One World, No Future

Berlins Innensenator zeigt mit einer Massenabschiebung, daß die unfreiwillige Rückkehr Vorrang hat

Zur Love-Parade gaben sich Berliner Beamte des Bundesgrenzschutzes (BGS) äußerst freundlich: Der Bundesadler wurde für einen Tag durch ein Raver-gerechtes Herzchen ersetzt. Herzhaft zugreifen aber kann der BGS auch am Tag der Love-Parade. Zu spüren bekam das etwa die 14jährige Elena N. Sie wurde am vergangenen Sonnabend vom Flughafen Berlin-Schönefeld nach Bukarest abgeschoben.

Das Berliner Verwaltungsgericht hatte am 12. Juni die "Rückführung" der Rumänin beschlossen, die gut ein Jahr zuvor alleine nach Berlin gekommen war. Für Christina Clemm, ihre Rechtsanwältin, war die Abschiebung "komplett rechtswidrig", schließlich sei ihre Mandantin durch die Härtefallkommission von Pax-Christi anerkannt worden.

Nach einer internen Verordnung der Senatsverwaltung für Inneres hätte die Umsetzung des Gerichtsbeschlusses daher bis zu einer Überprüfung ausgesetzt werden müssen. Auch sei eine "kindgerechte Abschiebung" gemäß Kinderschutzkonvention nicht gewährleistet gewesen, da die 14jährige in Bukarest gar keine Bleibe habe.

Angeblich solle sich die deutsche Botschaft in der rumänischen Hauptstadt des Mädchens annehmen, erklärte Clemm der Jungle World, "aber ich habe dort angerufen und die fühlen sich nicht zuständig, denn Elena ist ja keine Deutsche".

Der herzliche BGS wollte sich seine Parade-Stimmung durch die Kritik der Anwältin aber nicht verderben lassen. Die Beamten am Flughafen Schönefeld lehnten eine Stellungnahme ab. Pressesprecher Weidemann sagte gegenüber Jungle World: "Ich habe hier gerade eine Großveranstaltung mit einer Million Teilnehmern." Den BGS habe der Fall außerdem nicht weiter zu interessieren, er sei schließlich nur Exekutivorgan.

Für Clemm steht dagegen fest, daß "in Berlin gerade soviel wie möglich abgeschoben wird". In den beiden Tagen vor der Love-Parade hatte die Berliner Senatsverwaltung für Inneres sich bereits durch eine rigide "Schubaktion" ausgezeichnet. 74 Kriegsflüchtlinge aus Bosnien waren am Donnerstag und Freitag der vergangenen Woche von Schönefeld nach Sarajevo gebracht worden. Dafür hatte der Senat eigens eine Maschine der Air Bosnia gechartert - in Berlin eine Premiere.

Bei der groß angelegten Polizeiaktion sollen die Beamten nach Angaben von Flüchtlingsgruppen besonders rücksichtlos vorgegangen sein. Die "Schüblinge" seien aus dem Schlaf gerissen und dann - teilweise noch im Schlafanzug - in Handschellen abgeführt worden. Gelegenheit, ihre Sachen zu packen, hätten die Kriegsflüchtlinge nicht bekommen. Vorsichtshalber waren aus den zuvor abgeriegelten und umstellten Flüchtlingsheimen und Wohnungen alle Menschen erst einmal festgenommen worden, die eifrigen Abschieber aber mußten einen Teil von ihnen wieder freilassen, da sie ein Asylanerkennungsverfahren beantragt oder gegen ihre Ausweisung Rechtsmittel eingelegt hatten.

Der zuständige Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) zeigte sich sehr zufrieden mit der Arbeit seiner Exekutivkräfte. Für ihn war die Aktion ein "Signal", die Kriegsflüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien endlich zur freiwilligen Rückkehr zu bewegen. Schließlich würden die bosnischen Flüchtlinge "in ihrer Heimat" gebraucht. Für die Berliner Innenbehörde habe das Programm "Freiwillige Ausreise" jedoch weiterhin Vorrang. Allerdings nur, wenn die Flüchtlinge schnell genug sind.

Denn unter den in der vergangenen Woche Abgeschobenen befanden sich auch Bosnier, die zuvor bereits das Programm des Berliner Senats zur freiwilligen Rückkehr unterzeichnet hatten.

Kaum hatte die Berliner Abschiebebehörde mit ihrer überraschenden Nachtaktion für Aufmerksamkeit gesorgt, legte die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) nach: Aus Mitteln der Europäischen Union will sie Gelder locker machen, um Flüchtlinge zur Ausreise zu "motivieren" - mit dem Schreckgespenst einer Schönbohmschen Massenabschiebung im Hintergrund.

Re ç et Ö. kann das allerdings nicht schocken. Der im Berliner Abschiebegefängnis Grünau seit dem 15. Juni hungerstreikende Kurde wolle "lieber hier sterben als in der Türkei", wo er mit einem Haftbefehl wegen PKK-Mitgliedschaft gesucht wird. Nach zuverlässigen Quellen wird er auf jeden Fall bleibende Gesundheitsschäden davontragen, zumal er seitens der Gefängnisleitung nur unzureichend gesundheitlich betreut werde.

Ö. ist der letzte von ursprünglich elf Hungerstreikenden in Grünau, zu denen auch der 22jährige Murat G. gehörte.

G. wurde jedoch mit Turkish Air nach Istanbul abgeschoben - am Tag der Love-Parade.