Am Fuß des Sofas

Schlimmer als die "Drombuschs", geht das? Die "Ohnsorgs" beweisen es

Was innerhalb einer Familie zu höchster Aufregung führt, interessiert in der Regel ein Haus weiter schon niemanden mehr so richtig. Denn Familienskandale und -aufregungen bestehen meistens darin, daß Tante X. zu Onkel Y. irgend etwas Ungeheuerliches gesagt hat, Cousine Z. Oma F. nicht leiden kann und ihr deswegen niemals Postkarten aus dem Urlaub schickt oder die Kinder von Schwägerin H. völlig verzogen sind und sich nicht benehmen können - das ist alles sehr schrecklich.

Von der wahren Verwandten-Hölle war in deutschen Familienserien jahrzehntelang kaum etwas zu sehen. In den frühen Fernsehserien wie "Die Hesselbachs" oder "Forellenhof" wurde die Familie grundsätzlich als heiles Kollektiv dargestellt, als Keimzelle des Staates, die gegen die Außenwelt mit ihren bösen Einflüssen immer zusammenhielt und sich selbst genügte.

Erst Anfang der siebziger Jahre traute man sich, Familien so darzustellen wie sie wirklich sind - ein Anfang wurde mit den "Unverbesserlichen" gemacht, einer Serie mit Inge Meysel und Joseph Offenbach. Die Mitglieder der Berliner Familie Scholz waren nicht besonders edel oder gut, im Gegenteil, sie nervten, machten Dummheiten, waren verbohrt und ignorant, Tochter Doris war überdies berufstätig, ein bißchen emanzipiert und ließ sich scheiden; die Oma wurde ins Altersheim abgeschoben, der Sohn wollte nicht wirklich arbeiten und die jüngere Tochter pubertierte - den "Unverbesserlichen" zuzusehen war ganz klarer Voyeurismus, und wahrscheinlich ging es in den meisten Familien so zu wie bei Scholzens.

Mit Rainer-Werner Fassbinders "Acht Stunden sind kein Tag" fanden die "Unverbesserlichen" einige Jahre später ihre logische Fortsetzung, und damit hätte eigentlich auf dem Sektor der Familienserien Ruhe herrschen können. Herrschte aber nicht, denn obwohl jeder genau weiß, wie so ein Familienleben in Wirklichkeit aussieht, produzieren die Fernsehsender unermüdlich sogenannte Familienserien - und das Publikum guckt sie weg. Unermüdlich. Alle. Dabei zeichnen sich Familien nach wie vor dadurch aus, daß sie ihre Mitglieder nie in Ruhe lassen. Fernsehfamilien tun dies noch viel weniger.

Witta Pohl wurde in der Achtziger- Jahre-Familiensendung par excellence, "Diese Drombuschs", zum Synonym für besonders penetrantes Einmischen in anderer Leute Angelegenheiten - und wurde dafür auch noch geliebt. Die "Drombuschs" erfuhren immer neue Fortsetzungen, in denen Witta Pohl als Mutter permanent damit beschäftigt war, den einzelnen Familienmitgliedern Vorträge über richtige Lebensführung zu halten. Sowie sich eine Krise abzeichnete, war Mutter Drombusch da, erteilte Ratschläge, machte Vorschriften und regelte die Leben der eigentlich erwachsenen Rest-Drombuschs mit der immergleichen Botschaft: Mutter ist deine beste Freundin, sie läßt dich nie im Stich.

Während in den USA schon lange Serien über White Trash-Familien wie "Eine schrecklich nette Familie" oder "Roseanne" für hohe Einschaltquoten sorgten (deren synchronisierte Folgen im deutschen Vorabendprogramm laufen) und die ehemalige First Lady Barbara Bush sich angesichts des Erfolges der Zeichentrickfamilie "Die Simpsons" große Sorgen um die Zukunft der Familien machte, guckte man in Deutschland lieber Serien über nette Mittelstandseltern und ihre wohlerzogenen Kinder, die alle Probleme mit Humor und Herzensbildung meisterten.

Den Gipfelpunkt der deutschen Familiensaga erreicht jedoch erst jetzt die ARD mit ihrer donnerstags um 21.45 Uhr ausgestrahlten Familienkomödie über die Ohnsorgs. Die TV-Komödie ist, wie der Name schon andeutet, die Fortführung des in den sechziger Jahren so beliebten "Ohnsorg-Theaters", dessen vom Fernsehen übertragene Aufführungen damals für Rekordeinschaltquoten sorgten, mit denselben Mitteln. "Egal, was im Stück passierte, am Schluß verlobten sich alle, heterosexuell und dem Alter entsprechend. Die Bühne stand voll. Alle verbeugten sich. Lauter Verliebte und Verlobte", bringt Michael Klaus in "Am Fuß der blauen Berge - Die Flimmerkiste der sechziger Jahre" das Konzept des Ohnsorg-Theaters auf den Punkt.

Die Hauptzutaten sind auch dreißig Jahre später unverändert. Die ohnsorg-typischen Scherze ergeben sich immer noch meistens aus dem Verhalten der Frauen, denn keifende Frauen, blonde dumme Frauen, laute Frauen, begriffsstutzige Frauen, die zu blöd sind zu merken, daß die ins andere Walkie Talkie sprechende Oma gleich neben ihnen steht, schmollende Frauen, die der Familie lang und breit vom Ärger mit ihrem Mann erzählen, um dem Kerl bei dessen Auftauchen gleich um den Hals zu fallen, sind halt ungemein lustig.

"Richard sein Geburtstag" hieß die Folge, in der es um eine von den Ohnsorgs geplante Überraschungsparty zum 50. Geburtstag von Familienoberhaupt Richard geht. Zuvor gibt es allerdings noch ein paar Probleme, die dringend gelöst werden müssen. Der Keller ist beispielsweise überschwemmt, was jedoch kein Grund ist, sich Sorgen zu machen: "Das verschwindet von allein, jetzt, wo die Heizung wieder funktioniert", erklärt einer der Ohnsorgs. Eine der Ohnsorg-Frauen, die ganz besonders dumme, bietet daraufhin an: "Ich hol meinen Fön, dann trocknet's schneller!"

Hier könnte der Witz zu Ende sein, aber wozu aufhören, wenn er sich noch ein bißchen auswalzen läßt und sich eine so herrliche Gelegenheit bietet, die Weibliche-Dummheit-Nummer noch ein bißchen auszubauen: "Ich glaub, ich krieg 'nen Fön", stöhnt der Mann, die Frau antwortet begeistert: "Na prima, dann haben wir ja zwei."

Richard hat eigentlich absolut keine Lust auf Party mit der Verwandtschaft, aber mit sowas ist eine Familie schnell fertig. So planen die Ohnsorgs mit viel verschwörerischem Augenzwinkern ein Überraschungsfest, zu dem auch alle Freunde und Bekannten eingeladen werden. Natürlich geht währenddessen allerlei schief, aber daraus ergeben sich Verwechslungen und Gelegenheiten für lustige Verwirrungen, die das durch Lacher aus der Konserve unterstützte Livepublikum zu wilder Begeisterung hinreißen.

Richards Chef, der Leiter der Obersten Finanzbehörde, ist nämlich auch eingeladen worden, was ein bißchen peinlich für den sonst immer so korrekten Richard ist, denn das überraschte Geburtstagskind ist nicht vorschriftsmäßig gekleidet, sondern trägt legeren Freizeitlook. Was soll da bloß der stets tadellos angezogene und wie aus dem Ei gepellte Vorgesetzte denken?

Aber als der Boß Vater Ohnsorg später eine handgefertigte Urkunde für die geleisteten treuen Dienste verleiht und ein Familienmitglied ruft: "Hat er den Fahrtenschwimmer doch noch endlich gemacht", brechen alle in befreiendes Gelächter aus, und das vom Chef dann noch ausführlich rezitierte selbstgemachte Gedicht über den Jubilar wird begeistert beklatscht. Auch Richard freut sich, denn natürlich wollte er eigentlich doch eine Geburtstags-Party feiern und die vorausschauende Familie hat ihn mit dem Überraschungsfest glücklich gemacht - denn eine Familie weiß immer am besten, was gut für die einzelnen Mitglieder ist.

Trotzdem ist Vater Ohnsorg natürlich auch, dem Anlaß angemessen, ein wenig melancholisch: "50 Jahre. Bergfest. Von nun ans geht bergab - mit Riesenschritten auf die Gruft zu." Es bleibt ihm aber trotz aller Wehmut durchaus noch Zeit für einige urkomische Späße, wie: "Die Haare fallen aus, das Gehör läßt nach - was haben Sie gesagt?" Oder: "Früher hab ich bis drei gezählt und bin eingeschlafen, jetzt zähl ich manchmal bis halb vier." Sprüche, die mit großer Wahrscheinlichkeit sofort ins Repertoire der zusehenden Familien aufgenommen und fortan mit konstanter Unerbittlichkeit auf jedem Fest angebracht werden.