Hans Koschnick

»Sie sind in Waffen vernarrt«

Hans Koschnick war von 1994 bis 1996 Administrator der Europäischen Union (EU) in Mostar. In der während des Bosnien-Krieges in einen "Krieg im Krieg" verwickelten Stadt setzte sich der ehemalige Bremer Bürgermeister für eine Zusammenarbeit der beiden früheren Kriegsparteien ein. Diese scheiterte jedoch immer wieder an der mangelnden Kooperationsbereitschaft vor allem der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ), die Mostar zur Hauptstadt der Herzegowina ernannte. Nachdem kroatische und muslimische Verbände die Stadt zunächst gemeinsam gegen serbische Angriffe verteidigt hatten, kam es im April 1993 zu einem Krieg zwischen den einstigen Koalitionspartnern. Ähnliches spielte sich auf Föderationsebene ab: Bereits im Herbst 1992 begannen Kämpfe zwischen den einstigen kroatischen und muslimischen Verbündeten, ehe sie sich zur Jahreswende 1992/93 zu einer offenen "Front innerhalb der Front" entwickelten. Erst auf Druck der USA gelang es Anfang 1994, die Partner wieder zusammenzuführen. Nach der formalen Gründung der kroatisch-muslimischen Föderation im März 1994 kämpften sie wieder Seite an Seite.

Nach dem WM-Sieg Kroatiens über die deutsche Mannschaft hat in Mostar ein bosnischer Kroate eine Muslimin erschossen. In den gemeinsamen lokalen Institutionen blockieren sich die beiden Seiten weiter gegenseitig. Zwei Jahre nach Ihrem Abschied aus der Stadt an der Neretwa scheint das ambitionierteste EU-Projekt in Bosnien - die Vereinigung Mostars - gescheitert. Wird Mostar eine geteilte Stadt bleiben?

Mostar ist schon heute keine geteilte Stadt mehr. Das werden Sie immer wieder erleben, wenn Sie täglich in Mostar sind. Allerdings gibt es eine schreckliche Situation, die sich nicht mit öffentlicher Gewalt lösen läßt: Die alten Mostaris, die in einem Konflikt von Bürgerkriegsformat gegeneinander gestanden sind, haben nun Angst davor, nachts auf die andere Seite zu gehen, weil sie fürchten, es könnte eine Revanche geben. Ich gehe davon aus, daß es so gut wie keine Revanche geben wird. Verrückte gibt es überall, aber das ist das Problem nicht.

Zwar ist die Tatsache, daß aus dem Siegestaumel der kroatischen Seite über Deutschland heraus geballert wurde und eine junge Bosniakin dabei umgekommen ist, schrecklich. Aber es gibt keinen beweiskräftigen Hinweis für Versäumnisse von offizieller Seite. Es handelt sich um einen der schrecklichen Unfälle, die in den waffenverliebten Teilen der Welt passieren. Ich würde genau diesen einen Vorgang während der Siegesfeier mehr als Waffenübermut, aber bitte nicht als eine gezielte Aktion sehen. Daß man gelegentlich, in meiner Zeit, von der kroatischen Seite herübergeschossen hat auf die andere Seite, um in die Moscheen zu schießen, das war Absicht, das war gezielt. Dies war hier nicht der Fall.

Mal abgesehen von den bewaffneten Auseinandersetzungen, weisen auch andere Vorkommnisse auf eine Fortdauer der Spaltung hin. Da gibt es die Vertreibungen ...

Das ist richtig. Das Bewußtsein, Recht durchzusetzen, ist noch nicht sehr verbreitet, hat sich aber verbessert: Die internationale Polizei, die wir eingeführt haben, arbeitet heute sehr viel stärker und bringt eine Perspektive der positiven Veränderung, aber es dauert noch. Ich würde sagen, daß sich, in monatlichen Etappen betrachtet, Schritte der Ermutigung finden lassen.

Mostar wird oft als Spiegelbild der Verhältnisse in der kroatisch-muslimischen Föderation betrachtet. Stehen auf Föderationsebene die maßgeblichen Kräfte einer erneuten Spaltung der Teilrepublik nicht sehr viel näher als der von den internationalen Institutionen angestrebten Integration?

Die kroatische Seite: ja.

Die muslimische nicht?

Nein, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Die Kroaten können durch die Spaltung vielleicht gewinnen, die Muslime aber nur verlieren. Deshalb haben sie sozusagen einen natürlichen Bezug dazu, die Föderation zu erhalten. Aber auch die kroatische Position weicht auf. Die Tatsache, daß die kroatischen Hardliner in der Herzegowina in einem so erheblichen Maße das Sagen hatten und noch haben, hat dazu geführt, daß die HDZ sich gespalten hat. Ein Teil der HDZ-Anhänger aus Zentralbosnien verläßt jetzt die Partei und will eine eigene politische Bewegung gründen mit dem Ziel, Bosnien gemeinsam mit Muslimen und Serben zu gestalten. Das ist eine Veränderung.

Dennoch unterstützt der kroatische Präsident Franjo Tudjman die Vertreibungen weiter - nicht nur in Bosnien, sondern auch im eigenen Land, in Ostslawonien.

Für Ostslawonien glaube ich das noch nicht. Tudjman hat natürlich seit den Offensiven von 1995 überhaupt nichts getan, um die Vertreibungen zu unterbinden - ganz im Gegenteil. Das war Flucht und Vertreibung zugleich, in Westslawonien ebenso wie in der Krajina. In Ostlawonien wird er sich das nicht noch einmal erlauben können. Nicht etwa, weil er es so erklärt hat, sondern weil die internationale Öffentlichkeit sehr darauf achtet. Tudjman braucht zum Aufbau seines Landes die großen Millionenbeträge von der Weltbank und anderen Institutionen, aber er wird sie nicht kriegen, wenn er den dritten Schritt in Ostslawonien auch noch geht. Da verändert er sich. Aber das bedeutet noch längst nicht, daß ein großer Teil der Serben, die über Generationen hinweg in der Krajina gelebt haben, zurückkehren kann.

Im letzten Jahr war eine Abkehr der USA von Tudjman zu beobachten. Als Hauptverbündeter bleibt Zagreb nun nur noch die BRD. Unterstützt die Bundesregierung durch ihr Festhalten an Tudjman nicht, wie schon bei der Anerkennung Kroatiens 1991, weitere separatistische und nationalistische Tendezen - in Bosnien ebenso wie im Kosovo?

Mir ist es gleich, ob Jungle World die alten Begriffe wie BRD ablegt oder weiterverwendet, ich habe wirklich nichts dagegen. Ich habe nur grundsätzlich etwas gegen diese Scheiß-Abkürzungen, das sage ich in aller Freimut.

Aber zu Ihrer Frage: Die Bundesrepublik hat vielleicht bei der Anerkennung - ich habe im Parlament dagegen votiert - einen Fehler gemacht. Wir hätten es nicht ohne die Nachbarn machen dürfen und hätten es schon viel früher machen müssen, nicht erst, als die serbischen Truppen schon einmarschiert waren. Denn als die Anerkennung kam, war bereits ein Drittel Kroatiens besetzt. Diese Frage bleibt offen. Unbestritten bleibt, daß Tudjman sich am Anfang voll auf die deutsche Regierung verlassen konnte. Doch auch das hat sich inzwischen geändert. Paris und London haben sich gegenüber Belgrad gewandelt, Bonn gegenüber Zagreb. Und zwar deshalb, weil alle konstruktiveren Lösungen, die zum Frieden hätten führen können, von Tudjman wie von Milosevic behindert worden sind.

Um ein Gegengewicht zu den nationalistischen Parteien zu schaffen, wurde immer wieder eine stärkere Unterstützung der gemäßigten, für ein gemeinsames Zusammenleben eintretenden Kräfte gefordert. Viel kam da von europäischer Seite nicht. Wie schätzen Sie nun deren Chancen bei den Kommunalwahlen im September ein?

Als in Dayton verhandelt wurde, waren wir uns darin einig, daß bei den ersten Wahlen die drei nationalistischen Parteien eine Riesenmehrheit bekommen und die Oppositionsparteien keine Chancen haben würden. Doch wir haben uns geirrt: In manchen Kommunen erreichten sie bis zu fünfzehn Prozent. Dennoch gebe ich zu, daß sich zu wenig um die gemäßigten Positionen gekümmert wurde. Ich gehe davon aus, daß es in Zentralbosnien nach den Wahlen größere, wenn auch keine mehrheitsfähigen Gruppierungen geben wird, die in den Kommunen und Kantonen die Verantwortlichen zwingen könnten, Farbe zu bekennen - das heißt Rechenschaft abzulegen. Dort könnten sich gewichtige Veränderungen ergeben. Das gilt nicht so sehr für den serbischen Teil, dennoch wird es auch dort ein stärkeres gemäßigtes Potential geben, weil ein Teil der Bevölkerung dringend darauf angewiesen ist, in einem besseren Verhältnis zur westlichen Welt zu stehen.

Von Bosnien in die BRD, oder, wenn Sie so wollen, nach Deutschland ...

... Sie können ruhig BRD sagen, ich lebe trotzdem in Deutschland ...

... und von den Parteien in Bosnien zu Ihrer Partei hier: der SPD. Mit Blick auf den Kosovo hat der SPD-Kanzlerkandidat Schröder noch vor Verteidigungsminister Rühe einen Nato-Einsatz ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates gefordert. Schröders Innenminister in Niedersachsen, Glogowski, kritisiert den - zumindest gewaltfreien - EU-Boykott der jugoslawischen Fluglinie JTA mit dem Argument, daß nun abgelehnte Asylbewerber nicht mehr nach Jugoslawien abgeschoben werden könnten. Sie selbst haben die jüngsten Abschiebungen von Bosniern aus Berlin mit Gestapo-Methoden verglichen. Wird Ihnen bei solchen Aussagen nicht schlecht, in dieser Partei zu sitzen?

Ach wissen Sie, ich habe mit dieser Partei schon so vieles erlebt, da wird mir doch nicht mehr schlecht. Man kann ja anderer Meinung sein. Die sehr frühe Entscheidung Schröders, Rühes und anderer, einen Massenmord im Kosovo zu verhindern, kann ich ja durchaus verstehen - sie war nur nicht durchdacht. Den Massenmord möchte ich natürlich auch verhindern. Aber dafür kann ich doch nicht akzeptieren, daß die Mitgliedsstaaten eines Verteidigungsbündnis nun ihrerseits behaupten, die Polizisten der ganzen Welt zu sein. Jugoslawien ist eine souveräne Republik und Mitglied der Vereinten Nationen. Wenn der Konflikt auf seinem Territorium gestoppt werden kann, dann nur von den Vereinten Nationen. Die Nato hat dazu überhaupt keinen Rechtsanspruch.