Der ausgesetzte Notstand

Nach heftigen Unruhen verschieben Indonesiens Regierung und Militär das Sicherheitsgesetz

Zwei Tage Riots in Jakarta und kein Ende in Sicht - da wurde das neue indonesische Gesetz zur "Gefahrprävention" auf die lange Bank geschoben. Bezeichnenderweise kündigte Militärsprecher Generalmajor Sudrajat - für das Kabinett - den taktischen Rückzug im lokalen Radiosender Sonora an: "Die Regierung hat beschlossen, die Bestätigung dieses Gesetzes auf einen geeigneten Zeitpunkt zu verschieben." Denn die Hälfte der Bevölkerung würde den Inhalt des Gesetzes nicht verstehen. Neben dem Verlust der unumschränkten Gewalt über Ost-Timor ist dies eine weitere Niederlage des indonesischen Militärs.

Doch die Verschiebung war den Rebellierenden nicht genug. Am Samstag lieferten sich etwa 2 000 Demonstranten, überwiegend Studenten, in Medan auf Sumatra eine Straßenschlacht mit der Polizei. Sie forderten, das Gesetz müsse ganz zurückgezogen werden.

Das Notstandsgesetz hat es in sich. Es verleiht dem Präsidenten die Macht, mit Zustimmung des Parlaments Provinzen - auf deren Antrag hin - bis zu sechs Monate lang zum Notstandsgebiet zu erklären. In diesem Fall, schrieb die Jakarta Post, könne das Militär die Funktion einer zivilen Regierung übernehmen und u.a. Demonstrationen verbieten sowie das Telefonnetz und den Postdienst übernehmen. Nebenbei war die Verabschiedung dieses seit zehn Jahren in den Schubladen ruhenden Gesetzes einer der letzten, hastig vollzogenen Akte des alten, unter Ex-Diktator Suharto zusammengestellten Parlaments.

Die Riots in Jakarta waren hart. An ihnen beteiligten sich neben Studenten nach Medienberichten auch Anwohner und Arbeiter aus den Vorstädten. Am Donnerstag versuchten mindestens 5 000 Demonstranten zum Parlamentsgebäude durchzudringen, wo über das Gesetz abgestimmt wurde. Die Auseinandersetzungen begannen, als die Polizei die Menge etwa einen Kilometer vor dem Gebäude zu stoppen suchte. Sie dauerten die ganze Nacht und den darauffolgenden Vormittag an. Bis zu zehntausend Menschen beteiligten sich an den Kämpfen gegen die Sicherheitskräfte; Steine, Molotow-Cocktails und alles, was sich werfen ließ, auf der einen Seite, Tränengas, Wasserwerfer, Plastikgeschosse auf der anderen.

Drei Demonstranten wurden nach Angaben eines Gerichtsmediziners aus großer Entfernung erschossen, ein Polizist wurde mit einem Auto umgefahren. In der Nacht zum Samstag, die Unruhen waren weitgehend beendet, eröffneten Polizisten, nach einem Bericht der Jakarta Post, aus rund zehn Mannschaftswagen, die offenbar auf dem Rückweg in die Kasernen waren, nahe der Atma Jaya Universität wahllos das Feuer. Zwei Menschen seien dabei getötet worden. Das Militär bestreitet den Einsatz scharfer Munition während der Auseinandersetzungen.

Die Atma Jaya Universität war im vergangenen Jahr ein Zentrum der Revolten gewesen, die zum Sturz Suhartos führten; am Freitag wurde sie von 500 Angehörigen der Anti-Aufstandseinheiten gestürmt, die mit Tränengas und Plastikmunition um sich schossen. Ein Student bezeichnete sie als "Mörder und Piraten". Am Spätnachmittag stellten sich nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP zudem etwa 2 500 machetenschwingende Männer einer islamischen Pro-Regierungsgruppe auf die Seite der Sicherheitskräfte. Zu weiteren Auseinandersetzungen kam es in Surabaya und Malang, in Bandung wurde kurzfristig die Radiostation besetzt. Am Samstag war in Jakarta Trauertag: 700 Studenten versammelten sich in der Alma Atya Universität, forderten den Rücktritt von Verteidigungsminister und Armeechef Wiranto und Präsident Bacharuddin Jussuf Habibie und riefen: "Revolution, bis wir sterben."

Das alles könnte nur ein Vorgeschmack auf kommende Ereignisse sein. Schon wurde der Einsatz von 60 000 Sicherheitskräften angekündigt, die in den Straßen von Jakarta Ende dieser Woche dafür sorgen sollen, daß eine Sitzung der Beratenden Volksversammlung ohne größere Störungen über die Bühne geht. Im Juni wurde gewählt, und die Beratende Volksversammlung hat im November zwei Entscheidungen zu treffen.

Zum einen soll ein Präsident gewählt werden. Der amtierende, der "german boy" Habibie, will ein weiteres Mal den Posten einnehmen. Aber die regierende Golkar-Partei des Ex-Diktators Suharto, die Habibie unterstützen wird, hat im Juni lediglich 22 Prozent der Stimmen eingefahren. Zudem ist Habibie durch die Bank Bali-Affäre angeschlagen. Mehr als 60 Millionen Dollar hat die Bank Bali an einen Golkar-Offiziellen überwiesen. Kritische Studenten befürchten, daß das Geld zum Stimmenkauf für die Präsidentenwahl eingesetzt werden sollte; sie wollen versuchen, den Abgeordneten auf die Finger zu schauen.

Zum Zünglein an der Waage dürfte das Militär werden, das in der Beratenden Volksversammlung immer noch 55 Sitze haben wird. Bislang machten in Jakarta Mutmaßungen die Runde, Wiranto spekuliere auf den Vize-Präsidentenposten; zumindest wird erwartet, daß er sich hinter den Kandidaten stellt, der die Privilegien des Militärs am besten schützt. Beides könnte er nicht nur mit Habibie, sondern auch durch ein Arrangement mit Megawati Sukarnoputri erlangen, die ebenfalls gute Aussichten auf den Präsidentensessel hat. Ihre Demokratische Partei Indonesiens (PDI-P) kam im Juni auf 33,6 Prozent. Und Megawati beherrscht ebenfalls die Kunst der Palastintrige.

Die zweite Entscheidung der Beratenden Volksversammlung betrifft die Anerkennung des Votums in Ost-Timor, das gegen den Willen der Militärs mit rund 80prozentiger Mehrheit für die Unabhängigkeit Ost-Timors von Indonesien ausgefallen ist. Seit der Abstimmung Ende August wüteten dort pro-indonesische Milizen im Verein mit dem indonesischen Militär. Rund 7 000 Menschen sind nach UN-Angaben bislang umgebracht worden, einige Hunderttausend sind in die Berge oder aber nach West-Timor geflüchtet, also auf indonesisches Staatsgebiet. In West-Timor werden sie von Milizen terrorisiert; die sollen sich auch in Städten um die ost-timoresische Hauptstadt Dili sammeln, um eventuell Angriffe gegen die internationalen Truppen vorzubereiten.

Die von Australien angeführte, international zusammengesetzte Interventionstruppe (Interfet) hat mittlerweile weitgehend die Kontrolle über Dili übernommen. Die abziehenden indonesischen Truppen hinterließen dort eine Spur der Verwüstung. Sie verbrannten Baracken, Benzindepots, die Radiostation und Wohnhäuser. 4 500 indonesische Soldaten sollen, so sagte ein lokaler Militärkommandeur, noch bis zu einem Monat in Ost-Timor bleiben.

Für die australischen Truppen ist das der erste größere Einsatz nach dem Vietnam-Krieg. Dort hat auch der Oberkommandierende der Interfet, Generalmajor Peter Cosgrove, seine ersten Lorbeeren verdient: beim "Ausräuchern" einer Tunnelanlage des Vietcong. Im übrigen sind Spannungen innerhalb der Interfet-Truppe zwischen asiatischen und australischen Beteiligten kaum mehr zu übersehen. Sie wurden angeheizt, als der australische Premierminister John Howard in der vergangenen Woche sagte, Australien sehe sich nun als "friedenserhaltender Vertreter" der USA in Asien.