Frankfurter Jungbrunnen

Die Stadt läßt sich die Überwachung von zwei Sozialhilfeempfängern 30 000 Mark kosten

"Sozialschnorrer", "Abzocker" und "Betrüger" - so betitelten seit dem 11. Juli mehrere Zeitungen einen 50jährigen Sozialhilfeempfänger aus Frankfurt am Main. Bernd H. habe mehrere tausend Mark vom Sozialamt erschlichen, indem er sich als schwer Gehbehinderter ausgewiesen habe. Bild und Focus berichteten als erste brühwarm über den Fall und beschrieben, wie tüchtige Detektive herausgefunden hätten, mit welcher Leichtigkeit H. laufen und tanzen könne und daß er so gar nicht krank aussehe.

Diese Berichterstattung ist wohl auf eine Stellungnahme von Ralph Klinkenborg, den Referenten des zuständigen Sozialdezernenten Joachim Vandreike (SPD), zurückzuführen, der ausgewählten Medienvertretern die Schmarotzer-Theorie unterbreitete. Das Sozialamt und die Privatdetektive, die es auf den Sozialhilfeempfänger H. angesetzt hatte, kamen bei Klinkenborg natürlich recht gut weg.

Weil H. durch die Ungeschicklichkeit eines Mitarbeiters des Sozialamtes in den Besitz der Ermittlungsberichte der Detektei Matschke-KDM-Sicherheitsconsulting kam, konnte er selbst nachlesen, welchen Auftrag die Firma erhalten hatte: Mehrere Sozialhilfeempfänger - ausschließlich Ausländer und Behinderte - wurden fast rund um die Uhr bewacht. Die Detektive waren vom Sozialamt angehalten, möglichst genau die Lebensweise der Beobachteten zu erforschen. Dazu gehörte die tägliche Kontrolle des Briefkastens, Lauschen an der Wohnungstür, das Aufzeichnen von Gesprächen, Schätzungen über den Wert der Kleidung, die die Sozialhilfeempfänger trugen sowie Notizen über die Verkehrsmittel, die sie benützten. Sozialdezernent Vandreike beteuert, er sei von dieser Überwachungsaktion nicht informiert worden.

Bis zu fünf Detektive mit je einem Fahrzeug waren acht Tage rund um die Uhr im Einsatz, um H. und seine Frau zu bespitzeln. Anfang des Jahres war das Sozialamt auf den angeblichen Sozialhilfebetrüger aufmerksam geworden, da er nach Meinung der Beamten seinen Zigarettenkonsum und seine vielen Faxe an das Amt unmöglich von seiner Unterstützung bezahlen konnte. Als einzige Erklärung fiel den Amtsleuten ein verbotener Nebenverdienst ein. Das Sozialamt zog vor Gericht, die Klage wurde jedoch abgewiesen. Das wollte das Sozialamt nicht auf sich sitzen lassen: Man tat alles, um H. doch noch als Betrüger zu überführen. Die Observationen lieferten dann augenscheinlich das gewünschte Ergebnis: Der Mann kann ohne Krücken laufen! Obwohl er angibt, schwer gehbehindert zu sein. Und Frau H. ist gar nicht arbeitslos, sondern hat einen Job in einer Kneipe. Endlich hatten die Verantwortlichen einen Grund gefunden, das Paar zu kriminalisieren. Prompt strichen sie die Sozialhilfe.

Ein amtsärztliches Gutachten vom Januar dieses Jahres, welches H. eine achtzigprozentige Schwerbehinderung attestiert, fiel bei der Entscheidung, keine Sozialhilfe mehr zu bezahlen, nicht ins Gewicht. Wahrscheinlich wurde es gar nicht gelesen, denn in dem Gutachten wird H. ausdrücklich bestätigt, er könne keine Krücken verwenden, da dies bei ihm eine "beidseitige Schmerzsymptomatik" hervorrufe.

Auch bei Frau H. kamen die Ermittler zum gewünschten Ergebnis: Die arbeitet zwar tatsächlich in einer Kneipe, nach dem Sozialhilfe-Gesetz darf sie aber auch bei Unterstützung durch das Sozialamt einen geringen Nebenverdienst haben. Lediglich an zwei Tagen konnten die Detektive die Frau bei ihrem Job beobachten. Daraus wurde dann auf eine Halb- oder Vollzeitbeschäftigung geschlossen. Seit März erhält Familie H. nun kein Geld mehr vom Sozialamt. Und kann jetzt die Miete nicht mehr bezahlen. Die Räumungsklage steht nach Angaben von H. unmittelbar bevor. Um wieder Sozialhilfe zu bekommen klagt H. inzwischen vor dem Verwaltungsgerichtshof in Kassel. Das Sozialamt seinerseits erstattete Anzeige gegen H. wegen Sozialhilfebetrug.

Jeglicher gesetzlicher Grundlage entbehre die Überwachung von Sozialhilfeempfängern durch externe Ermittler, rüffelte der hessische Datenschutzbeauftragte das Sozialamt. Dieses verteidigte sich, man habe vor der Auftragsvergabe beim städtischen Rechtsamt Rat geholt. Dieses befürworte in "extremen Ausnahmefällen" das Einschalten einer Detektei. Grundsätzlich jedoch, betont Sozialreferent Klinkenborg, solle das Sozialamt auf auswärtige Hilfe verzichten. Schließlich unterstünden dem Amt 23 Ermittler; diese Kapazität genüge vollkommen. Jährlich treten nach Angaben von Klinkenborg nur bei 500 der ungefähr 45 000 Sozialhilfeempfänger Auffälligkeiten auf. Zwei Drittel dieser Personen könne dann auch tatsächlich etwas nachgewiesen werden. Das hält auch Klinkenborg für "eine vergleichsweise kleine Zahl".

Rund 30 000 Mark hat im "extremen Ausnahmefall" H. die Überwachung von nur zwei Personen gekostet. Auf die Frage, wieviel Geld insgesamt für die Bespitzelung von Sozialhilfeempfängern ausgegeben wurde, konnte auch Sozialdezernent Vandreike keinen erhellenden Hinweis liefern. Sicher ist er sich nur, daß es sich dabei um einen Einzelfall handelte.

Dieser These widerspricht ein Herr Fach von der KDM-Sicherheitsconsulting, der zwar nichts zur Rolle des eigenen Unternehmens sagen möchte, aber über andere Bundesländer plaudert. Dort seien Überwachungen von Sozialhilfeempfängern "unter anderer politischer Führung an der Tagesordnung" und niemand rege sich auf.