Projekt Absolute Mehrheit

»Auch ein bißchen subversiv«

Sie sind aus den Studentenprotesten Ende letzten Jahres hervorgegangen, um die FDP zu unterwandern und sie zur Studentenpartei zu machen. Dann, so war die Überlegung, ließe sich die Koalitionsfrage stellen und damit die Regierung kippen. Insbesondere in Berlin und Köln fand das Projekt Absolute Mehrheit (PAM) beitrittswillige Kommilitonen. Über 600 Neueintritte konnten die Hauptstadtliberalen bisher verzeichnen. Und als Mitglieder fahren die Studenten auch zu den Parteitagen, um sich mit "ihrer" Partei vertraut zu machen - wie am vergangenen Wochenende in Leipzig: Dort fanden sich unter anderen Tobias Döppe, Florian Kölln und Stefan Lamprecht aus Berlin sowie Joachim Hoeps und David Irnich aus Köln ein.

FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle zeigt sich von Ihrer Initiative, Studenten für die FDP zu gewinnen, ganz begeistert. Die jüngste Beitrittswelle mache Mut, hat er geäußert.

Stefan Lamprecht: Ist Westerwelle denn wirklich begeistert, bloß weil er das sagt? Das ist gar nicht wesentlich, ob dieser Mann begeistert ist oder nicht. Wichtiger ist, daß wir den Mann für unsere Ziele begeistern.

Sie denken wirklich, daß sich Herr Westerwelle für Ihre Ziele begeistern könnte?

Lamprecht: Gefallen hat mir beispielsweise, daß Westerwelle in seiner Parteitagsrede von der Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Paare gesprochen hat und dabei rot geworden ist. In diesem Punkt ist er sehr liberal gewesen. Oder seine Äußerungen zur möglichen Entkriminalisierung weicher Drogen. Er hat ein paar Positionen geäußert, die ganz anständig sind. Andererseits war viel Blabla dabei: die "bösen Grünen", die "böse SPD", aber wie er es besser machen würde, hat er nicht gesagt.

Ursprünglich war doch Ihr Ziel, die FDP zu unterwandern und zur Studentenpartei zu machen. Und nun wollen Sie innerhalb der Partei Überzeugungsarbeit leisten?

Lamprecht: Wir probieren, unsere politischen Ziele über das Instrument FDP zu realisieren. Mit welcher anderen Partei wäre das schon möglich? Mit der CDU vielleicht? Oder mit der SPD? Es gibt diverse Gründe, die für die FDP sprechen. Sie ist eine überschaubare Partei und hat trotz ihrer geringen Größe verhältnismäßig viel Einfluß. Und außerdem sind wir Liberale, also gehören wir in die FDP.

David Irnich: Wir werden in vielen Fragen innerhalb der FDP aber sicher keinen Zuspruch finden, und das ist auch gar nicht unser Ziel.

Und dennoch profitiert die Partei von der Kampagne. Sie erhält neue Mitglieder und damit auch Beiträge, die sie im Wahljahr dringend braucht. Und Sie verschaffen der FDP zusätzliche Aufmerksamkeit.

Florian Kölln: Aber wir verschaffen der Partei keine stillen Beitragszahler. In Berlin beispielsweise veranstaltet die FDP Aufnahmegespräche. Damit werden genau diese stillen Beitragszahler herausgefiltert. Für jeden Beitrag, den die Partei von unserer Seite bekommt, hat sie auch ein aufmüpfiges Parteimitglied mehr.

Joachim Hoeps: Der zusätzliche Aufwand und Ärger, den wir der Partei verursachen, sind viel höher zu bewerten als der finanzielle Nutzen, den die Parteikasse von uns hat. Und solange wir nicht aufhören, pressewirksame Aktionen zu machen und öffentlich vertreten, daß wir nur in einzelnen Punkten mit der Parteipolitik übereinstimmen, solange wird die FDP uns nicht ausnutzen können.

Die Studentenbewegung von 1968 ist durch das Konzept einer außerparlamentarischen Opposition bekannt geworden. Sie wählen den gegensätzlichen Weg: Über eine Koalitionspartei geradewegs auf die Kabinettsbank in Bonn.

Lamprecht: Die wenigsten von uns lassen sich mit den Studenten von 1968 vergleichen, meist haben wir ja damals noch nicht einmal gelebt. Aus der Geschichte läßt sich doch nur lernen, daß man aus der Geschichte nicht lernen kann.

Tobias Döppe: Grundanstoß für das Projekt Absolute Mehrheit war ein Artikel in der tageszeitung, in dem genau der Unterschied zu 1968 aufgezeigt wurde. Daß die Studentenbewegung von 1997/98 im Gegensatz zu der von damals überhaupt nicht machtbewußt war. Damals gab es auch Masseneintritte in Parteien. Es wurde versucht, konstruktiv etwas zu verändern.

Wir waren immer nur auf Demonstrationen. Aber etwas gemacht, womit man wirklich etwas erreichen kann, haben wir nicht. Im politischen System kann man eben nur über die Parteien etwas verändern.

Statt Systemkritik von unten vertreten Sie eine Veränderung von oben?

Lamprecht: Wieso von oben? Wir gehen doch von unten in die Partei hinein und probieren, in Entscheidungspositionen zu gelangen.

Döppe: Wir machen genau das, wozu Parteien da sind. Parteien haben die Aufgabe, zur Willensbildung in der Gesellschaft beizutragen. Natürlich haben wir dabei ein funktionales Verhältnis zur FDP: Wenn ich der Meinung bin, es läuft etwas falsch, dann gehe ich in eine Partei und versuche, es zu ändern.

Kölln: Die Parteien argumentieren, wir könnten das System nicht kritisieren, solange wir uns nicht selbst beteiligen. Wir machen es jetzt einfach mal. Wir gehen in die Parteien und reden mit.

Besonders außerparlamentarisch ist das nicht. Politisch verbindet Sie also gar nichts mit 1968.

Irnich: Doch, damals wurde doch auch für die Liberalisierung der Hochschulen gestritten.

Die FDP bezeichnet sich selbst als "Reformpartei". Sind Sie reformistisch?

Lamprecht: Wir sind die Reformatoren der Reformisten. Aber die Überstrapazierung des Reformbegriffs macht ihn unnötig, "Reform" ist ein Leerwort. Wir aber wollen wirklich einiges reformieren, die Hochschulen und, und, und ...

Und, und, und ...? Was fordern Sie jenseits von "Mehr Geld für Bildung"?

Döppe: PAM ist ja kein monolithischer Block. Das ein wichtiger Unterschied zu 1968, daß wir keine Führungspersonen ˆ la Rudi Dutschke haben und wollen. Bei uns hat eben jeder seine eigene Meinung. Bildungspolitik war der gemeinsame Nen-ner, auf den wir uns geeinigt haben. Und alles Weitergehende wird sich noch herauskristallisieren. In Berlin entwickeln wir zum Beispiel gerade ein Konzept für den Öffentlichen Personennahverkehr, damit dieser attraktiver wird.

Das klingt beliebig. Politische Inhalte spielen bei Ihnen keine Rolle?

Lamprecht: Hier hat jeder seinen eigenen Inhalt. Wenn sich jemand für Sportförderung interessiert, bitte. Wenn ich Hamburgerförderung besser finde, ist das auch okay. Das ist Demokratie. Die Meinung des einzelnen zählt.

Döppe: PAM versteht sich als Basis. Durch uns sollen junge Leute an die Politik herangeführt werden. Wir sind eine Gruppe, in der man sich austauschen, in der man diskutieren kann.

Was hat das mit Veränderung zu tun? Sie versuchen doch schlicht, Leute in Parteipolitik einzubinden.

Lamprecht: Parteipolitik ist doch gar nicht so schlecht.

Hoeps: Bisher ist es so, daß man von Politikern Lippenbekenntnisse hört, die nie umgesetzt werden. Aber Sinn von Demokratie ist doch, daß die Meinung des Volkes gehört wird.

Kölln: In Köln gibt es unter uns beispielsweise 30 Prozent Nichtwähler. Die meisten Wähler wählen doch heute nicht mehr ihre Lieblingspartei, sondern das kleinste Übel. Und wenn wir jetzt hingehen und wieder sagen, wir geben eine Meinung vor und die können die Leute wählen oder nicht, da können sie mitmachen oder nicht, dann machen wir natürlich genau dasselbe. Bei Parteien kommt man nach Jahren mal an einen Posten. Und bis dahin findet so eine Art Parteiengehirnwäsche statt. Und wir wollen jetzt Leute in die Politik hineinbringen, die dieser Gehirnwäsche noch nicht unterzogen wurden.

Damit das dann nachgeholt werden kann?

Lamprecht: Nein, umgekehrt: Damit die FDP Gehirnwäsche abkriegt.

Kölln: Unsere Idee ist, daß wir möglichst schnell Leute auf Posten setzen, die diese Gehirnwäsche nicht mitgemacht haben.

Die Jungen Liberalen werfen Ihnen vor, daß Sie "arrogant" sind und "große Politik" machen wollen.

Irnich: Mit vielen jungen Liberalen haben wir aber auch gemeinsame Ziele. Nicht alle sehen uns als Konkurrenz.

Kölln: Aber sie wollen die FDP nicht aufmischen, sondern liberale Politik machen. Und jetzt kommen wir als erfolgreiche Konkurrenz mit politischen Inhalten. Das ist doch etwas sehr Schlimmes in dieser Partei, wenn sich plötzlich jemand mit Inhalten durchsetzt.

Lamprecht: Wir sind eine machtpolitische Konkurrenz für die, die hier teure Anzüge durch die Gegend tragen, um irgendwann einen Posten zu ergattern.

Abgesehen von dem Drang zur Macht in der FDP. Was verbindet Sie miteinander?

Döppe: Unser Politikstil - daß die Leute einfach nicht mehr damit zufrieden sind, von Beamten und Parteien alle möglichen Versprechungen zu hören und es passiert nichts. Eine Änderung des Staatsbürgerschaftsrechtes ist im FDP-Programm schon seit acht Jahren vorgesehen und trotzdem wird es auf Regierungsebene nicht mehr umgesetzt. Das stinkt den Leuten. Wir wollen einen ehrlichen, offenen transparenten Politikstil, wo das, was wir beschließen, auch wirklich gemacht wird.

In zehn oder 20 Jahren sitzen Sie dann alle auf einem Ministersessel?

Kölln: Unsere Aktion soll die Parteienlandschaft erneuern helfen. Vor etwa zwanzig Jahren wurden die Grünen gegründet, die heute voll etabliert sind. Und in zehn Jahren oder so wird dann wieder eine neue Gruppe kommen, die muß uns dann vielleicht auch in den Arsch treten.

Irnich: Etwas Anarchie ist bei uns auch dabei, das soll ja auch ein bißchen subversiv sein.

Was ist das Subversive an Ihrem Parteibeitritt?

Irnich: Daß Leute mit Meinungen konfrontiert werden, auf die sie keinen Bock haben. Wenn wir Mitglieder sind, wissen die nicht, wie sie damit umgehen sollen

Westerwelle weiß das sehr wohl: Er freut sich, daß Sie sich nicht "für irgendeine Kaffeeplantage in Nicaragua", sondern für Ihre Bildung engagieren.

Irnich: Ich finde Kaffeeplantagen in Nicaragua klasse. Das ist auch eine Forderung, die wir vielleicht auf dem Parteitag in Köln einbringen werden.