Flüchtlingspolitik der EU

Asyleinkauf auf Zeit

Die Festung Europa soll weiter ausgebaut werden. Mitte Oktober wird dies im finnischen Tampere auf einem EU-Sondergipfel Thema sein. Das aktuelle Kapitel europäischer Ausgrenzungspolitik heißt: Harmonisierung. Ein einheitliches Asylverfahren auf Zeit soll entwickelt, Flüchtlingskontigente sollen verteilt, ein effizienteres Grenzkontrollsystem geplant werden.

Das, was vor zwei Wochen aus Turku vom informellen Vorbereitungstreffen der EU-Innen- und Justizminister durchdrang, läßt keinen Zweifel: Größere Meinungsverschiedenheit wird es in Tampere nicht geben. Was die Abschottung nach außen betrifft, zieht man in der europäischen Gemeinschaft gerne an einem Strang.

Tonangebend waren in Turku der deutsche Innenminister Otto Schily und sein französischer Kollege Jean-Pierre Chevènement. Beide hatten mit einem gemeinsamen Papier die Grundlage für die Beschlüsse auf dem EU-Sondergipfel geliefert. Die beiden Innenminister legen vor allem Wert darauf, daß die Probleme "hier und dort" angegangen werden. Sie schlagen vor, in den Herkunftsländern Informationskampagnen zu starten.

Etwa so: Sagt den Menschen, die in ein EU-Land flüchten wollen, wie aussichtslos es ist, dort bleiben zu können, dann werden sie es bleiben lassen. "Fluchtursachen" in den Herkunftsländern bekämpfen, heißt das im offiziellen EU-Jargon. Oder: "Das Problem bei der Wurzel packen".

Kampf gegen illegale Einwanderung ist ein weiteres Kapitel, auf das vor allem Schily Wert legt. Weil EU-Harmonisierung nicht überall nützlich ist, will er hier individuelle Hintertürchen einbauen: Vorerst sollten Mitgliedsstaaten das Recht haben, bilaterale Abkommen mit sogenannten Dritt-, das heißt Nicht-EU-Staaten zu treffen. Deutschland denke darüber nach, eine solche Vereinbarung mit Indien, Rußland und der Türkei abzuschließen.

"Rückführung" leicht gemacht, heißt die Lektion, die der deutsche Innenminister seinen Kollegen gerne erteilt. Gut verstanden hat das der belgische Innenminister Antoine Duquesne: Europäische Solidarität sei vor allem dort gefragt, wo es darum geht, Abschiebepolitik zu organisieren, sagte er in Turku.

Daß sich auch künftig keine EU-Institution eine Rücknahme-Aktion der umgekehrten Art vorstellen kann - etwa Flüchtlinge wieder in die EU zu holen, wenn sie nach ihrer Abschiebung im Knast gelandet sind -, steht außer Zweifel. Bei der Vereinheitlichung geht es um eine Politik des "kleinsten gemeinsamen Nenners". Minimum-Standards für die Anerkennung von Flüchtlingen sollten einander angepaßt werden, heißt es deutlich in den "Richtlinien für eine Strategie für Europäische Migration", die bereits am 1. Juni dem Rat der Europäischen Union vorgelegt wurden.

Es sei ratsam, zusätzliche "Schutz"-Abkommen zur Genfer Flüchtlingskonvention auszuarbeiten, so die "Richtlinien" weiter. Einzelfälle seien nicht vergleichbar mit einer Massenflucht. Der Schutz durch die Genfer Konvention soll nicht automatisch "permanent" gelten, allenfalls verlängerbar sein - zum Beispiel dann, wenn Rückkehr außer Frage steht.

Laut nachgedacht wird über einen "Europäischen Flüchtlingsstatus", der die Genfer Konvention "ergänzen" könnte. Daß ein solches "Asyl auf Zeit" Flüchtlinge endgültig zu Menschen mit Sonderstatus degradiert, liegt auf der Hand.

Wie man sich in Brüssel den "gemeinen Flüchtling schlechthin" vorstellt, zeigt ein Begriff, der in Ministerkreisen gerade in ist: "asylum shopping". Gemeint ist das Wechseln von Flüchtlingen von einem EU-Staat in den nächsten, auf der Suche nach dem Land mit der lockersten Gesetzgebung und den am längsten dauernden Verfahren. Gerade wegen dieser angeblichen Lust am "shopping" eines jeden Flüchtlings bräuchten die EU-Staaten eine einheitliche Politik, darin war man sich einig: Der Schengenraum soll erweitert und sicherer werden.

Da ist es fast schon erstaunlich, daß die italienische Innenministerin Rosa Russo-Jervolino eine alte Forderung der Flüchtlingsorganisationen aufgriff: Als Fluchtgrund müsse ebenfalls die Diskriminierung wegen des Geschlechts oder der "ethnischen Zugehörigkeit" gelten.

Eins steht fest: Nach Tampere wird die Zahl derer, denen solche "fortschrittlichen" Maßnahmen nutzen könnten, weiter sinken.