Modernisierung ohne Mandat

Das Verhältnis zwischen Syrien und Frankreich ist zwar kompliziert, aber besser als früher

Für Syriens Staatspräsident Hafiz el-Assad war es der erste offizielle Besuch im Ausland seit über 20 Jahren. Und wie bei seiner letzten auswärtigen Visite 1976 bereiste er von Donnerstag bis Sonnabend der vergangenen Woche Frankreich, wo er unter anderem mit Präsident Jacques Chirac, dem sozialistischen Premierminister Lionel Jospin und Außenminister Hubert Védrine zusammentraf.

Der Besuch Assads, in dessen Land seit 35 Jahren der Ausnahmezustand herrscht, rief in Teilen der französischen Presse und Öffentlichkeit allerdings Empörung hervor: Nach Angaben der Internationalen Menschenrechtsföderation sitzen über 2 000 syrische Staatsbürger und eine unbestimmte Anzahl libanesischer Gefangener in Syrien aus politischen Gründen im Gefängnis, darunter sieben prominente Journalisten. 15 verschiedene Geheimdienste, die wie rivalisierende Banden sich teilweise selbst bekämpfen, überwachen das politische Geschehen des Landes. Zwar wurden im März und im Juni insgesamt 370 politische Häftlinge entlassen, Védrine legte dem syrischen Staatschef dennoch eine Liste Gefangener vor, deren Schicksal Frankreich im Auge behalten werde.

Seitdem der "Kronprinz" des 68 Jahre alten Präsidenten, sein Sohn Bassel, im Januar 1994 bei einem Unfall ums Leben kam und Assad seinen bis dahin in London als Augenarzt tätigen zweitältesten Sohn Baschar als Nachfolger aufbaut, finden vorsichtige Modernisierungsmaßnahmen statt. So veranlaßte Baschar die Verabschiedung eines Gesetzes, nach dem Universitätsabsolventen über Informatikkenntnisse verfügen müssen. Auch private Telefax-Anschlüsse wurden zugelassen, und Syrien wagte sich zaghaft ins Internet vor. Das autoritäre Regime lockerte die Zügel, um eine Entwicklung der Ökonomie zu ermöglichen.

Frankreich hat für das Regime in Damaskus, das von der arabisch-nationalistischen und laizistischen Baath-Partei (Partei der arabischen Wiedergeburt) geführt wird, eine höhere Bedeutung als andere europäische Mächte. Das liegt an den historischen Beziehungen, die das nach dem Ende der osmanischen Herrschaft 1920 vom Völkerbund zur Mandatsmacht erklärte Frankreich mit dem Land verbinden.

Aus der Mandatszeit resultierte auch ein gespanntes Verhältnis zwischen den beiden Staaten. Mit dem Einmarsch von Assads Truppen 1976 in den Libanon, ebenfalls einst unter französischem Mandat stehend, eroberte Syrien die Vorherrschaft über den Mittelmeerstaat. Keine bedeutende politische Entscheidung in Beirut fällt ohne den "großen Bruder" Syrien, der bis heute 35 000 Soldaten im Libanon stationiert hat.

Im Libanon nahm Frankreich eine andere Stellung als im wesentlich größeren Syrien ein. Insbesondere die im konfessionell sehr heterogenen Libanon lebenden Christen, betrachten Frankreich als Vertrauens- und Schutzmacht in der muslimisch dominierten Region. Die politische und wirtschaftliche Elite des Landes orientiert sich daher traditionell an Frankreich, das bis zur syrischen Intervention über entscheidenden Einfluß verfügte.

Das syrische Eingreifen in den libanesischen Bürgerkrieg und die Invasion des Jahres 1976 belastete daher zunächst die franko-syrischen Beziehungen. 1981 wurde gar der französische Botschafter Louis Delamare ermordet - offensichtlich eine Warnung der Syrer vor französischer Einmischung in den Libanon. Mittlerweile hat sich Paris allerdings mit der syrischen Dominanz im Libanon abgefunden und versucht nur noch partiell, die dortigen Geschehnisse zu beeinflussen.

Zumindest für den Nahost-Friedensprozeß brachte der Frankreichbesuch des syrischen Präsidenten diplomatische Fortschritte. Bereits im Mai dieses Jahres hatten Chirac und sein ägyptischer Amtskollege Mubarak einen Vorschlag für eine Nahost- Friedenskonferenz unterbreitet. In einer ersten Stufe sollen demnach alle bisher als "Paten" des Verhandlungsprozesses aufgetretenen Länder zusammenkommen, um sich in einem zweiten Schritt mit den unmittelbar betroffenen Ländern der Region zusammenzusetzen. El-Assad erklärte in Paris seine vage Bereitschaft zur Teilnahme, "wenn die grundlegenden Interessen Syriens berücksichtigt werden". Allerdings wünsche sich Damaskus, daß Frankreich und die EU neben Washington eine genauso bedeutende Rolle bei der Aufsicht über den "Friedensprozeß" einnähmen. Syrien ist der einzige Nachbarstaat Israels, der bisher keinen Friedensvertrag gechlossen hat.

Die antijüdische Ausrichtung ist ein zentrales Fundament des Regimes von Assad. Auf der Suche nach einer die "arabische Nation" zusammenschweißenden Legitimationsgrundlage war die Ausgrenzung der Juden lange Zeit von zentraler Bedeutung. So wurde die jüdische Bevölkerung von Damaskus nach der Machtübernahme der Baath-Partei 1963 in ein Ghetto verbannt und terrorisiert. Dennoch ist sich Syrien der veränderten Kräfteverhältnisse nach dem Wegfall seines Verbündeten UdSSR bewußt und daher zu einem Friedensschluß bereit, wenn die Frage der israelisch besetzten Golan-Höhen geklärt werde.

Als eines der bedeutendsten Probleme zwischen Paris und Damaskus gilt die "Brunner-Affaire". Alois Brunner, die "rechte Hand" von Adolf Eichmann, war in Deutschland, im angeschlossenen Österreich, in Mazedonien, der Slowakei und zuletzt im besetzten Frankreich aktiv an der Ausführung des Mordprogramms der Nazis beteiligt; die deutsche Justiz wirft ihm vor, direkt für die Deportation von 124 000 Juden und Jüdinnen in die Vernichtungslager verantwortlich zu sein. Seit den fünfziger Jahren findet man Brunner in Damaskus wieder, wo er Berater der politischen Polizei gewesen ist. Viermal hat die französische Regierung bereits eine Auslieferung des zum Tode verurteilten Brunner gefordert, die syrischen Behörden bestreiten aber, daß Brunner sich im Land befindet.

Nach Erkenntnissen des Pariser Anwalts Serge Klarsfeld hat der Alt-Nazi zuletzt 1992 sein Domizil gewechselt und lebt nun in einer Residenz, die sich im Privatbesitz eines Anführers der Leibgarde Assads befindet.