Stoßgebete für den General

Berlin hat sich vom Prinzip der freiwilligen Rückkehr verabschiedet, bevor das hauptstädtische Rückkehrprogramm für Bosnien-Flüchtlinge überhaupt greifen konnte

Da hatte sich die Berliner Ausländerbeauftragte so ins Zeug gelegt. Im April präsentierte Barbara John (CDU) der Öffentlichkeit ein Rückkehrprogramm für die bosnischen Flüchtlinge in der Hauptstadt, das allen Erwartungen gerecht zu werden schien: Das Sonderangebot "Freiwillige Ausreise" bot Rückkehrwilligen 2 500 Mark, wenn sie sich bis Ende Mai entschlossen, Berlin zu verlassen und in die zerstörte Balkanrepublik zurückzukehren. Der Ausländerbeauftragten bot sich die Gelegenheit, ihres Amtes zu walten und den Vorwurf zu entkräften, die Berliner Ausländerpolitik sei rigider als die in anderen Bundesländern.

John griff die Kritik parteiinterner Abschiebegegner wie des früheren Postministers Christian Schwarz-Schilling an der bisherigen Rückkehrpolitik auf, wonach zunächst der Wiederaufbau in Bosnien finanziell zu unterstützen und dann erst die Rückkehr der Flüchtlinge zu forcieren sei: Die Rückkehrprämie für Familien blieb folglich auf 9 000 Mark beschränkt, während die bosnischen Aufnahmegemeinden mit 1 500 Mark pro Person von dem Ausreisedeal profitieren sollten.

Zugleich übernahm Frau John den Teil der Arbeit, den gewöhnlich ihr Parteifreund und Kabinettskollege, Innensenator Jörg Schönbohm, zu erledigen pflegt - durch die straffe zeitliche Reglementierung des Programms erhöhte sie den Ausreisedruck auf die hier lebenden Migrantinnen und Migranten aus Bosnien. Der rechte Rand inner- und außerhalb der Union war also auch bedient.

Schade nur für Frau John, daß das Sonderprogramm bereits vor fünfzig Tagen ausgelaufen ist. Unterschrieben hatten es am Ende lediglich 3 500 der rund 23 000 in Berlin lebenden Flüchtlinge, etwa 5 000 weniger, als sich der Senat bei der Auflage des Fonds erhofft hatte. Einsparungen in Höhe von fünfzig Millionen Mark kalkulierte die Innenverwaltung noch im letzten Monat, wenn die Kosten für Sozialhilfe, Unterkunft und Verwaltung der abgereisten Flüchtlinge erst einmal wegfallen würden. Das Programm scheint sich nicht gerechnet zu haben: Seit zwei Wochen schiebt Berlin wieder ab.

Am vergangenen Wochenende verringerte der Berliner Senat die bosnische Community in der Hauptstadt um 74 ihrer Mitglieder - Chartertickets nach Sarajevo erscheinen dem Innensenator Schönbohm wieder rentabler als kostspielige Rückkehrprogramme, die ohnehin keiner nutzt.

Der aufmerksamen Behandlung durch die Polizeitruppen des Ex-Generals konnten sich die Abgeschobenen sicher sein. Ein Polizist habe ihr zwei Tabletten in den Mund geschoben, berichtete eine abgeschobene Roma der Berliner Zeitung letzte Woche, als sie in der Abschiebehaft nach Luft gerungen habe. Danach hätten die Beamten ihr noch das ärztliche Attest abgenommen, das ein schweres Herzleiden bestätigte - und ab in den Flieger. Anfang letzter Woche hat die 51jährige in einer 33 Quadratmeter großen Wohnung in Sarajevo vorübergehenden Unterschlupf gefunden - den Raum teilt sie sich mit fünf weiteren Menschen.

Nur ein Beispiel unter 74. Hans Koschnick, der ehemalige EU-Administrator von Mostar, zog Parallelen zur NS-Zeit: "Wenn man nachts einbricht wie zu Gestapozeiten, ist das verhängnisvoll und ein Akt der Unmenschlichkeit." Auch die Journalistin und Autorin des Buches "Ich trug den gelben Stern", Inge Deutschkron, verglich die Abschiebeaktion mit Nazi-Methoden: "Wie damals wurden Familien auseinandergerissen, wurden Menschen bis zum Transport eingesperrt, in diesem Falle mehrere Stunden lang im Flughafen in eine verschlossene fensterlose Zelle, in der es nur für einige der 20 bis 30 Personen Sitzplätze gab."

Fast eine Woche nach den Abschiebungen fühlten sich letzen Donnerstag denn auch die Berliner Kirchenoberen an die Kanzel berufen. "In ungewöhnlicher scharfer Form" (Berliner Zeitung) übten der evangelische und der katholische Bischof Kritik, mit der Aktion sei "die internationale Übereinkunft über die Behandlung der bosnischen Flüchtlinge unterlaufen" worden. Doch die Stoßgebete für den General scheinen bei Schönbohm nichts bewirkt zu haben. Welch Wunder auch: Die 70 Abschiebungen der letzten Woche dürften nach seiner Zählart Peanuts sein - allein 1997 wurden Senatsangaben zufolge 3 420 Flüchtlinge abgeschoben, ohne daß auch nur ein Bischof danach gekräht hätte.

Zwar kam es bis zum Wochenende zu keinen weiteren Abschiebungen, doch versuchte die Polizei in der Nacht zum Freitag, weitere Personen festzunehmen - was aber daran scheiterte, daß sie sie nicht in ihren Unterkünften antraf. Eine Familie, die bereits am Mittwoch festgenommen worden war, wurde am Donnerstag erst nach Intervention der Ausländerbeauftragten John freigelassen.

Eines muß man den Bischöfen zugestehen: Immerhin sind sie in ihrer Kritik an den Abschiebungen weitergegangen als der sozialdemokratische Juniorpartner der CDU in Berlins großer Koalition. Eckhart Barthel, ausländerpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, bemängelte gegenüber Jungle World zwar die Art und Weise, wie die Abschiebungen durchgeführt wurden. "Zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr" wollte er dennoch an ihnen festhalten. Fraktionschef Klaus Böger wurde für seine Forderung, möglichst bald neue Rückkehrhilfen in Aussicht zu stellen, am Wochenende von Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) persönlich abserviert: "Im Augenblick kann niemand, der eine Aufforderung erhalten hat, das Land zu verlassen, mit finanziellen Vorteilen rechnen" - sondern mit der Abschiebung