Radio Days

Nur Kommerz auf Megahertz

Eigentlich gibt es Grund zum Feiern: Die Bedingungen für nichtkommerzielle Radiostationen sind so gut wie nie zuvor. Selbst Kleinstädte wie Schwäbisch Hall oder Freudenstadt leisten sich solche Sender. Nur in Berlin/ Brandenburg darf widerspruchslos gedudelt werden, was die Frequenz aushält. Nichtkommerzielles Radio findet allenfalls auf dem Offenen Kanal statt. Protest gegen die Verdudelung regt sich kaum. Die Grünen fragen zuweilen im Berliner Senat an, und Pi-Radio, die einzige Freie Radioinitiative der Region, veröffentlicht die Antwort dann brav auf ihrer Internetseite.

Glaubt man den Sendefreaks vom Prenzlauer Berg, dann ist die Politik schuld. "Das liegt an der rückständigen und unklaren Mediengesetzgebung, die Freie Radios nur als Kann-Bestimmung vorsieht", ist unter http://web. prenzl.net/special/piradio/ visionen.htm zu lesen. Was stimmt. Die zur Erteilung einer nichtkommerziellen Frequenz zu überwindenden Hürden sind höher als in anderen Bundesländern. Neben dem Senat unternimmt auch die Berliner Landesmedienanstalt (MAAB) einiges, um einen alternativen Sender zu verhindern. Offiziell steht sie Freien Radios nicht "prinzipiell negativ gegenüber" und hat "doch extra dafür den Offenen Kanal eingerichtet", begegnet MAAB-Sprecherin Susanne Grams allen Vorwürfen. Außerdem rechne sich Freies Radio nicht, das habe Radio 100 doch gezeigt. Ein schwaches Argument, sind doch in den letzten drei Jahren allein in Berlin mit Soft Hit Radio und News Talk zwei kommerzielle Anbieter pleite gegangen. Zweifel am Sinn kommerzieller Stationen löste das in der MAAB nicht aus.

Auch die Besetzung des Medienrates, des entscheidungstreffende Gremiums, gibt wenig Grund, auf eine progressivere Medienpolitik zu hoffen. Dabei sitzen dort ausgewiesene Medienfachleute wie Friedrich Nowottny, Frank Dahrendorf oder Ernst Benda. Doch bislang durften nur CDU und SPD Kandidaten entsenden. Grüne oder PDSler blieben außen vor. Als Bündnis 90/Die Grünen auf einer Änderung beharrten, sorgte das für einen monatelangen Streit zwischen allen Parteien.

Die Schuld für Berlins Radiowüste jedoch nur auf der politischen Ebene zu suchen, wäre zu einfach. Pi-Radio selbst macht sich das Leben unnötig schwer. Auch wenn die Initiative offiziell ein Zusammenschluß Ost- und Westberliner Gruppen ist, geht ihr Bekanntheitsgrad über die Reste der Ostberliner Hausbesetzer-Szene kaum hinaus. Zugang und somit die Unterstützung linksbürgerlicher Kreise fehlt weitgehend und wird auch wenig gesucht. Westler haben es schwer, Fuß zu fassen. In den Sendungen des Piratensenders P-Radio, den Pi-Radio lediglich unterstützt, keineswegs aber betreibt, dominieren Ost-Themen. Charlottenburg scheint, vom Prenzlauer Berg aus gesehen, weiter weg zu sein als Hoyerswerda.

Schlecht ist auch ihr Ruf beim Bundesverband Freier Radios (BFR). So mußten sie sich beim BFR-Hörfunkfestival BURN, das 1995 in Berlin stattfand, vorwerfen lassen, sie seien "kaum kooperativ, großmäulig und wenig kompetent". Tatsächlich stehen einige Pi-Leute mit Verwaltungsvorschriften auf Kriegsfuß. So mußte ein Lizenzantrag zurückgezogen werden, weil niemand wußte, daß die MAAB dafür eine Bearbeitungsgebühr von 3 000 Mark verlangt. Auch die Ablehnung einer Sonderfrequenz zur Live-Übertragung der "1. Mai Feierlichkeiten" im Prenzlauer-Berg konnten die Radio-Aktivisten nicht nachvollziehen. Die MAAB schon. Sie tat den Antrag dorthin, wo alle anderen Anträge bislang auch gelandet sind. In den Papierkorb.