Schalmeienklang und Massaker

Während bei Mainz über Frieden in Kolumbien geredet wurde, verüben die Paramilitärs neue Attentate

Für den neuen kolumbianischen Präsidenten Andrés Pastrana war die Unterzeichnung eines gemeinsamen Dokuments zwischen der Guerillaorganisation ELN und 42 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gleich "revolutionär". In den kolumbianischen Medien wurde der am vergangenen Mittwoch in Mainz vorgestellte Text als historischer Durchbruch gefeiert.

Cesar Carillo, der für die Erdölgewerkschaft USO am Treffen im Kloster Himmelspforten teilnahm, klang da schon etwas zurückhaltender: "Wir haben in Mainz den Eindruck gewonnen, daß es tatsächlich einen Willen zum Dialog gibt. Aber es ist schwer zu sagen, ob bei den Großgrundbesitzern und Unternehmern auch die Bereitschaft existiert, grundlegende soziale Veränderungen zuzulassen. Bisher wird jeder soziale Protest vom Staat kriminalisiert und von den Paramilitärs brutal angegriffen."

Cesar Carillo weiß, wovon er spricht. Der 50jährige steht auf der Abschußliste von Unternehmern, Armee und Todesschwadronen ganz oben. Wie 16 weitere Gewerkschaftsfunktionäre muß er sich momentan vor einem Sondergerichtshof wegen "Terrorismus" verantworten. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft konzentrieren sich darauf, daß sich die USO einer Privatisierung des staatlichen Erdölunternehmens Ecopetrol widersetzt und die Finanzierung von paramilitärischen Gruppen durch die Ölmultis Oxy, Texaco und BP öffentlich angeprangert hat. Eine Gewerkschaft, die sich nicht auf bloße Interessenvertretung der Belegschaft beschränkt, steht der Globalisierungspolitik, wie sie von Pastrana ebenso wie von der früheren Regierung vertreten wird, offensichtlich im Wege.

"Seit 1990 sind 110 USO-Aktivisten von Todesschwadronen erschossen worden. Den letzten Angriff gab es am vergangenen Dienstag", bekräftigte Carillo. "Nach den letzten Protestaktionen haben die Paramilitärs jetzt eine pauschale Drohung gegen die gesamte Bevölkerung von Barrancabermeja ausgesprochen." Die 400 000-Einwohnerstadt, die als Zentrum sowohl der kolumbianischen Ölindustrie als auch der Gewerkschaftsbewegung gilt, ist somit zum "militärischen Angriffsziel" erklärt worden. Und aus anderen Landesteilen wurden neue Massaker der Paramilitärs mit insgesamt mehr als 40 Opfern gemeldet.

Trotz dieser Einschränkungen ist das Dokument von Mainz ein deutlicher Fortschritt. In dem 21-Punkte-Papier vereinbarten die Unterzeichner - darunter vor allem ELN-Vertreter, Uni-Professoren, Gewerkschafter, Unternehmer und Journalisten, aber keine Regierungsvertreter - vor allem die Abhaltung einer Nationalkonvention bis spätestens zum 12. Oktober dieses Jahres. Während dieser Konvention, an der 200 Vertreter sozialer Gremien und Organisationen sowie alle Guerillaorganisationen teilnehmen, soll vor allem über eine Humanisierung des Konflikts, die Ausbeutung der Bodenschätze durch die Multis sowie über soziale und ökonomische Veränderungen diskutiert werden.

Die Diskussionen auf dem Treffen sind dabei keineswegs, wie in den Medien zu lesen war, als Friedensverhandlungen zu verstehen. Anders als in Zentralamerika, wo Regierung und Guerilla Ende der achtziger Jahre bilaterale Gespräche über Demobilisierung und politische Integration der Guerilla führten, zielt die Nationalkonvention auf einen Dialog zwischen Aufständischen und Gesellschaft ab.

Mit diesen Gesprächen soll eine politische Debatte gefördert und Klarheit über notwendige soziale Transformationen gewonnen werden. ELN-Kommandant Pablo Beltr‡n bekräftigte in diesem Sinne erneut, daß eine Demobilisierung seiner Organisation nicht auf der Tagesordnung stehe. Auch die Anschläge auf die Ölpipelines würden so lange fortgesetzt, bis eine neue Erdölpolitik zugunsten der Bevölkerungsmehrheit durchgesetzt sei.

Strittig ist nach wie vor der Ort der geplanten Konvention, die von einer 13-köpfigen Kommission vorbereitet wird. Während die politische Elite bereits darauf hingewiesen hat, daß der Kongreß der passende Ort für ein solches Treffen sei, verlangt die ELN, daß die Versammlung in den von ihr kontrollierten Gebieten in Nordostkolumbien stattfindet. Voraussetzung sei zudem, daß die Regierung Sicherheitsgarantien für die TeilnehmerInnen abgebe und die Zone weiträumig von der Armee geräumt werde.

Daß dies der kritischste Punkt der geplanten Gespräche sein wird, ist schon jetzt deutlich geworden. Einige vorgeschlagene Delegierte konnten wegen Morddrohungen noch nicht einmal nach Mainz reisen. Pfarrer Javier Giraldo, der mit der Kommission Justicia y paz (Gerechtigkeit und Frieden) Menschenrechtsverletzungen untersucht, mußte beispielsweise wegen der ständigen Militäroperationen gegen ihn untertauchen. Im Mai war sein Büro von Sondereinheiten der Armee überfallen und die Anwesenden bedroht worden. Diese Gefahr wird in den nächsten Wochen noch wachsen. Hierin ist wohl auch der Grund zu sehen, warum zum Treffen in Mainz kaum soziale Basisorganisationen eingeladen wurden.

Die Aussichten für ein Ende des Krieges sind also alles andere als rosig. Im Vorfeld des Treffens hatte ELN-Kommandant Nicolas Bautista Rodr'guez deswegen auch betont, daß sich der Konflikt in Kolumbien nicht einfach durch einen Friedensvertrag lösen lasse. Der bewaffnete Kampf sei, so Bautista, eine Folge der gewalttätigen Verhältnisse und werde erst verschwinden, wenn Armut und soziale Ungleichheiten beseitigt seien. Gegen solche Veränderungen jedoch sträuben sich die politische Elite, Großgrundbesitzer, die Armee sowie die Erdölkonzerne seit Jahrzehnten.

Ein Unsicherheitsfaktor bleibt auch die Rolle von Werner Mauss bei den Gesprächen. Offensichtlich will sich der Agent mit den guten Kontakten zu Kanzleramtsminister und Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer zum Abschluß seiner Karriere noch ein Denkmal als Friedensengel setzen. Die ELN hat trotz früherer Bedenken erneut auf seine Vermittlertätigkeit zurückgegriffen.

Ohne Mauss' gute Beziehungen zu kolumbianischen Politikern, Wirtschaftsleuten und der Bundesregierung wäre das Treffen von Mainz wohl kaum zustande gekommen. Es könnte jedoch sein, daß der Agent bei den weiteren Gesprächsrunden keine Rolle mehr spielen wird. Schon in Himmelspforten nämlich, so Cesar Carillo, sei Mauss' Anwesenheit einigen Teilnehmern unangenehm gewesen.