Das Auto war's

Trotz Satelliten-Überwachung ist die BAW im AIZ-Prozeß in Beweisnot

Wilhelm Hasheider könnte Peter Hausmann, dem früheren Sprecher der Bundesregierung, Konkurrenz machen: nichtssagend und wenig kooperativ. Kein überflüssiges Wort kommt über die Lippen des 37jährigen. Hasheider arbeitet für das Bundeskriminalamt (BKA). Er muß verhindern, daß die Öffentlichkeit zuviel Einblick in die operative Arbeit der Wiesbadener Behörde bekommt. Der Kriminalhauptkommissar gehörte zur Sonderkommission, die 1992 bis 1996 unter dem Kodenamen "Nemo" - lateinisch für "Niemand", außerdem der Name des U-Bootkapitäns in Jules Vernes "20 000 Meilen unter dem Meer" - gegen die Antiimperialistischen Zellen (AIZ) eingesetzt wurde.

Jetzt sitzt Hasheider im Prozeßbunker in der Düsseldorfer Tannenstraße, um "beredt über die technischen Observationsmaßnahmen zu schweigen", wie ein Beobachter des Verfahrens kommentierte. Seit dem 14. November vergangenen Jahres stehen dort Bernhard Falk und Michael Steinau wegen des Vorwurfs der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung", der AIZ, vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG). Den nach eigenen Worten "ersten muslimischen politischen Gefangenen deutscher Nationalität" wirft die Bundesanwaltschaft (BAW) die Beteiligung an sechs Sprengstoffanschlägen vor. Bereits Anfang 1993, kurz nach dem ersten Anschlag der AIZ auf die juristische Fakultät der Uni Hamburg, waren Falk und Steinau ins Fadenkreuz des Verfassungsschutzes (VS) geraten.

Die nordrhein-westfälische Behörde legitimierte ihr Interesse an den beiden Männern im Jahresbericht 1997 damit, daß "Taterklärungen und Positionspapiere der AIZ Übereinstimmungen mit Taterklärungen bei Anschlägen auf Shell-Tankstellen in Hamburg und Aachen im Januar 1992 aufwiesen. Täter der Shell-Anschläge waren die beiden späteren AIZ-Angeklagten."

Seitdem wurden beide vom VS mit "nachrichtendienstlichen Mitteln" beobachtet. Mit zweifelhaftem Erfolg, wie es scheint. Denn bei einer Hausdurchsuchung im Jahr 1995 bei Steinau wurde gerade einmal jener Peilsender gefunden, den die Staatsschützer zuvor in dessen Fahrzeug eingebaut hatten. Auch die Personenobservation brachte keine einträglichen Erkenntnisse. "Zielpersonen konnten durch die hiesige Observationsgruppe nicht unter Kontrolle gehalten werden", beklagt sich die in ihrem Bericht.

Im September 1995 schlug dann die Stunde des Kriminalhauptkommissars Wilhelm Hasheider, BKA-Spezialist für den Einsatz satellitengestützter Beobachtungsgeräte - eines Tüftelfreaks, dem anzumerken ist, wie ihn die Anwendungsmöglichkeiten für das Global Positioning System faszinieren. Das von der US-amerikanischen Rüstungsindustrie entwickelte System arbeitet mit einem Netz von insgesamt 24 Satelliten, die aus 24 000 Kilometer Höhe Funksignale aussenden. Auf der Erde nimmt ein Empfänger in der Größe zweier Handys die Signale auf und berechnet äußerst präzise den jeweiligen Standort.

Der "GPS-Empfänger mit nachgeschaltetem Datenspeichermedium und einer Echtzeituhr", begeistert sich Hasheider vor Gericht, ermittle im Sekundentakt Positionsdaten, die dann im "Ein-Minuten-Zyklus in den Datenspeicher geschrieben werden". Dort würden "Datum, Uhrzeit, geographische Breite und Länge sowie Geschwindigkeit" des Objekts registriert, an dem der GPS-Empfänger angebracht ist. Danach würden die Koordinatenwerte in einer elektronischen Landkarte eingetragen.

Die Fahnder waren also beinahe sekundengenau über den Standort von Falk und Steinau informiert, ohne den beiden, behördenintern ZO 1 und ZO 2 genannt, direkt auf den Fersen zu sein. Kein Observationsteam mußte sich mehr an die Stoßstange von ZO 1 und ZO 2 heften, um ein "Bewegungs- und Kontaktbild anzufertigen". Ein Beobachtungssytem, das nach Ansicht des Falk-Verteidigers Heinrich Comes "mit Orwellscher Stille und Unauffälligkeit" arbeitet. Die VerteidigerInnen der beiden Angeklagten halten den Einsatz von Satellitenbeobachtung für nicht verfassungsgemäß. Bereits zu Beginn des Prozesses hatten sie beantragt, daß die durch GPS gewonnenen Informationen nicht gerichtlich verwertet werden dürfen.

Ohne Erfolg: Für das OLG ist der GPS-Einsatz eine zulässige Fahndungsmethode. Dennoch versucht die Verteidigung in den Vernehmungen zu belegen, daß durch den Satelliten-Einsatz elementare Verfassungsrechte verletzt worden seien und der Einbau rechtlich nicht gesichert war. Hierzu aber müßten die vier AnwältInnen der Beschuldigten zunächst mehr Informationen über die satellitengestützte Überwachung bekommen und vor allem wissen, unter welchen Umständen das Empfangsgerät und die etwa zigarettenschachtelgroße Antenne in das Fahrzeug eingebaut und mit Strom versorgt wurden. Genau da mauert Hasheider: "Aus Geheimhaltungsgründen" habe er nur eine beschränkte Aussageerlaubnis erhalten.

Wurde Steinaus Auto nachts in eine Werkstatt geschleppt, um die Bastelarbeiten in Ruhe durchzuführen? Wurde er tagsüber durch getarnte Polizeimaßnahmen daran gehindert, sein Fahrzeug zu benützen? Wurde der Paketfahrer Steinau zum Schein zu einem Kunden gerufen und dort abgelenkt, während Hasheider und Kollegen die GPS-Geräte installierten? "Da darf ich aufgrund meiner Aussagegenehmigung nichts zu sagen."

Zwar ist der Bundesgerichtshof nicht zimperlich, wenn es gilt, nachrichtendienstliche Überwachungsmethoden zu legitimieren. Wenn es allerdings um die Verfügungsgewalt über Privateigentum geht, sind die Richter aus Karlsruhe pingelig und empfindlich. In einem anderen Fall wurde bereits ein Beweisverwertungsverbot beschlossen, weil ein Fahrzeug von der Polizei entführt worden war, um ungestört technische Überwachungsmittel einzubauen. An diesem Punkt setzt die Verteidigung von Steinau und Falk an - seit 56 Verhandlungstagen bisher jedoch vergeblich.

Gelänge es ihr im Fall der beiden AIZ-Angeklagten, den vorübergehenden Entzug der "Verfügungsgewalt" über den Wagen durch das BKA nachzuweisen, dann könnte die BAW ihre unzähligen Beweisakten, Computerdisketten, Bewegungsbilder und Datensammlungen einpacken, das Gericht müßte das Strafverfahren einstellen und die Angeklagten aus der Untersuchungshaft entlassen.

Das wäre für das BKA die größte anzunehmende Ermittlungspanne, die um jeden Preis verhindern werden muß. Denn nur der Arbeit Hasheiders ist es nach Ansicht der BAW zu verdanken, daß Steinau und Falk die AIZ-Mitgliedschaft nachgewiesen werden konnte und beide als Urheber der Anschläge überführt wurden. Steinaus Auto sei am 23. Dezember 1995 "für die Dauer von 30 Minuten" in der Nähe des peruanischen Generalkonsulats in der Düsseldorfer Innenstadt geparkt worden, bevor dort zwei Stunden später ein Sprengsatz explodierte - genau dort, wo die entsprechende Erklärung in den Briefkasten geworfen worden sei.

Tage vorher wurde der Wagen vor einem Dortmunder Copy-Shop registriert, in dem das Bekennerschreiben vervielfältigt worden sein soll. Eine Indizienkette, die durch die Datenfülle durchaus beeindruckt, nach Ansicht von Falks Verteidiger Comes jedoch einen eklatanten Mangel aufweist: Es gibt keinen Beleg dafür, daß Steinau oder Falk an diesem Tag das Fahrzeug überhaupt benutzt haben. Auch die drei versteckten Videokameras rund um das Haus von Falks Mutter können auf diese knifflige Frage keine beweistaugliche Antwort geben.

Eigentlich sollte der letzte und wirklich handfeste Beweis bei der Festnahme des angeblichen "AIZ-Duos" Ende Februar 1996 gefunden werden. Aber auch dieser Coup endete in einem Desaster. Die Fahnder geben an, sie hätten Steinau und Falk beobachtet, wie beide aus einem Depot Schwarzpulver für einen Sprengsatz geholt hätten. Das Sprengstofflager war schon seit geraumer Zeit vom BKA observiert worden, das darin gefundene Schwarzpulver war gegen einen harmlosen, ähnlich aussehenden Stoff ausgetauscht worden. Als die Fahnder aber Steinau und Falk am gleichen Tag auf offener Straße stoppten und festnahmen, fand sich kein Krümel des schwarzen Materials mehr im Wagen.

"Ermittlungstechnische Allmacht und beweistechnische Ohnmacht", sieht der Spiegel in dem polizeilichen Hightech-Einsatz kombiniert. Ob die Anklage mit Zitronen gehandelt hat, wird sich möglicherweise nach 30tägiger Verhandlungsunterbrechung Anfang der kommenden Woche zeigen. Bislang fehlt den Strafverfolgern auch noch der für eine Verurteilung wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" notwendige "dritte Mann": Zwei Personen sind nämlich nach geltender Rechtsprechung noch keine "Vereinigung". Sollte sich Kriminalhauptkommissar Hasheider weiterhin über den GPS-Einsatz ausschweigen, dürfte sich der Prozeß ohnehin noch bis ins nächste Jahr hinziehen. "Gespenstisch" findet Rechtsanwalt Comes die "seismographische Registrierung" seines Mandanten, die keine handfesten Beweise erbracht habe.

Für das Fahrzeug, räumt Comes ein, könnten die Beweise aber reichen: "Dann kann man ja das Auto verurteilen."