Schmutziger Krieg und soziale Ungleichheit

Interview mit Cesar Carillo, Sekretär der kolumbianischen Erdölarbeitergewerkschaft USO

Cesar Carillo nahm für die USO an den Gesprächen zwischen ELN und Gesellschaft in Mainz teil. Der 50jährige Carillo konnte dabei nur unter Auflagen aus Kolumbien ausreisen. Zusammen mit 16 weiteren USO-AktivistInnen soll er sich vor einem Sondergerichtshof wegen "Terrorismus" verantworten.

In Kolumbien wird die legale Opposition seit Anfang der achtziger Jahre regelrecht massakriert. Woher kommt die Hoffnung, daß es eine politische Lösung des Konflikts geben könnte?

Das hat vor allem mit den Ereignissen der letzten Tage zu tun. Die Konfliktparteien haben ihr Interesse an einem Dialog erklärt und ihre Ernsthaftigkeit unter Beweis gestellt. Die großen Probleme kommen erst noch auf uns zu. Ein Krieg, der mehr als 40 Jahre dauert, läßt sich nicht einfach beenden. Aber es existieren hervorragende Voraussetzungen für einen Dialog - das müssen wir nutzen.

Während in Mainz debattiert wurde, haben Paramilitärs in Kolumbien 40 Leute ermordet. Die politische Elite läßt eine soziale Opposition doch gar nicht zu.

Der schmutzige Krieg geht weiter. Paramilitärs patrouillieren auf dem Land und in den Armenvierteln der Städte, schüchtern Leute ein, massakrieren Gewerkschafter oder bedrohen ganze Ortschaften wie meine Heimatstadt Barrancabermeja. Aber wir fordern, daß die Angriffe gegen die sozialen Bewegungen aufhören.

Das Dokument von Mainz beschäftigt sich mit Menschenrechten, Bodenschätzen und der Einberufung einer Nationalkovention. Von sozialen und wirtschaftlichen Problemen ist nur am Rande die Rede. Besteht die Gefahr, daß wie in Zentralamerika ein bilaterales Abkommen geschlossen wird, das die sozialen Verhältnisse im Land unberührt läßt?

Im Dokument ist ein Dialog der Guerilla mit der Gesellschaft und nicht mit der Regierung vorgesehen. Auf der Nationalkonvention im Oktober werden alle gesellschaftlichen Sektoren mit der Guerilla zusammentreffen. Dieser Dialog soll in einer Nationalversammlung münden, in der gemeinsam nach Antworten gesucht wird. Das wichtigste Thema wird dabei die soziale Ungleichheit sein, es wird um Bildung, Gesundheit, Armut gehen. Die sozialen Zustände sind es doch, die Kolumbiens Wirklichkeit so gewalttätig machen.

Es wird viel vom Dialog mit der Zivilgesellschaft gesprochen. Aber die Hintermänner des Paramilitarismus sind Unternehmer und Viehzüchter. Sie sind allein im letzten Jahr für 300 Massaker verantwortlich. Was so enthusiastisch als "Zivilgesellschaft" bezeichnet wird, ist doch ein "Krieg von oben".

Der Begriff Zivilgesellschaft müßte genauer angewendet werden. Es besteht kein Zweifel, daß die Paramilitärs von Großgrundbesitzern und Industriellen finanziert werden. Auch die Regierung ist involviert, sie war an der Entstehung des Paramilitarismus beteiligt und kontrolliert ihn. Sie hat also die Pflicht, diese Gruppen aufzulösen. Wenn sich dort nichts bewegt, kann es keinen Frieden geben.

Sie selbst sind ein Opfer der Repression. Die Paramilitärs haben Sie unzählige Male mit dem Tode bedroht, die Staatsanwaltschaft strengt einen Terrorismusprozeß gegen Sie und die gesamte Gewerkschaftsführung an. Existieren Meinungs-und Organisationsfreiheit in Kolumbien?

Nein, es gibt eine brutale Repression gegen soziale, gewerkschaftliche und politische Organisationen. Die USO ist Opfer von Anschlägen, 17 Vorstandsmitglieder sind im Gefängnis und sollen vor einen Sondergerichtshof gestellt werden - vor die sogenannte "gesichtslose Justiz", wo weder Richter und Staatsanwälte noch Polizeiorgane und Zeugen für die Angeklagten zu sehen sind. Man wird von anonymen Zeugen beschuldigt und von anonymen Richtern verurteilt.

Der Grund für diesen Prozeß ist, daß sich die USO der Privatisierung des staatlichen Erdölunternehmens ECOPETROL widersetzt und eine souveräne Energiepolitik gegenüber den Multis fordert. Unser Delikt ist, daß wir uns politisch äußern, uns erwarten bis zu 40 Jahre Haft, unser Anwalt wurde ermordet, andere Anwälte mußten sich wegen Morddrohungen zurückziehen. Unsere letzte Hoffnung ist die internationale Solidarität.

Es heißt, vor wenigen Tagen hätten die Paramilitärs die gesamte Erdölmetropole Barrancabermeja zum militärischen Angriffsziel erklärt ...

Es tauchte ein Dokument der sogenannten Autodefensas de Santander y Sur de Cesar in der Stadt auf, in dem die Bevölkerung pauschal bedroht wurde. Die Paramilitärs kündigten an, daß sie politische und gewerkschaftliche Aktivität in der Stadt nicht mehr dulden würden. Barrancabermeja ist eines der wichtigsten Industrienzentren des Landes - eine Stadt mit 400 000 Einwohnern, in der jetzt alle umgebracht werden können.