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Die EU-Staaten wollen ihre Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu Libyen ausbauen. Muammar al-Gaddafi kommt ihnen dabei entgegen

Nach 30 Jahren an der Spitze der Libysch-Arabischen Volks-Dschamahirija will er kein Rebell mehr sein. Muammar al-Gaddafi lockt seit Monaten europäische Investoren an: "Italien ist Libyens Brücke nach Europa", erklärte der libysche Staatschef zuletzt im August dem italienischen Außenminister Lamberto Dini.

Dini war schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen nach Libyen gereist, um einen Vertrag über eine Gaspipeline von Libyen nach Italien abzuschließen. "Mit dieser Pipeline verbinden wir Afrika und Europa", verkündete Gaddafi stolz, und Dini antwortete ebenso enthusiastisch: "Unsere Beziehungen zu Libyen treten in eine neue Epoche ein."

Italien wünscht sich gute Geschäfte mit dem nordafrikanischen Staat. Die süditalienische Region Sizilien ist schon einen Schritt weiter. Kaum war das UN-Embargo gegen Libyen im April 1999 aufgehoben, reisten sizilianische Politiker und Universitätsprofessoren nach Tripolis, um Kontakte zu libyschen Firmen zu knüpfen und gemeinsame Projekte zu starten.

Eine bessere Zusammenarbeit wünschen sich die Sizilianer vor allem in den Bereichen Tourismus, Gesundheit und insbesondere bei der Fischerei. Die Jahrzehnte währenden Streitereien über die Fangrechte vor den Küsten sollen endlich mit einem gemeinsamen Vertrag, in dem beide Seiten bestimmte Fangquoten anerkennen, beendet werden. Hinzu kommt das Erdöl: Italien nimmt fast die Hälfte der libyschen Öl- und Gasexporte ab, Spanien rund 13 Prozent. Für die Bundesrepublik ist Libyen der viertgrößte Rohöllieferant.

Die lange Zeit der libyschen Isolation geht somit zu Ende, selbst wenn der "Staat der libysch-arabischen Volksmassen" samt seinem Schöpfer Gaddafi manchen europäischen Ländern und vor allem den USA nach wie vor suspekt ist. Washington nennt Libyen, wie auch den Irak oder Nordkorea, immer noch einen "Schurkenstaat, der den internationalen Terrorismus fördert".

1969 hatte Gaddafi die libysche Erbmonarchie unter König Idris gestürzt. Einmal an der Macht, enteignete er den Besitz der italienischen Ex-Kolonisten und warf sie aus dem Land. Britische und US-Militärstützpunkte ließ er schließen. Als Gaddafi mit dem Geld aus Libyens Ölquellen Befreiungsbewegungen wie den südafrikanischen ANC unterstützte, erklärten die USA ihn zum "gefährlichsten Mann der Welt".

Libyen wurde auch beschuldigt, hinter dem Anschlag auf die Berliner Diskothek La Belle im Jahr 1986 zu stecken. Ronald Reagan ließ deshalb die libyschen Städte Tripolis und Benghasi bombardieren. Als im Dezember 1988 ein Flugzeug der US-Fluggesellschaft PanAm über Lockerbie in Schottland explodierte, wurden libysche Agenten dafür verantwortlich gemacht. Gaddafi weigerte sich jedoch, die mutmaßlichen Täter auszuliefern. Die Vereinten Nationen verhängten ein Flug- und Rüstungsembargo, ließen libysche Auslandsguthaben einfrieren und stoppten Materiallieferungen für die Ölindustrie. Washington hatte bereits 1986 sämtliche Wirtschaftsbeziehungen abgebrochen. Erst im April dieses Jahres setzte die Uno das Embargo aus, nachdem Gaddafi die mutmaßlichen Lockerbie-Attentäter überstellt hatte. Einst vertriebenen Italienern gestattete er die Rückkehr nach Libyen.

Auch die Zeit der Unterstützung von Rebellenbewegungen scheint für Gaddafi vorbei zu sein. Seine neue Rolle in Afrika scheint er nun in der des Friedensstifters gefunden zu haben: In Sierra Leone, im Grenzkrieg zwischen Äthiopien und Eritrea, in der Demokratischen Republik Kongo - überall versucht er zu vermitteln und Waffenstillstände auszuhandeln. Die afrikanischen Staatschefs danken ihm sein Engagement. Schon 1997 teilte die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) mit, sie fühle sich nicht mehr an das von der Uno verhängte Flugverbot gebunden. Nun, da das Embargo ausgesetzt ist, kann Gaddafi sich freuen: Durch die Sanktionen hatte sein Land wirtschaftliche Einbußen von etwa 40 Milliarden Mark erlitten.

Im Juli nahm er erstmals seit 22 Jahren wieder an einem OAU-Gipfel teil - und wurde wie ein verlorener Sohn empfangen. Man berief einen Sondergipfel der OAU für Anfang September in Sirte, der Geburtsstadt Gaddafis, ein, der zeitgleich mit den Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag von Gaddafis Machtübernahme stattfand. Die 43 anwesenden afrikanischen Staatschefs forderten eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit in Afrika, die Schaffung einer afrikanischen Währungsunion, einer gemeinsamen Zentralbank und eines Gerichtshofes - all das nach dem Vorbild der EU. Außerdem soll bereits im nächsten Jahr ein gesamtafrikanisches Parlament seine Arbeit aufnehmen.

Ausdrücklich würdigten die Gipfelteilnehmer das Engagement des libyschen Staatschefs. Gaddafi, selbsterklärter "Architekt der afrikanischen Einheit", hatte im Vorfeld des Gipfels die Schaffung der Vereinigten Staaten von Afrika gefordert. Das war einigen Teilnehmern zwar zu forsch, aber Gaddafi verließ den Gipfel dennoch als gefeierter Staatsmann. Die Panafrican News Agency bezeichnete das OAU-Treffen sogar als Gaddafis größten diplomatischen Coup in seiner dreißigjährigen Amtszeit.

Die zunehmende Beliebtheit des libyschen Revolutionsführers wird auch in Europa zur Kenntnis genommen. Die EU hob Anfang September offiziell ihre Sanktionen gegen Libyen auf - lediglich das Waffenembargo bleibt bestehen. Außerdem soll die Dschamahirija in das politische und wirtschaftliche Partnerschaftsprogramm Europa-Mittelmeer (Meda) als Mitglied aufgenommen werden.

Auf der Karte des Meda-Programms war Libyen bislang ein weißer Fleck. Die anderen nordafrikanischen Staaten erhielten aus dem Finanztopf des Programms zwischen 1995 und 1999 fast fünf Milliarden Euro und zahlreiche Zollermäßigungen für die Ausfuhr ihrer Produkte nach Europa. Im Gegenzug mußten sie ihre Märkte für europäische Ausfuhrprodukte öffnen. Libyen bekam nichts, mußte sich aber auch nicht der Marktöffnungsstrategie der EU anpassen.

Das wird sich vielleicht bald ändern. Europa setzt im Mittelmeerraum auf Partner, die dafür sorgen, daß Flüchtlinge und Drogen der EU möglichst fernbleiben, während europäische Firmen dort investieren sollen. Das deutsche Auswärtige Amt brachte bei vergangenen Staatsbesuchen libyscher Politiker immer wieder zum Ausdruck, daß es eine Einbeziehung Libyens in das europäische Mittelmeerprogramm unterstütze. Bedingung: Libyen müsse die Lockerbie-Attentäter ausliefern.

Dies ist nun geschehen, und Europa hofft, die seit Jahren rückläufigen Exporte nach Libyen endlich wieder steigern zu können. Gaddafi nährt diese Hoffnungen gerne. Anfang September veranstaltete er eine internationale Konferenz über Investitionen und Handel in Libyen. 200 potentielle Investoren und mehr als 100 Journalisten reisten an. Die französische Tageszeitung Le Figaro lobte: "Man lebt nicht schlecht in Libyen." Auch die USA werden Libyen nicht mehr lange als "Schurken" behandeln können, wenn sie Europa in Nordafrika ökonomisch nicht das Feld überlassen wollen. Eine Pepsi Cola-Road gibt es bereits in Tripolis.