Kebab und Curry
Wie "türkisch" ist der neue "deutsche" Film? Spätestens seit Fatih Akins Filmdebüt "Kurz und schmerzlos", einer Kleinganovengeschichte aus Hamburg-Altona, wird von einem Trend gesprochen, wenn es sich um Filme junger, aus türkischen Familien stammender RegisseurInnen handelt. Auch der im vergangenen Jahr auf den Filmtagen in Hof vorgestellte "Yara" ("Die Wunde") wurde unter diesen Vorzeichen rezipiert, ebenso Yilmaz Arslans "Aprilkinder", der kürzlich angelaufene erste Spielfilm des kurdischstämmigen Regisseurs Yüksel Yavuz (Jungle World, Nr. 5 /99). Präsent war der deutsch-türkische Film auch auf der diesjährigen Berlinale: Thomas Arslan stellte im Forum den zweiten Teil seiner filmischen Trilogie, "Dealer", vor; Kutlug Ataman wurde für "Lola und Bilidikid" mit dem Publikumspreis des Panorama ausgezeichnet.
Diese Entwicklung, die FilmkritikerInnen von einer "Welle" sprechen läßt, die plötzlich die bundesdeutsche Kinolandschaft erreicht, ist natürlich nur vor dem Hintergrund der über 40jährigen Migrationsgeschichte verständlich. Aber auch die deutsch-türkische Zusammenarbeit in der Filmkunst spielt dabei eine Rolle. So erlernte der Pionier des türkischen Kinos, Muhsin Ertugrul, sein Handwerk in Deutschland. Unter seinem Künstlernamen Salomon Bey brachte es Ertugrul, der den türkischen Film bis in die fünfziger Jahre prägte, im Berlin der Zwanziger zu einer mittelgroßen Karriere. Ertugrul war auch als Statist und Nebendarsteller in den Filmen Friedrich Wilhelm Murnaus zu sehen. Dies dürfte der erste Kontakt zwischen dem deutschen und dem türkischen Kino gewesen sein. Die wohl erste Begegnung mit dem türkischen Film hatte das deutsche Publikum in den fünfziger Jahren, genauer im Jahr 1952, als der Film "Susuz Yaz" ("Dürrer Sommer") von Metin Erksan den Silbernen Bären der Berliner Filmfestspiele gewann.
Fast zeitgleich fand eine andere Begegnung statt: Die Enkelkinder Muhsin Ertugruls wurden als Arbeitskräfte in die Bundesrepublik gerufen. Daß sie es nicht bei einer Gastvorstellung beließen, sondern in Deutschland blieben, eröffnete dem Film in der Türkei zugleich neue Möglichkeiten. Durch die vielfältigen Kontakte, die die türkische Minorität innerhalb der bundesdeutschen Gesellschaft knüpfte, wurden die ersten Kooperationen auf der Ebene der Kinokunst möglich. So kam es auch dazu, daß der Kameramann Kenan Ormanlar Erden Kirals Welterfolg "Eine Saison in Hakkari" (1982) und Ali Özgentürks mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnete Produktion "At" ("Das Pferd", 1982) fotografierte.
Ormanlar kam bereits in den sechziger Jahren nach Deutschland und ließ sich später in München nieder, wo er seine eigene Produktionsfirma gründete. Jürgen Jürges arbeitete als Kameramann u.a. für Zülfü Livanelis "Yer Demir, Gök Bakir" ("Eisenerde, Kupferhimmel", 1987) und für "Sis" ("Der Nebel", 1989). Etwa zeitgleich entstanden die ersten Filme türkischer RegisseurInnen, die in der Bundesrepublik lebten, ehrliche Betroffenheitsstreifen, wie der Mitte der achtziger Jahre abgefeierte Film "40 qm Deutschland" von Tevfik Baser.
Zu dieser Zeit schien die Welt noch in Ordnung: Die Berliner Mauer stand noch, und die TürkInnen in der alten Bundesrepublik wußten noch nicht, ob sie hier in Rente gehen sollten. In dieser Situation der Zerrissenheit, zwischen Auf-gepackten-Koffern-Sitzen und Sich-Niederlassen, erzählte "40 qm Deutschland" von einer Frau, deren Leben in ihrer neuen Heimat sich ausschließlich innerhalb einer engen Wohnung abspielt, die sie mit ihrem gewalttätigen Ehemann teilen muß. Die Pflege verbreiteter Klischees begeisterte nicht nur das Kinopublikum, sondern auch die maßgebende Filmförderungspolitik, die mit finanziellen Mitteln nicht geizte, wenn eben jene Stereotype bedient wurden.
Baser drehte 1991 - die Mauer stand nicht mehr, und das "Boot" war plötzlich voll - "Lebewohl, Fremde", eine einfühlsam erzählte Geschichte über die Beziehung zwischen einem Flüchtling und einer Frau. Die Öffentlichkeit, einschließlich der Medien und der Verleihfirmen, nahmen kaum Notiz von dieser Produktion. Basers Protagonist, der sensible und dichtende Flüchtling, stand im krassen Gegensatz zum Bild der anonymen Migrantenströme; die differenzierte Herangehensweise an dieses Thema sorgte für Verwirrung und widersprach der vorherrschenden Stimmung in Deutschland.
Vorboten einer neuen Kinoszene waren die "anateutonischen" Kurzfilme. Eine neue Generation von FilmemacherInnen wuchs heran, deren Heimat nunmehr endgültig die Bundesrepublik war. Anfang der neunziger Jahre artikulierten junge türkischdeutsche FilmemacherInnen ihren Frust in dieser Gesellschaft, die VertreterInnen der dritten Generation drehten zahlreiche Kurzfilme, in denen sie die Migrationsgeschichte aufzuarbeiten begannen. Diese Produktionen kündigten den neuen "deutschen" Films "türkischer" Herkunft an. Sie waren für ihre MacherInnen ein Sprungbrett zur Produktion längerer Kinofilme. Beispielhaft für diese neue "Welle" seien "Ein Fest für Beyhan" (1994) von Ayse Polat, "Totentraum" (1995) von Ayhan Salar und "Berivan" (1996) von Miraz Bezar erwähnt, die die Bundesrepublik auch auf europäischen Kurzfilmfestivals vertraten.
Diesen Arbeiten ist eine Bildsprache gemein, die auf Ruhe und Langsamkeit vertraut. Die Stoffe holten sich die FilmemacherInnen aus ihrem eigenen Leben. Sie waren es leid, daß immer nur über sie geredet wurde und entschieden sich, ihre Geschichte selbst zu erzählen, allerdings ohne dabei viele Worte zu verlieren. Dialoge nehmen in diesen Filmen wenig Raum ein, die Geschichten werden fast ausschließlich in Bildern entfaltet. Lange Einstellungen und eine intensive Symbolik, die die Situation des Zwischen-allen-Stühlen-Sitzens nicht negativ wertet, sondern selbstbewußt beschreibt.
Allerdings ist dieser Stil keineswegs dominierend. Der Hamburger Fatih Akin deutete schon mit seinen international ausgezeichneten Kurzfilmen "Sensin - Du bist es!" (1996) und "Getürkt" (1997) an, welcher Mittel er sich in seinem ersten Langspielfilm bedienen würde. Die Produktionsfirma bezeichnete "Kurz und schmerzlos" in ihrem Presseheft treffend als "qualifizierten Kitsch". Fatih Akin fing in seinen Kurzfilmen witzig, unverkrampft und selbstironisch das Lebensgefühl der "Kanaken" ein und verzichtete bewußt auf Tiefgründigkeit.
Richtig ist, daß "der neue Film" in der Bundesrepublik durchaus seine spezifischen Merkmale besitzt. Ähnlich der Entwicklung in Frankreich, wo in den Achtzigern eine Reihe von jungen RegisseurInnen nordafrikanischer Herkunft dem Kino Impulse gaben, entsteht hierzulande eine neue Art des Erzählens. Das Rad wird sicherlich nicht neu erfunden, doch es sind Geschichten, die so bisher nicht im deutschen Kino vorhanden waren: Stoffe, die aus der Mitte der Gesellschaft entspringen, aber irgendwie "exotisch" sind. Exotisch?
Fatih Akins "Kurz und schmerzlos" ist in Anlehnung an Martin Scorseses "Mean Streets" (1981) ein Melodram, das bewußt kitschig sein will, aber eben qualifiziert. Gewiß ist dieser Film keine tiefgründige Milieustudie, es gelingt ihm aber, die gängigen Bilder von der "Russenmafia", der "Türkengang" oder des "kriminellen Ausländers" zu dechiffrieren. Akins Bilder sind Produkte ihrer Umgebung, sie wirken echt, oder, um es mit einem Modewort auszudrücken, authentisch. Sein neues Filmprojekt, "Keb it up", besetzt mit Shooting-Stars des deutschen Kinos, handelt vom Krieg zwischen Döner und Mac und bedient sich einer ähnlichen Erzählweise wie "Kurz und schmerzlos".
Yilmaz Arslans 1993 produzierter Film "Der lange Gang" blieb ohne Verleih. Trug sein Debütfilm stark autobiographische Züge - die Auseinandersetzung mit seiner Behinderung -, so ist auch "Yara" (1998), der von der unfreiwilligen Rückkehr einer jungen türkischen Frau in ihre Heimat erzählt, eine sehr persönliche Arbeit.
Erwähnt werden muß auch Thomas Arslans "Die Geschwister" (1996), der von Kreuzberg und seinen türkischdeutschen Jugendlichen handelt. Schnörkellos und unspektakulär zeigt Arslan eine Welt, die trist und brutal ist, aber nichts mit jener in den Medien gezeichneten Brutalität gemein hat, und korrigiert so das Bild einer Community - TürkInnen - und eines Ortes - Kreuzberg -, um die es schon Legenden genug gibt. Mit "Dealer", dem zweiten Teil der geplanten Trilogie, gelang Arslan ein wunderbarer Film. Schauplatz ist abermals Kreuzberg, das diesmal aus der Perspektive eines Kleindealers betrachtet wird.
Hussi Kutlucans "Ich Chef, du Turnschuh", der im Sommer in die Kinos kommen soll, ist auf den ersten Blick eine Komödie, deren Schauplatz der Potsdamer Platz ist, obwohl es dort eigentlich nicht viel zu Lachen gibt. Oder vielleicht doch? Unter der Oberfläche präsentiert sich der Film als eine Groteske, als ein Trash-Film mit selbstbewußten "Asylanten", die wenig Vorliebe für pc-taugliches Verhalten hegen. Wenn Hussi Kutlucan - zwei Tage nach dem Tod des Algeriers Omar ben Noui in Guben - anläßlich einer Preview seines Films erklärt, er wolle ein anderes "Ausländerbild" zeigen, bleibt offen, ob diese Aussage zynisch gemeint ist oder nicht.
"Aprilkinder" ist der erste abendfüllende Spielfilm von Yüksel Yavuz, der für seinen Dokumentarfilm "Mein Vater, der Gastarbeiter" (1996) mehrmals ausgezeichnet wurde. "Aprilkinder" erzählt die Geschichte einer Familie zwischen Tradition und Moderne. Yavuz' Debütfilm erhielt beim 20. Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken den Publikumspreis. Mit der Kurdenproblematik beschäftigt sich "Ich schäme mich, ein Jurist zu sein" (1995) von Karaman Yavuz, dem Neffen von Yüksel Yavuz.
Eine Ausnahme unter den hier vorgestellten Regisseuren ist Kutlug Ataman, der in Los Angeles und Paris Film studiert hat und somit eigentlich kein "Deutschländer" ist. In ganzseitigen Anzeigen in Schwulenmagazinen der Hauptstadt wurde sein auf der Berlinale vorgestellter Film "Lola und Bilidikid" mit den Worten "schräg, schwul, türkisch" beworben. Vielleicht ein zwanghafter Versuch, "schräg" und "schwul" noch interessanter zu machen, indem auch noch das Attribut "türkisch" hinzufügt wird. Vielleicht aber auch eine unumgängliche Marketingstragie?
Doch die hat "Lola und Bilidikid" gar nicht nötig. Die HeldInnen in Atamans Film sind Berliner Transvestiten, Schwule und Strichjungen türkischer Herkunft, sie sind der Stachel im Fleisch der deutschen Mehrheitsgesellschaft, aber auch der türkischen Community. Auch in Ayse Polats Roadmovie "Die Auslandstournee" (bisher noch ohne Verleih) ist der Held bzw. die Heldin ein Transvestit. Diese "schrägschwultürkische" Subkultur räumt auf mit der These von der homogenen Struktur innerhalb der MigrantInnengesellschaft.
Überflüssig ist die Frage, ob der "neue deutsche" Film "türkisch" ist oder nicht. Eine neue Art von Autorenfilm ist im Entstehen. Das wäre doch ein annehmbarer gemeinsamer Nenner. Es ist keineswegs ein Zufall, daß die jungen türkeistämmigen FilmemacherInnen ihre Drehbücher selber schreiben. Sie denken "deutsch", erzählen dennoch Geschichten, die nicht typisch "deutsch" sind. In ihnen kristallisiert sich die Migrationsgeschichte heraus. In dem Moment, wo die VertreterInnen der neuen Generation ihr Dasein als Kanaken nicht nur stolz zugeben, sondern damit auch selbstironisch angeben, wird die Bemühung, bestimmte Trends in der Filmkunst der Bundesrepublik "ethnisch" einzuordnen, völlig absurd.