskij (SBS-AGRO) und Wladimir Bogdanow (Ölgesellschaft Surgutneftegas).

Alle neun Unterzeichner gehören zu den zehn einflußreichsten Bankiers und Geschäftsleuten Rußlands. Ihr Anteil an der Förderung und dem Export von Erdöl liegt bei etwa 50 Prozent, in ihren Händen befindet sich ein Drittel aller russischen Sparguthaben und die Kontrolle über die größten Finanz-Gruppen und "natürlichen Monopole" des Landes. Einzig die Unterschrift von Gasprom-Chef Rem Wjachirew, der am Kreml-Treffen teilgenommen hatte, fehlt.

Es war an Boris Jelzin, auf die wegen ihres Einflusses in Rußland Oligarchen genannten Bankiers und Geschäftsleute sanften Druck auszuüben. Diese sollten, so seine Erklärung nach dem Kreml-Treffen, nun aber auch etwas dafür tun, daß einheimische Finanziers in Rußland investieren. Dann werde auch das ausländische Kapital nach Rußland kommen und investieren.

Jelzin spielte darauf an, daß für ein Aktienpaket des großen russischen Ölunternehmens Rosneft bisher kein Käufer gefunden wurde. Die Regierung ist dadurch in Bedrängnis geraten, denn das aus dem Verkauf erhoffte Geld ist im Staatsbudget bereits fest eingeplant. Das Rosneft-Paket war zunächst für 2,1 Milliarden Dollar angeboten worden, mittlerweile wäre Regierungschef Sergej Kirijenko froh, wenn die Aktien für 1,6 Milliarden Dollar weggehen würden.

Doch Jelzins Forderung nach mehr Investitionsbereitschaft wurde von seinen Gesprächspartnern mit der Gegenforderung an die Regierung nach "günstigen Bedingungen für effektive Unternehmen" gekontert: Unternehmen und Bürger müßten zuerst von der Steuerlast befreit werden, wobei der Druck auf Steuerschuldner gleichzeitig erhöht werden soll (wie ernst das gemeint ist, wird sich zeigen, wenn auch die Unterzeichner ihre Steuern zahlen müssen).

Als weitere zentrale Forderung ist in der Oligarchen-Erklärung die rasche Auflösung nichtrentabler Unternehmen aufgeführt. Die Beschäftigten dieser Unternehmen versucht man indes zu beruhigen: "Dieser Prozeß kann schmerzhaft sein. Aber der Bankrott oder die Umprofilierung eines Unternehmens bedeutet keineswegs, daß die Menschen ihre Arbeit verlieren. Der Wiederaufbau einer effektiven Leitung in jedem Unternehmen, jeder Firma - ist der einzige Ausweg aus dem Teufelskreis aus Nichtzahlung und den Lohnschulden."

Bewußt verschwiegen wird dabei, daß die weitere Anpassung Rußlands an den Weltmarkt neue Massenentlassungen mit sich bringen wird. Auch soll dem russischen Spezifikum einer Arbeitslosigkeit mit Arbeit, aber ohne Arbeitslosengeld - nichts anderes ist die Praxis, keinen Lohn für geleistete Arbeit zu zahlen - lediglich mit einer bewährten Methode begegnet werden: Unternehmen und Staat setzen darauf, in patriarchaler Manier ihre Untertanen auf Entscheidungen von oben warten zu lassen.

Aber auch von außen wird dringend Hilfe erwartet: Schon beim Treffen mit den Oligarchen fragte Jelzin seinen Sondergesandten Anatolij Tschubais, ob dessen Telefonate mit Bill Clinton weitergeholfen hätten. Und Tschubais nickte brav. Russische Medien sahen dies als Bestätigung der Vermutung, daß Tschubais sich in den USA für einen Sonderkredit eingesetzt hatte.

Der Ex-Vizepremier und Chef des größten russischen Stromkonzerns war vor knapp drei Wochen nach Washington geflogen, wo er sich mit US-Finanzminister Robert Rubin, dem Präsidenten der Weltbank, James Wulfenson, sowie dem stellvertretenden Direktor des Internationalen Währungsfonds, Stanley Fischer, getroffen hatte. Doch Tschubais' Reise war - zumindest offiziell - vergeblich. Die G7-Staaten konnten sich zu keiner außergewöhnlichen Finanzhilfe für Rußland durchringen - Asien hat Vorrang. Zumindest vor den russischen Bergarbeitern, die seit fast zwei Wochen in Moskau den Rücktritt von Präsident und Regierung fordern.