Eine politische Schußfahrt

Gestern noch ein Skistar, morgen schon FPÖ-Abgeordneter: Patrick Ortlieb

Wie es dazu kam, muß man sich wohl so vorstellen: Als der Skistar im Januar dieses Jahres beim Abfahrtsrennen auf der Streif in Kitzbühel schwer stürzte, sah er ein, daß er mit 32 Jahren allmählich zu alt dafür war, auf vereisten Pisten ins Tal zu rasen. Einer wie er könnte natürlich als Trainer weitermachen oder als Manager. Olympiasieger ist er schließlich gewesen und auch Weltmeister. Aber das kam nicht in Frage. "Dann wäre alles so weitergelaufen, mit den gleichen Leuten", sagt er.

Statt dessen geht Patrick Ortlieb nun in die Politik, FPÖ-Chef Jörg Haider hat den Skifahrer, der von Journalisten gerne als "der Intellektuelle" bezeichnet wird oder als "der Querdenker", weil er sich Gedanken mache um das Fortkommen des internationalen Skizirkus und seiner Artisten, einen sicheren Listenplatz angeboten. Der Widerstand von Ortliebs Frau, die dagegen war, daß ihr Mann bei "dieser Partei mit der Ausländerfeindlichkeit" mitmache, war nach einem persönlichen Treffen mit Haider schnell erledigt.

Und nun präsentiert die rechtsradikale Partei den Skistar der Öffentlichkeit auf dem zweiten Platz der Wahlliste. Es werden Plakate gedruckt und aufgehängt, von denen rechts Patrick Ortlieb lacht und links Thomas Prinzhorn, der Spitzenkandidat der FPÖ für die Nationalratswahl am 3. Oktober. Und in der Mitte zwischen beiden freut sich Jörg Haider.

Ortliebs Kandidatur bedeutet schließlich einen weiteren Schritt in Richtung Hoffähigkeit. Das weiß auch der Sportler: "Ich sehe mich als Botschafter für Leute, die sich bislang nicht getraut haben. Jetzt sehen sie: Eigentlich ist doch gar nichts dabei."

Die jüngsten Umfrageergebnisse sagen der FPÖ bis zu 30 Prozent bei der Nationalratswahl voraus. Damit läge sie hinter der SPÖ auf Platz zwei, deutlich vor der konservativen ÖVP, eine Regierungsbeteiligung wird nicht mehr ausgeschlossen. Fast die Hälfte aller Österreicher halten die FPÖ sowieso für regierungsfähig, ganz kühne Vorherseher sprechen sogar vom neuen Bundeskanzler Jörg Haider, als Chef einer Koalition aus FPÖ und ÖVP.

Als Haider mit einem Volksbegehren vor sechs Jahren gegen Ausländer ins Feld zog, regte sich noch öffentlicher Protest. Ein Gericht entschied, man dürfe ihn ungestraft als den Ziehvater des rechtsextremen Terrors bezeichnen, der sich Anfang und Mitte der neunziger Jahre in Österreich vor allem in einer Welle von Briefbomben manifestierte. Heute stellt sich Patrick Ortlieb an die Seite des FPÖ-Chefs und sagt, daß man vom "Doktor Haider" noch eine ganze Menge lernen könne. In Ortliebs Bundesland Vorarlberg wurde zehn Tage nach der Bekanntgabe seiner Kandidatur das Landesparlament gewählt. Die FPÖ steigerte sich dabei deutlich, kam auf 27,5 Prozent und verhinderte zum ersten Mal seit 1945 die absolute Mehrheit der ÖVP.

Ortlieb ist ein sympathischer Typ, ein "Heimatbursch" aus Lech am Arlberg. Im Skihotel "Montana", das er gemeinsam mit seinen Eltern führt, hängt seine olympische Goldmedaille, die er 1992 in Albertville im Abfahrtslauf gewonnen hat, in einer pyramidenförmigen Vitrine. Zwei Töchter hat er. Er ist viel herumgekommen in der Welt. Und trotzdem als Ski-Weltbürger jetzt der populistischen und nationalistischen FPÖ in die Arme gelaufen, einer Partei, die auf Ressentiments setzt und auf deren Plakaten in Wien "Stopp der Überfremdung", "Stopp dem Asylmißbrauch" und "Österreich zuerst" zu lesen ist.

Warum? Da muß Ortlieb erst einmal verlegen lächeln, und dann sagt er: "Das Thema wird in anderen Ländern wie Liechtenstein, der Schweiz oder den USA viel rigoroser behandelt. Österreich ist nicht ausländerfeindlich." Aber von sieben Millionen Menschen seien immerhin eine Million Ausländer und dazu kämen noch Hunderttausende Illegale. "Man muß die Lage beruhigen", sagt er und erwähnt natürlich nicht, daß die "Nettozuwanderung" in Österreich mittlerweile gegen Null geht.

Aber viel lieber als über die Ausländerpolitik redet Ortlieb sowieso über den Sport und den Tourismus. Da kennt er sich schließlich aus. Das sind seine Themen, die er im Wahlkampf stark machen soll. Der Schulsport solle wieder den Stellenwert bekommen, den er verdiene, erklärt Ortlieb und die "Flat tax", die Einführung einer Niedrigsteuer werde den kleinen Tourismusbetrieben endlich dazu verhelfen, Eigenkapital zu bilden. Noch besser ankommen beim Volk wird aber sicher, wie er über die politische Klasse herzieht, ganz im Stile des "Doktor Haider": "Ich habe viele Politiker nur bei Ehrungen gesehen und dann, wenn sie sich neben einen anderen Prominenten stellen können. Aber die sollen arbeiten. Deswegen tut es vielleicht gut, daß ihnen einer die Daumenschrauben anlegt."

Er habe genau wie viele andere in Österreich, die "jung sind und logisch denken" die Nase voll von 13 Jahren SPÖ-ÖVP-Koalition, von Postenschacher und Freunderlwirtschaft. Es sei Zeit für den Wechsel, sagt er und empfiehlt sich mit seinem populistischen Politikverständnis sofort für die Stammtische. Das Gute an der FPÖ sei eben, daß sie sich Ziele setze und dafür auch kämpfe, sagt Ortlieb. Die FPÖ also als großer Sportverein, dessen erste Mannschaft, von Haider persönlich nominiert, jetzt langsam an die Tabellenspitze strebt.

Aufgestellt wird nicht nach politischer Leistung, sondern nach dem, was das Publikum gerne sehen möchte. Hinter Ortlieb auf Platz drei der Bundesliste hat Haider die ehemalige ORF-Moderatorin Theresia Zierler gesetzt. Von Politik hat sie ungefähr genausoviel Ahnung wie Ortlieb, aber sie ist eben auch bekannt. Die Taktik des großen Vereins FPÖ ändert sich nun ständig. Mal kommt es zu klassischen rechtspopulistischen Attacken, mal zu integrierendem Aufbauspiel.

"Eine fundamentale Transformation des Erscheinungsbilds" hat der Wiener Politikwissenschaftler Fritz Plasser bei der FPÖ festgestellt, das Bemühen, "sich zu moderieren, stärker mit Sachthemen auseinanderzusetzen und als social caring party aufzutreten". Die FPÖ sei viel differenzierter geworden und auch fast nicht mehr zu vergleichen mit den Republikanern oder der DVU in Deutschland. Sie sei eine Partei, die sich an die politischen Spielregeln halte, sagt Plasser, fügt aber sofort hinzu, daß die FPÖ mit ihrer Ausrichtung konträr zu aller Integration stehe, Ängste schüre, mit negativen Mobilisierungsfaktoren arbeite und bei weiterem Einflußgewinn der Freiheitlichen eine Vergiftung des politischen Klimas zu befürchten sei.

Glauben wird ihm das natürlich keiner, weil Patrick Ortlieb die Wähler so freundlich anlächelt und weder als Biedermann noch als Brandstifter auftritt. Er redet sich nicht in Rage. Manchmal wartet er mit seinem nächsten Satz und stellt noch ein fragendes "Oder?" hintenan. Nur am ersten Tag habe es negative Reaktionen auf seine Kandidatur gegeben. "Es gab ein paar Leute, die ihren Frust loswerden wollten." Anschließend sei ihm jedoch von vielen Mut zugesprochen worden. In seiner Zeit als aktiver Skifahrer habe es oft politische Diskussionen in der Mannschaft gegeben. Da habe er auch schon Positionen der FPÖ vertreten. Und nicht nur er, es seien auch andere gewesen. Wer, das läßt Ortlieb erst einmal offen: "Die sind noch aktiv, die Burschen."

Aber irgendwann wird es wieder so sein: Sie werden feststellen, daß sie zu alt sind, um auf vereisten Pisten ins Tal zu stürzen. Und Trainer oder Manager, das ist ihnen doch zu langweilig. Es muß etwas Neues sein. Also bereiten sie sich auf eine Schußfahrt vor, die vor ihnen schon ein anderer Sportler mitgemacht hat.