Fanny Müller

Fettwech-Pille

Am vorvorletzten Donnerstag läutete ich bereits um 13 Uhr 30 das Wochenende ein, kaufte zur Feier des Tages eine Bild-Zeitung. Dieser Satz ist übrigens ein Beispiel für deren "ellyptische Syntax" (S. Borowiak). Titelzeile: "Kohl: Alles oder nichts." Etwa 15 cm darunter: "Fett-weg-Pille kommt am 21. September. Hoffnung für viele Frauen". Wieso nur für Frauen? Ach so - Schröder! Aber ist die Bundestagswahl nicht erst im Oktober? Wieder zu schnell mitgedacht. Das eine hat mit dem anderen fast gar nichts zu tun. Es geht um den Apotheken-Start von Xenical. "Eine Packung mit 84 Kapseln reicht dann vier Wochen", syntaxt Bild, "kostet in Apotheken 180 Mark."

Zum Fin de siècle wird der Markt scheint's immer hektischer. Noch vor der Jahrtausendwende soll die Menschheit glücklich gemacht werden, bis es kracht - vielleicht sogar die Börse. Mit Viagra und Xenical. Soma für alle! Für Männer, die nichts hochkriegen und für Frauen, die nichts runterkriegen, nämlich Pfunde. Rein zufällig hat gerade die amerikanische Herzgesellschaft die Grenze, an der krankhaftes Dicksein beginnt, drastisch heruntergesetzt, so daß auch Sie jetzt zu den Fettleibigen und damit zur Kundschaft von Hoffmann LaRoche gehören. Welcome to the Club!

Anlaß genug für mich, um eine Rundmail loszuschicken. Frage: "Wie haltet Ihr es mit Xenical - fressen und nicht zunehmen?" "Also ich", schreibt Matthew, "ich tu es in meinen Tomaten-Möhren-Salat mit viel Schafskäse." Petra aus L.A. kontert mit einer Gegenfrage: "Wie heißt das Zeug? - Cynical?" Sie hat ja recht. Wer kann sich so einen Namen schon merken? LaRoche hätte sich ein Beispiel an den Amis nehmen sollen, bei denen ein Klopapier "Happy end" heißt. Allerdings halte ich es für etwas übertrieben, eine Margarine "I can't believe, it's not butter" zu nennen. Das kann auch nur in einem Land mit Supermärkten funktionieren. Man stelle sich vor, hier in eine Apotheke einzutreten und zu sagen: "Guhn Tach, ich hätte gern ein halbes Pfund Ich- kanns-nicht-glauben-er-steht-schon-wieder." Tante Friedchen wünscht sich (per Postkarte) "lieber eine Pille für Herzensbildung". Danke, Tante Friedchen. Ham wa nich, kriegen wa auch nich wieder rein. Onkel Albert, der den kulturpessimistischen Part in der Familie spielt, hatte darunter gekritzelt: "Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube." Da geht es ihm wie mir. Genuß ohne Reue und Kapitalismus paßt irgendwie nicht zusammen.

Oder doch? Es soll ja fieberhaft an einer Pille gegen Glatzen gearbeitet werden. Aber ob die sowas freiwillig einnehmen? Und was machen dann die Antifa-Gruppen?

Egal, ob Sie und ich jetzt diese Pillen kaufen, massenhaft Nebenwirkungen haben - nach der Einnahme von Xenisowieso soll man es kaum bis zum Klo schaffen und die Syntax wird elliptisch -, letzten Endes kriegen wir ja doch alle die ultimative Glückspille "Back-to-the-Gebärmutter" verpaßt. Sie wissen schon - die bekannte letzte Schachtel, die auf jeden wartet. Ist zwar auch nicht ganz umsonst, aber wen kümmert's dann noch?