Pinochet bleibt in Großbritannien

Demokratie von oben

Der Spruch des obersten britischen Gerichtes, der dem Ex-Diktator Chiles, General Augusto Pinochet Ugarte, die Immunität für seine Verbrechen nach dem Juni 1988 aberkennt, hört sich zunächst wahrhaft salomonisch an. Können doch Anhänger wie Gegner des greisen Chilenen gleichermaßen proklamieren, nun werde "Gerechtigkeit" walten. Während Chiles Präsident Eduardo Frei tönt, die Souveränität seines Landes sei anerkannt, trösten die Hinterbliebenen der unzähligen Opfer des Terrorregimes sich mit der Aussicht auf symbolische Sühne.

Die Rechte, die in Pinochet noch immer ihren Helden verehrt, freut sich angesichts der Tatsache, daß es doch nur ein unbedeutender Mord ist, der dem General jetzt noch zur Last gelegt wird. In Santiago, der chilenischen Hauptstadt, deren Straßen im September 1973 nach Pinochets Putsch mit den Leichen linker und anderer Demokraten übersät waren, bleibt es ruhig. Nur vereinzelt wird gegen die sechs Londoner Richter protestiert, die ein die Machtverhältnisse, öffentliche Opportunität und vage Menschenrechtsprinzipien verbindendes Urteil gesprochen haben.

Nicht ganz unwahrscheinlich ist, daß auch die US-amerikanischen Kollegen zufrieden waren mit dem Ergebnis. Im neoliberalen Experiment, das unter Anleitung der USA eben auch die britische und andere westeuropäische Regierungen an der chilenischen Bevölkerung durchführten, war Pinochets Repressionsmaschinerie eines der entscheidenden Elemente der Versuchsanordnung. Wird Pinochet zeit seines Lebens tatsächlich nur wegen der Verbrechen nach 1988 angeklagt, wäre auch die unangenehme Aufklärung der Unterstützung des Regimes durch die USA, Großbritannien, die Bundesrepublik etc. endlich ad acta gelegt. Zumindest die übelsten Menschenrechtsverletzungen wären weiterhin vor der Öffentlichkeit zu verbergen - und das Wissen um die tatkräftige Unterstützung speziell der Vereinigten Staaten für den chilenischen Geheimdienst Dina und dessen Folterpraktiken.

Wie Peter Kornbluh, Mitarbeiter des National Security Archive in Washington, in der Zeitschrift The Nation schreibt, lagern immer noch Tausende von Dokumenten, Briefen und Protokollen in den Geheimarchiven der CIA, deren Freigabe die USA schwer belasten würde. Der spanische Richter Garc'a Castell-n fragte im Februar 1997 bei der Clinton-Regierung speziell wegen Berichten über die berüchtigte Operation Condor an, eine internationale Aktion mehrerer Geheimdienste zur Entführung und Exekution von Regimegegnern.

Castell-n erhielt zunächst die Zusage William Clintons zur Kooperation. Als dann ein Jahr später endlich mehrere Kisten mit Material aus Washington in Madrid ankamen, befanden sich laut Kornbluh 1 000 Seiten aus chilenischen Zeitungen, nach denen Castell-n gar nicht verlangt hatte, in der Sendung. Beigelegt waren auch Dokumente über eine Operation Condor in Honduras, die mit der chilenischen nichts zu tun hatte, und über die Verfolgung von Gegnern Fidel Castros. Die USA hatten das Anliegen der spanischen Richter schlicht ignoriert. Aber um die Operation Condor aus den siebziger Jahren geht es jetzt ja auch nicht mehr.

Schlichtweg perfide ist auch die Lobrede, die Margaret Thatcher anläßlich eines Besuches im Arrest ihres "charming Augusto" auf diesen hielt. Sie würdigte den südamerikanischen Erfüllungsgehilfen ihrer auf die Zerstörung des Sozialstaats gerichteten Politik als den Mann, "der die Demokratie nach Chile gebracht hat". Damit erinnert sie nicht nur an jene Sprachregelung, mit der der Diktator in den siebziger Jahren in Europa hofiert wurde, sondern zeigt auch, daß viele westliche Politiker das Wort Demokratie nurmehr als hohle Phrase gebrauchen. Ihrem Verwandten im Geiste wird die Erste Krähe der europäischen Neoliberalen sicherlich kein Auge aushacken: Sie hat sich wohl eher für die gute Zusammenarbeit im Falkland-Krieg und die zupaß kommende Ermordung sozialistischer Gegner bedankt - ein wahrhaft demokratischer Akt.