Alternative Lebensformen

Auf Rente, bevor es dunkel wird

Es ist schon witzig. Ich hatte gerade zum dritten Mal "Goldhagen und die deutsche Linke" gelesen, da fiel mir ein: "Hey, heute ist doch Love Parade! Na, mal gucken, ob noch Ecstasy im Haus ist." Alles alle. Weil die Parade ohne Drogen für die Katz ist, fuhr ich zur Jannowitzbrücke.

So eine Schiffahrt kostet ziemlich viel. In meinem Fall 15 Mark. Jeder, der mitfährt, hat Enkelkinder und natürlich den neusten Audi. Die Männer wissen alles über Schiffahrt und Schleusen, die Frauen hören ihnen zu, denken aber an die Klamotten und Frisuren der anderen Frauen; ich weiß endlich, wer die Mehrheit in der Bundesrepublik stellt und warum das Fernsehprogramm so ist, wie es ist.

Die Fahrt geht los, eine Stimme, die sehr wahrscheinlich einer nebenberuflichen Bardame gehört, erklärt erstmal, warum die Sechserbrücke Sechserbrücke heißt, dann fängt es an zu nieseln. Über die Spree tuckert der Ausflugskahn Richtung Oberbaumbrücke. Die Stimme sagt zwar immer: "Gucken sie nach links, da ist der Ostbahnhof, was ja auch nur richtig ist, er steht nun mal im Osten", aber rechts ist es viel interessanter, da sieht man nämlich an der Uferböschung zwischen Bäumen, Büschen und Sträuchern Wagenburgen und Leute auf ihren Hausschiffen entspannen, die Bier trinken und winken, weil das ganze Schiff winkt. Winken ist überhaupt das A und O der Binnenschiffahrt. "Superromantisch", denk ich, "da will ich auch wohnen!" Oder in so einem verfallenen alten Gemäuer, um das sich scheinbar kein Mensch kümmert. Von der Spree geht's in den Landwehrkanal. Berlin ist voll schnuckelig. Irgendwann treibt das Boot (weiß gar nicht wie es heißt, wahrscheinlich "Luise" oder so) durch den Tiergarten. Auf beiden Seiten grölen die Raver wie wohlgesinnte Eingeborene "Ey peace" und "One world, yeah", die Jungomis und Jungopis winken zurück und grooven ein bißchen zur Musik. Jetzt ist voll Stimmung auf dem Kahn. Aber der Chef sagt: "Auf dem Oberdeck Achtung! Bitte hinsetzen und den Kopf einziehen." Wau! Ist ja ein richtiges Abenteuer mit den Brücken.

In der zweiten Schleuse liegt neben der "Luise" eine Motorjacht. Darauf sitzen in Regisseurstühlen ungefähr ein Dutzend Werbefachleute und nippen an Sekt und Wein. Hmm, schon ein geiles Leben, so durch die Gegend schippern und über Anlagemöglichkeiten plaudern. Die haben unter Deck bestimmt mehr Kokain als Zucker. Jetzt kommt das letzte Schiffchen in die Schleuse (Lehrerpaar in Ölzeug, klarer Fall), und der Wasserspiegel senkt sich um einen Meter vierzig. An der Schloßbrücke ist Endstation.

Fazit: Bloß schnell alt werden, nicht mehr lesen, Hausboot anschaffen und von der Rente Koks kaufen.