Ein Wikinger als Verteidiger

In Cottbus wurde der Prozeß gegen elf Nazis eröffnet, die den Algerier Omar ben Noui zu Tode hetzten

"Wie kann man nur so blöd sein und sich so'n Anwalt nehmen", raunt jemand im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Cottbus. Der ist mit Pressevertretern, Zuschauern und den Angehörigen der Täter voll besetzt. Es ist der erste Verhandlungstag im Prozeß gegen die elf rechtsradikalen Schläger, denen der Tod des algerischen Asylbewerbers Omar ben Noui am 13. Februar nach einer Hetzjagd durch das Gubener Plattenbauviertel Obersprucke zur Last gelegt wird.

Die Bemerkung bezieht sich auf die Tatsache, daß einer der Jung-Faschos, Steffen Henze, von Wolfram Nahrath vertreten wird. Nahrath war von 1991 bis zu ihrem Verbot 1994 "Bundesführer" der Wiking-Jugend. Der Berliner Tagesspiegel nennt ihn einen "erbarmungslosen Szeneanwalt", und es steht zu erwarten, daß er im Lauf des Verfahrens und bei der Beweisaufnahme aus seiner neonazistischen Gesinnung keinen Hehl machen wird. Am ersten Tag nun läßt sich Nahrath von einem Kollegen vertreten - angeblich wegen einer Autopanne. Insgesamt elf Anwälte vertreten die Nazis, die sich hinter ihren jeweiligen Verteidigern niederlassen und nicht gerade Reue zeigen.

Sie werden sich nur allzu bewußt sein, daß trotz der Anklage-Vorwürfe - es geht um fahrlässige Tötung, schwere Körperverletzung, Volksverhetzung, Beleidigung, Bedrohung und Sachbeschädigung - wohl nur Bewährungsstrafen zu erwarten sind: Keiner der Täter ist über 20 Jahre alt, alle fallen unter das Jugendstrafrecht.

Entsprechend entspannt plaudern die jungen Deutschen miteinander, flüstern, machen kleine Späße und blicken arrogant ins Publikum. Einzig die zweite Anklage könnte für einige der Angeklagten zu härteren Strafen führen. Hintergrund: Nur eine Anklageschrift bezieht sich auf den Tod Omar ben Nouis und die Geschehnisse in der Nacht des 13. Februar. In ihr werden alle elf Angeklagten einer mehr oder weniger großen Tatbeteiligung beschuldigt.

Die zweite Anklageschrift betrifft nur die Angeklagten Denny T., Daniel R., Christian K., Ronny H. und Daniel S. Ihnen werden für den Zeitraum von September bis November 1998 brutale Verbrechen und Straftaten zur Last gelegt. Neben Einbrüchen geht es vor allem um die Vorwürfe des erpresserischen Menschenraubs, der Freiheitsberaubung, der schweren Körperverletzung und Nötigung.

Die Beschuldigten sollen, zum Teil zusammen mit weiteren Tätern, mehrfach Menschen entführt, eingesperrt und grausam mißhandelt haben. Einem ihrer Opfer haben sie - so heißt es in der Anklageschrift -, nachdem sie es in Klebeband eingewickelt und eine Nacht auf dem Fußboden liegengelassen hatten, das Kopfhaar mit Teppichschaum und Spray eingesprüht und angezündet - schwere Verbrennungen der Kopfhaut und der Händen waren die Folge.

Zwei andere Opfer, 16jährige Jugendliche, die zur Herausgabe eines Mopeds gezwungen werden sollten, bearbeiteten die Schläger mit einem Baseballschläger und ihren Stiefeln. Einer der Jugendlichen wurde mit dem Kopf gegen einen Laternenpfahl geworfen und anschließend mit einem Stuhlbein verprügelt. Den bereits erheblich verletzten Jugendlichen zwangen sie sodann, in einen Gulli zu steigen, um ihm anschließend den schweren Gullideckel auf den noch herausragenden Arm zu werfen. Der so Eingeklemmte wurde zum Abschluß noch von oben mit einer chlorhaltigen, ätzenden Flüssigkeit übergossen. Dem anderen Jugendlichen urinierten sie in die Mütze und setzten sie ihm dann auf. (Ein bemerkenswertes Detail berichtete einer der Betroffenen: Auf dem Heimweg nach diesen Mißhandlungen stoppte ihn die Polizei und verwarnte ihn wegen fehlender Fahrradbeleuchtung, ohne das Opfers auf seinen Zustand anzusprechen.)

Fassungslos hörte auch der Bruder des getöteten Omar ben Noui diesen Vorwürfen zu. Er hatte sichtlich Mühe, seine Fassung zu bewahren. Schließlich wurde die zweite Anklage verlesen, die sich auf die rassistische Hetzjagd und ihre tödlichen Folgen bezog. Hier sind auch Alexander Bode, ein Nazi-Kader mit guten NPD-Kontakten, Steffen H., Jörg D., René K., Marcel P., David B. und Steffen H. in die Anklage einbezogen (Jungle World, Nr. 8 und 9/99).

Die Anwälte der Verteidigung waren darauf vorbereitet. Schon am ersten Verhandlungstag wurde ihre Strategie deutlich: Mit Befangenheitsanträgen gegen das RichterInnenkollegium versuchten sie, die Verlesung der Anklageschriften zu verschleppen. Ihre Mandanten seien offensichtlich bereits vorverurteilt.

Bei einem informellen Vorgespräch mit allen Verteidigern, den Vertretern der vier Nebenklagen soll die damals vorsitzende Richterin es mit der Bemerkung: "Die haben ja nicht unerhebliche Straftaten begangen" an der gebotenen Unschuldsvermutung fehlen lassen, sagen die Verteidiger. Außerdem sei die Bemerkung einer Nebenklagevertreterin, die Angeklagten gehörten der rechten Szene an, unwidersprochen geblieben.

Die Strategie der Entpolitisierung ihrer Mandanten dürfte aber mit Wolfram Nahrath als Verteidiger nicht sehr überzeugend werden. "Das ist völlig irrelevant, was einer mal gemacht hat, der tut seine Arbeit genau wie wir", äußerte einer der Verteidiger. Alle Anwälte gaben an, von Nahraths Neonazi-Aktivität nichts gewußt zu haben.

Der 37jährige Nahrath stammt aus einer einschlägigen Nazi-Familie: Sein Bruder Ulf war Mitglied des FAP-Bundesvorstands, sein Vater Wolfgang fungierte als NPD-Bundesvorstandsmitglied und kandidierte noch 1994 für die Partei zum Europa-Parlament. Großvater Raoul Nahrath war ab 1954 der zweite "Bundesführer" der 1952 gegründeten Volkstreuen nordländischen Jugendbewegung, kurz: Wiking-Jugend, die sich konzeptionell an der Hitlerjugend und dem Bund Deutscher Mädel orientierte. Nach 42 Jahren wurde die Organisation schließlich im November 1994 verboten.