Fanny Müller

Klassik-Hitparade

Am letzten Sonntagabend brüllte der Dreijährige von unten so infernalisch - später erfuhr ich, daß er nicht ins Bett wollte, und wenn ja, dann nur mit seinen dreckigen Turnschuhen - , daß ich schnell das Radio einschaltete, um nicht wahnsinnig zu werden.

Das war keine gute Idee. Ich hatte das Klassik- Radio erwischt (wußten Sie schon, daß auch Beethoven Kuschelmusik komponiert hat?) - da gab's gerade die Klassik-Hitparade. Die Titel zehn bis acht waren schon abgehakt, als ich anfing zuzuhören. Jetzt war J.S. Bach dran. Johann Sebastian (Basti) Bach ist ja "immer noch gut dabei", nämlich mit dem 3. Brandenburgischen Konzert auf sage und schreibe Platz Nr. sieben. Während Schorse Händel stark abgefallen ist, aber dafür stehen dann auf Platz Nr. drei "und damit wieder gut erholt - Bronze! - die drei Tenöre, die auch in diesem Jahr die Stadien wieder unsicher machen" mit dem "Evergreen", also dem Trinklied aus "La Triviata" (kleiner Scherz von mir). Und, nach mehreren Wochen auf Platz eins, jetzt auf Platz Nummer zwo "der Klassiker pah exzellangs" Wolfgang Amadeus Mozart. Wow! Auf Platz eins dann der "absolute Klassik-Radio-Hot-Tip-Titel 'Nearer My God to Thee'" (von einem Lower Masons oder so, kenn' ich nicht, und der Name wurde auch nicht buchstabiert).

Am Ende der Sendung kam dann die Neuvorstellung für heute, der Pianist Murray Perahia, "der gerade bei Sony seine neue CD eingespielt hat" und "seit langem auf den Konzertpodien zugegen und immer noch ein hervorragender Pianist ist". Das gibt es nicht! Immer noch! Spielt schon länger als fünf Jahre Klavier und ist immer noch zugegen! Womöglich ist er auch schon über Dreißig! Der Sprecher hat früher wahrscheinlich Fußball moderiert. Für Eintagsfliegen.

Danach gab es dann ein Wunschkonzert, da konnten die Leute anrufen und auch Grüße bestellen. "Ich hör' so gerne Ihre Musik, weil ich so unmusikalisch begabt bin."

Zum Schluß durfte man noch "Sound of Silence" lauschen, der "ultimativen Musik zum Atemholen". Und "für meine liebe Frau die Morgenstimmung aus Peter Günt von Eduard Krieg". Klassik-Radio. Egal übrigens, zu welcher Stunde man auch immer diesen Sender einschaltet - als erste, spätestens aber als zweite Darbietung erklingt die "Fantaisie impromptu" As-Dur von Chopin.

Das ist dieses Stück, von dem die Leute im Konzert hinterher sagen: "Hast du das gesehen! Wie schnell der seine Finger bewegt hat! Und nicht ein-mal verspielt - Wahnsinn!" Tja, dann doch lieber ultimativ mit Turnschuhen ins Bett.