Alternative Lebensformen

Freizeit, sweet Freizeit

Die "unerträgliche Leichtigkeit des Seins" meint zwar etwas anderes, könnte aber auch gut patentiert sein auf das Phänomen, daß, sobald man Zeit hat, man irgend etwas damit anfangen muß, ja geradezu verdammt ist, Zeit totzuschlagen, um nicht zum Opfer der Langeweile zu werden. Das geht auch anderen so, die auf die merkwürdigsten Ideen kommen, um ihre Freizeit zu gestalten.

Die herkömlichen Methoden kennen Sie, z. B. fernsehen, Billard spielen, lesen, an den See fahren, demonstrieren oder laufen im Park, gleich zweimal am Abend ins Kino gehen, im Zoo spazieren oder Verwandtschaft besuchen, vorsorglich schon mal putzen, wenn einem nichts anderes einfällt, oder tagträumen auf einer Bank vorm KaDeWe oder sich einfach betrinken und dann schlafen gehen, ein Dachpicknick veranstalten oder durch die Stadt skaten, sich einer Freizeit-Fußballmanschaft anschließen oder Pilze sammeln, sein Auto reparieren oder, wenn man ein Motorrad hat, durch Brandenburg düsen, kreativ sein oder sich sozial engagieren, Drachen steigen lassen oder mit ferngesteuerten Autos ein kleinen Grand-Prix fahren, ins Museum gehen usw.

Ich kenne jemanden, der fährt, wenn er nichts Besseres zu tun hat, mit dem Bus oder der Tram durch Berlin und Umland. Er sagt, er kenne bereits die Umgebung jeder U-Bahn-Station von Spandau bis Hönow. Tolle Sache. Noch jemand anderes fährt freitags nach der Arbeit in seinen Schrebergarten in Marienfelde. Er bleibt bis Sonntag abend und raucht einen Joint nach dem anderen. Dabei sitzt er bei schlechtem Wetter in seiner kleinen Holzhütte und hört Musik, die er sich aus der Karibik mitgebracht hat und die es hier nicht zu kaufen gibt. Bei gutem Wetter setzt er sich nach draußen auf die kleine Terrasse und macht dasselbe. Die Joints wachsen natürlich in seinem Garten. Den Winter über bleibt er zu Hause oder fährt in die Karibik.

Noch jemand anderes muß ganz schön viel Zeit totschlagen, weil er arbeitslos ist, schon seit eh und je. Er hat eine Russin geheiratet, nur pro forma, versteht sich, und lebt zum einen von der Sozialhilfe und zum anderen vom Geld, das er für die Scheinehe bekommt. Wenn er nicht gerade Kurse zur Weiterbildung belegen muß, geht er durch die Stadt, setzt sich irgendwo hin und malt Häuser, Bäume, Kräne, Straßen usw. Die Hälfte von seinen Skizzen hat er irgendwann mal weggeschmissen, die andere Hälfte nimmt ungefähr seine ganze Wohnung in Tempelhof ein. Er will eigentlich auch nichts anderes machen, jedenfalls sagt er, daß ihm bis jetzt nichts Besseres eingefallen sei.