Antreten zur Integration!

Deutsche Leitkultur: Politiker fordern Sprachprüfungen für Ausländer, in Baden-Württemberg darf eine muslimische Lehrerin kein Kopftuch tragen.

Der Chef der CSU-Landesgruppe will von Zurückhaltung nichts wissen. Die Ausländerpolitik interessiere viele Menschen, sagte Michael Glos vergangene Woche der Welt. Deshalb werde seine Partei sie auch weiterhin im Wahlkampf zum Thema machen. Und Glos wiederholte auch gleich eine der üblichen Forderungen seiner Partei: Das Nachzugsalter für Kinder von Ausländern solle von 16 auf zehn Jahre gesenkt werden. Neu allerdings ist die Begründung: "Je früher die Kinder in die Schule in Deutschland gehen, um so besser lernen sie die deutsche Sprache."

Im Rückblick wirken die Worte des Bundespräsidenten Roman Herzog vom November vergangenen Jahres, ausländische Mitbürger mögen so schnell und so gut wie möglich Deutsch lernen, wie eine letzte väterliche Ermahnung.

Im Juni dieses Jahres verband Berlins Innensenator Jörg Schönbohm einen gleichlautenden Appell mit der Androhung von Strafmaßnahmen. Ausländern, die sich weigern, Deutsch zu lernen, solle die Sozialhilfe gekürzt werden. Zugleich müsse man die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen in verschärftem Maße von Deutschkenntnissen abhängig machen. "Integration ist keine Einbahnstraße", ließ der Unionspolitiker wissen. "Diejenigen, die sich nicht integrieren wollen, müssen sich die Frage beantworten, ob sie zurückgehen wollen. Wir dürfen keine Parallel-Gesellschaften oder eine multikulturelle Gesellschaft entwickeln."

Damit gab Schönbohm den Startschuß. Ein halbes Jahr nach dem dezenten Einstieg Herzogs hatte die Politik gegen alles Fremde einen neuen Schwerpunkt: Den angeblich mangelnden Willen der hier lebenden Ausländer, sich zu integrieren im allgemeinen und die deutsche Sprache zu erlernen im besonderen.

Der Hauptstadt-Senator reiste eigens zur Klausur-Tagung der CSU ins fränkische Kloster Banz, um mit den bayerischen Verbündeten über eine weitere "wirksame Eindämmung unerwünschter Zuwanderung" zu debattieren. Unter diesem Titel wurde dann auch gleich neben der zu langsamen Abschiebung die Entstehung von Ausländerghettos beklagt und festgestellt: "Wer die deutsche Sprache auch nach mehrjährigem Aufenthalt in Deutschland nicht erlernt hat, weckt Zweifel an seiner Integrationsbereitschaft." Kurz darauf legte CSU-Generalsekretär Bernd Protzner nach: Die Erteilung eines "verfestigten Aufenthaltsstatus" müsse unmittelbar an gute Deutschkenntnisse geknüpft werden.

Fast zeitgleich mit dem ersten Vorstoß des Ex-Generals hatte der Berliner Innenexperte der Sozialdemokraten, Hans-Georg Lorenz, in der B.Z. in bestem Deutsch gefordert: "Es darf keine neuen unbefristeten Aufenthaltsgenehmigungen geben, ohne daß die Leute ihren eigenen Integrationsbeitrag leisten und nicht versuchen, aus Kreuzberg Klein-Istanbul zu machen." Im Gegensatz zu Schönbohm bezeichnete er Deutschland zwar als Einwanderungsland, war sich aber mit dem Innensenator völlig einig, was von den Einwandernden zu verlangen sei: "eine klare Entscheidung für unsere Kultur und Werteordnung".

Der Berliner SPD-Fraktionschef Klaus Böger forderte immerhin mehr Deutschkurse an den Volkshochschulen, freilich nicht als unverbindliches Angebot: "Wir erwarten dann aber auch von den Ausländern, die hier leben und arbeiten wollen, daß sie bereit sind, die deutsche Sprache zu lernen." Und der designierte SPD-Innenminister Otto Schily vertraute der Berliner Zeitung sein Verständnis von Integration an: "Sie ist auch eine Leistung, die die Zuwanderer erbringen müssen. Man muß ihnen bestimmte Selbstverständlichkeiten abverlangen. Dazu gehört, daß wer hier seinen dauerhaften Wohnsitz nimmt, die deutsche Sprache erlernt."

Die Diskussion beschränkt sich freilich nicht auf mangelnde Deutschkenntnisse. Schönbohm hat in Berlin auch Gegenden entdeckt, "die so sind, daß man sagen kann: Dort befindet man sich nicht in Deutschland". Diese "Ghettos", "wo Deutsche in der Minderheit sind", müsse man "austrocknen". Zu diesem Zweck wird in der Berliner CDU ein Zuzugsstopp für Menschen ohne deutschen Paß in bestimmte Stadtvierteln und Ausländerobergrenzen von 15 Prozent in den Siedlungen diskutiert.

All diese Maßnahmen sollen den drohenden Zerfall in Parallelgesellschaften aufhalten. Beispielhaft beschreibt Schönbohm dieses Zerfallsszenario in einem Beitrag in der Berliner Zeitung. Eine Gesellschaft beliebig nebeneinander lebender Volksgruppen "ohne allgemein anerkannte Leitkultur und Wertorientierung" untergrabe die Grundlagen der Demokratie. Bloße Verfassungstreue genüge nicht. Denn die "integrative Kraft der Verfassung" müsse "heute auf die Nation und ihre Entwicklungsgeschichte bezogen werden".

Agenten der bedrohlichen Entwicklung im eigenen Volk sind in Schöhnbohms Wahrnehmung die Linken mit ihrer Ideologie des "Multikulturalismus". Diese seien "von nationalem Selbsthaß geprägt" und glaubten "als Folge der Verbrechen des Nationalsozialismus, Verzicht auf alles Nationale predigen zu müssen". Die Multi-Kulti-Ideologen sind in seinem Bild eine Art Verräter, die im belagerten Deutschland dem Feind die Tore öffnen wollen. Multi-Kulti gerate "zur unkontrollierten Öffnung nach außen. Hier äußert sich, wenn man so will, ein nach außen gewendeter Untertanengeist."

Die angebliche Gefahr des Verschwindens der deutschen Kultur scheint der gemeinsame Nenner der momentanen Diskussion zu sein. So, wie bisher mit Begriffen wie "Asylantenflut" und der Rhetorik vom "vollen Boot" für eine Abschottungspolitik geworben wurde, werden mit diesem neuen Bedrohungsszenario jetzt die Einwanderer zur Assimilation gedrängt. Die Sprache ist dabei lediglich ein Repräsentant der deutschen Kultur. Wenn es denn sein muß, wird die deutsche Identität auch durch eine Kopftuch tragende Lehrerin bedroht.

Einen entsprechenden Beitrag lieferte vergangene Woche das Stuttgarter Oberschulamt mit der Entscheidung, Fereshta Ludin sei für den Schuldienst nicht geeignet. Die aus Afghanistan stammende deutsche Muslimin wollte weiter mit Kopftuch unterrichten. Das Tuch sei ein "Symbol für kulturelle Abgrenzung", verteidigte die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan die Entscheidung ihrer Behörde. Das Tragen des Kopftuchs werde in der innerislamischen Diskussion als politisches Symbol gewertet. Ludin sei aber als Lehrerin zur Neutralität verpflichtet und müsse auch als "Vorbild und als Repräsentantin des Staates und seiner Werte" wirken. Zu diesen Werten gehöre "an entscheidender Stelle auch die Toleranz. Wer dazu erziehen will, muß sie auch vorleben."

Die Republikaner witterten eine Chance, sich zu profilieren und forderten im Landtag ein generelles Kopftuchverbot in Schulen. Ihr Antrag wurde zwar abgelehnt, aber auch die rot-grüne Opposition stellte sich hinter die Entscheidung Schavans. Lediglich die FDP wollte sich aus Gründen der Religionsfreiheit der allgemeinen Linie nicht anschließen. Was den Christen mit dem Kreuz recht und den Juden mit der Kippa billig sei, dürfe der Muslimin mit dem Kopftuch nicht verwehrt werden, argumentierte der FDP-Abgeordnete Dieter Kleinmann.

Bei den Grünen fand sich noch eine Minderheit, die mit dem Kopftuch die "Grenze des Tolerierbaren" nicht überschritten sah. Die Mehrheit war jedoch der Meinung, daß jeder seine religiöse Überzeugung zur Diskussion stellen sollte, daß aber eine Lehrerin, die mit dem Kopftuch ihren Glauben plakatiere, gerade nicht zum Diskurs einlade, sondern auf Konfrontationskurs gehe.

Die ganze Debatte stellt redlichere Konservative allerdings vor ein Problem. Schließlich tritt man in anderen Weltgegenden zur Verteidigung "nationaler Minderheiten" an. Deutsche Minderheiten in Rußland und Polen sollen selbstverständlich ihre Sprache und "Kultur" pflegen und ausbauen dürfen, sie sollen gar mit Sonderrechten ausgestattet werden.

Konsequenterweise argumentiert Konrad Schuller in der FAZ für einen geschützten Minderheitenstatus der Türken in Deutschland. Er beruft sich dabei auf die "Rahmenkonvention des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten", die in der BRD am 1. Februar dieses Jahres in Kraft getreten ist.

Zur Umsetzung der Konvention hat Deutschland eine Definition von "nationaler Minderheit" ausgearbeitet. Danach fehlt den Kindern der Zuwanderer und Zuwanderinnen aus der Türkei zum großen Teil nur der deutsche Paß, um als nationale Minderheit zu gelten. Nach der Konvention wäre Deutschland verpflichtet, die Identität der "deutschen Türken" nicht nur zu dulden, sondern zu fördern - einschließlich ihrer Religion.

"Die Deutschen müssen sich darüber klar werden, ob sie hinnehmen möchten, daß in ihrem Land für alle absehbare Zukunft Türken siedeln werden - oder ob sie wollen, daß die neue Ethnie sich wieder auflöst", schreibt Konrad Schuller. Artenschutz oder Auflösung in der deutschen Leitkultur - das scheint die einzige Alternative zu sein, die der nationale Identitätsdiskurs den Einwanderern und Einwanderinnen offen läßt.