Zeitung geht baden

So wird man belohnt: Letztes Jahr noch von einem Tag auf den anderen arbeitslos. Heute sogar bezahlter Urlaub. Die Jungle World macht sich aus dem Staub.

Alles da:

Waschmaschine, das Meer vor der Tür, lecker Essen - jeden Tag -, Wind, Schnaps, Sonne, ein Riesengarten, ein Wintergarten, Ruhe, vom Balkon Blick auf die Ostsee, Sofas, überall Sofas, Boote, nur 100 Kilometer bis Kopenhagen, elf Tage Zeit, jede Menge Nischen und ein Steg auf dem Meer, zwei Riesenbrücken, kaum Kosten, Witze über Dänen und zwar im Überfluß, Faxe normal und im Kühlschrank, jemand geht jetzt gerade wieder welche holen, die anderen sind am Strand, kaum jemand kann keinen Skat, nur ein Verletzter beim Fußball, okay, die Ostsee ist verdreckt, aber besser als in Kreuzberg den Sommer anzugucken, grillen geht morgen los, danach vielleicht in die Stadt, diskotanzen, Dänen abschleppen, Lachgasampullen, sonst Sportzigaretten.

Was passiert:

W.-D. Vogel fährt den Mitsubishi-Bus mit Einschußlöchern am Kühler. H. Schwarzzenberger versteckt den Wein und hat sich Schwarzzbrot aus Deutschland mitgenommen. H. Runge trägt einen Jogginganzug aus Neukölln. M. Bickel muß, weil er gerade aus Ex-Jugoslawien wiedergekommen ist und nun als bürgerkriegserfahren gebrandmarkt wird, das Feuer machen. Übrigens hält er seinen Laptop vor der Redaktion verborgen. M. Söhler kürzt das Dossier an einem Abend von ursprünglich 220 000 auf 35 000 Anschläge runter. Das spart der Buchhaltung 1 850 Mark. B. Beier sagt: "Jetzt hab ich die Faxen aber dicke" und trinkt fortan Schnaps. K. Behnken macht Schweinebraten, kaum daß er in der Tür ist, abends kommt Weihnachtsstimmung auf. Mein Gin ist mittlerweile alle, aber es gibt jetzt Tuborg-Bier, einsfünfzig der halbe Liter. Gestern kam die erste Folge von Jungle-TV, director's cut, und das ist I. Bozic. A. Landgraf und F. Muggenthaler haben mir heute mal so ein bißchen die Zeitung näher gebracht. Muggenthaler: "Die Jungle World ist eine Mischung aus Gegenöffentlichkeit und souveränem Medium."

Nebenbei:

Die Produktion geht so langsam los. Problem: Offenbar gibt es in Dänemark nur zwei oder drei ISDN-Anschlüsse. Was ISDN heißt, weiß kein Mensch. Wenn Dänemark also so einen Anschluß nicht hat, wie kommt die Zeitung dann zum Druck und wie kommen die Bilder in die Zeitung? Tja, vielleicht mal die Kollegen vom Vordingborg Dagblad konsultieren. Soll morgen eine Delegation regeln. Soll Wimpel mitnehmen. An den Fenstern im Wintergarten hängen die ersten Zeitungsfahnen. Doch, doch, sieht gut aus. Könnte klappen. Die Waschmaschine hat allerdings einen Schaden. Will K. Behnkens Wäsche nicht hergeben.

Auf der Fähre:

Da waren nur Omis und Opis, Bier für vier Mark, es dauerte zwei Stunden, schöne Aussichten, Panik, weil der Duty-Free-Shop-Prospekt keine schwarzen Zigaretten anonnciert, im Restaurant gab es eine halbe Fischvergiftung für zehn Mark, Skinke-Snitsel traute sich nur einer zu wie A. Landgraf.

Zimmerverteilung:

Hochinteressant! Geht ab wie auf einer Klassenfahrt. So ganz zu durchschauen, wer wo wohnt, ist nicht einfach. Oben, im Wohnzimmer vor dem Balkon, schläft das Ausland. Auch oben, soviel ist sicher, der Wirtschaftsredakteur. Das Kulturressort hat sich unten den Raum mit der defekten Waschmaschine gesichert. Auch unten: der Rest der Kernredaktion.

Ausflüge:

Zum Beispiel nach Christiania, wo die Welt noch in Ordnung ist, sagt I. Bozic. Koks ist da nicht so populär, Ecstasy wohl nur saisonal, wie man berichtet, und Heroin ist da so angesagt wie Nazis in Kreuzberg. Die Straßen in Christiania gehören angeblich dem Verteidigungsministerium, aber dazu mehr unter der Rubrik Hauptstadt, was auf dänisch vigtig h¿j by heißt. Noch ein Ausflug: B. Beier war im Parlament. Keine Polizei weit und breit. Und wie war's? "Naja, der alte Generalstab halt." Legoland war so ähnlich wie Christiania, sagt I. Bozic. Oder umgekehrt?

Dänemark ist wie:

In Dänemark wird offenbar nichts so sehr an die große Glocke gehängt und noch dazu alles in der Regel klein geschrieben. Dänemark ist ein öder Ort. Am ödesten ist Gedser. Fahren Sie nie nach Gedser.

Der Zeitungsbetrieb:

H. v. Schrenk: "So wie immer." "Ist das alles, was Du dazu sagen möchtest. Ich meine: Das ist ziemlich wortkarg." "Naja, ist schon ziemlich lässig hier zu arbeiten." "Stell Dir vor, ich käme von einer Zeitung, und du mußt jetzt ein Statement abgeben." "Äh, ja, weiß nicht, stell doch mal eine Frage." "Okay, ihr seid ja ziemlich flexibel, ein junges aufstrebendes Unternehmen, mit wenig Geld ermöglicht, dennoch habt ihr Arbeitsplätze geschaffen, das muß dem zukünftigen Wirtschaftsminister doch ziemlich gefallen. Dabei seid ihr doch links. Schämt ihr euch nicht?" "Die Frage ist gut, ja." "Und?" "Ich komm gleich wieder."

Die Kommunistische- Bürgermeister-Rubrik:

Daß es so einen in Dänemark geben soll, hört man derzeit an jeder Ecke in diesem Haus, das ich jetzt folgendermaßen taufe: Haus der tausend Faxe. Ob es den Bürgermeister wirklich gibt, ist zur Stunde noch ungeklärt. Gesehen hat ihn noch niemand. Später stellt sich heraus: ist gestorben.

Komisch ist was:

"Das Ferienhaus ist dreiundsechzig mal so groß wie die Redaktion." "Endlich mal fast alle Redakteure bei der Arbeit." "Das Auto mit den zwei Typen vor der Tür." "Die Tür von der Waschmaschine". "Die Auswahl im Käseregal." Mein Schnupfen ist weg. "Faxe holen im Turistbureau." Der Satz zum Thema Journalistenkarriere: "Ich war jung, ich brauchte das Geld."

Dänische Küche.

Draußen: Viele Kartoffeln, rote Würstchen, die nach Zucker schmecken, Eis, Sm¿rrebr¿d, griechische, indische, chinesische, amerikanische und dänische Pizza. Drinnen: Viele Kartoffeln, Knoblauchhuhn (Vorstadt-Disko fällt deswegen aus) mit oder ohne grünen Bohnen, Kartoffelgratin mit Geflügelleber, Pasta sin Pesto, warmer Hefekuchen, Vanillepudding, Tuborg.

Erzählt wird:

Die Anekdoten häufen sich, aber die richtig gute Story hat es noch nicht gegeben. Hier eine kleine Auswahl:

1. Die Bildkonferenz findet nach dem Gebratenem-Hering-Essen um 23 Uhr statt und dauert drei Minuten. 2. H. Runge und A. Landgraf wollen zur großen Landzunge. I. Bozic beschreibt den Weg, drei Stunden nach Abfahrt geben sie auf. 3. Am nächsten Tag finden sie die Zunge und sollen zehn Kronen für die Einfahrt bezahlen. Das machen sie natürlich nicht, weil man, da kein Kassierer da ist, freiwillig die Kronen in den Briefkasten schmeißen muß. A. Landgraf und H. Runge freuen sich wie die Könige über den Betrug, wähnen sich in Sicherheit, fahren mit dem Auto ins Areal, gehen Sonnenbaden und spazieren so rum, wollen zurückfahren und da kommt der Haken: Ausfahrt nicht möglich wegen Stahlkette vor Ausfahrt. Hmm. Über Schleichwege finden sie einen Ausweg. Das kostet sie zusätzlich drei Stunden. 4. Keiner macht Witze über G. Jacob, weil sich das niemand traut. 5. F. Muggenthaler, der nach eigenen Angaben die Muppets-Show noch nie gesehen hat, will nicht auf den hiesigen Sportfeldern Fußball spielen, weil er sich offensichtlich nicht ganz sicher ist, ob das erlaubt ist. Deswegen spielt er generell nur auf den benachbarten Bolzplätzen. Auf Sand. 6. F. Muggenthaler hat sich auf dem Sandplatz verletzt. Hmm. 7. S. Kimbel verspricht einen Text über Arbeitsmarktpolitik in Dänemark, der bis Mitte August vorliegen sollte. Der Termin mußte verschoben werden, weil fünf Dänen Tag und Nacht daran arbeiteten. Eine Delegation scheitert in Kopenhagen bei der Suche. Kimbel ist seither auf der Flucht. 8. Letzte Geschichte: Leider wurde die Pesto-Affäre schon beim Essen verbraten.

Dänisches Fernsehen:

Leider machen die Dänen einem nicht die Freude, Michael Douglas zu synchronisieren - Untertitel. Auch bei dänischen Produktionen. Auf den restlichen Kanälen ist Schnee. Das Zweite Deutsche Fernsehen kann man noch so gerade erkennen. Wenn das Wetter schlecht wird, ist die Redaktion voll aufgeschmissen oder Jungle TV dreht, was das Zeug hält.

Dabei ist nicht:

C. Rasmus aus Lichtenrade, weil er die Redaktion in Kreuzberg bewachen muß. E. Wittich kam zu spät aus Norwegen zurück. "Wo ist der große Ripplinger?" Der hatte ein schlechtes Gewissen, weil er die Boulette von K. Behnken am Abreisetag geklaut hat. Sagt Heinz. Und der megagroße Elsässer? Hmm? Heinz, sag mal: "Elsässer ist natürlich auf Buchreise, versucht seinen braunen Schinken unter die Ossis zu bringen." "D. Hempel, wo ist denn der eigentlich, Heiko?" "Alicante, Spanien." U. Tremmel ist entschuldigt, muß zum Designerkongreß in Berlin. A. Dietl ist mit Frau und Kind nach Frankreich gefahren, nachdem ... tja, das will Heinz nicht sagen. Eigentlich hätte man einen Satz Praktikanten mitnehmen sollen.

Wer hat

Feuer? Kugelschreiber? Briefmarken? Die Faxe? Die FAZ? Lust auf Strand? Den Schwarzen Usbeken? Butter ohne Salz? Klaus gesehen? Mein Muskelshirt? Ersatz für Pesto? Kontakt zu Anti-EU-Gruppen? ISDN? Kronen? Geschnarcht? Noch Gin? Eingekauft? Sportsalbe? Erfahrung mit Quallen? Handstand gemacht? Spinnen entfernt? Nicht ins Bett gefunden? Enno geweckt?

Statements:

"Hühnchen heißen Hühnchen, weil sie im Unterschied zu Hühnern noch keine Eier gelegt haben. Jetzt wird auch klar, warum Hähne nicht Hähne, sondern Hähnchen heißen." (Nach dem Essen, keine Ahnung, wer das gesagt hat, vor allem nicht warum.) "Ich habe gerade einen großartigen Brief geschrieben, der für Aufsehen sorgen wird." (H. Schwarzzenberger zum Thema Drogen und Schreiben.) "Ich beherrsche jedes Problem, ehrlich, Maj-Britt." (H. v. Schrenk in der Socialisten Weekend-Redaktion in Kopenhagen, wo er über den endlich gefundenen ISDN-Anschluß Bilder von dpa besorgen wollte und dabei den ganzen Betrieb lahmlegte.) "Hört doch mal auf mit dem PC-Terror!" (I. Bozic, als Kimbels Fluchtort Polen gestrichen wurde. Ups!)

Der Deadline-Tag:

Das gesamte Haus ist der Produktion unterworfen. Es wird nur noch das Nötigste geredet. H. Schwarzzenberger macht Kartoffelpuffer. Das ist einfach und geht schnell. Dazu, meint H. Schwarzzenberger, paßt am besten Senf. Die Kombination kommt eher schlecht an. Die meisten weichen auf Ketchup und Marmelade aus und gehen dann wieder korrigieren. Das Klischee von der Zeitungsredaktion, die nicht aufräumt und so langsam versinkt in Fahnen, Flaschen, Frühstücksrückständen, Magazinen, in Asche und unerledigten Dingen, trifft voll zu. Das Motiv für die Seite eins wird nach und nach weggeplündert und Filterzigaretten werden knapp.

Unbeantwortet geblieben,

nicht erlebt, zu kurz gekommen, nicht mitbekommen, untergegangen, nicht gelesen, nicht passiert, vermißt, nicht geschafft, nicht ausgereifte Witze, noch dazu unausgesprochen etc. Die einen heißen Hells Angels, wie heißen die anderen? Wo ist K. Behnken? Kann ich mal den Rechner haben? Polonäse mit den Nachbarn durch das Dorf. Dänischen Waschmaschinenreperaturmeister nach seinen Ansichten fragen. Wie ist eigentlich der Kurs? Wem gehören die 50 Mark im Garten? Mal eine richtig gute politische Parole zur Abwechslung. Wieviel Witze passen in ein Fax? Nein: Wieviele Faxe passen in einen Witz. Antwort I. Bozic: "Kommt auf die Größe an!"

Letzter Absatz, Rückfahrt:

Zwischen hier und der Mitte des Aufenthaltes sind natürlich noch Sachen passiert, die jetzt nicht berichtet werden können, weil das einfach zu heikel wäre. Aber Jungle-TV hat fast alles aufgezeichnet, und I. Bozic hat gerade eben mit dem Fernsehen telefoniert. Sagt Heinz. Auf der Fähre nach Rostock: "Tja, wie war's? Ganz okay. Ja, war alles da."