Im Reich des Ungewissen

Aneignungen von Populärkultur im Süden: Rambo bei den Aborigines, JR bei den Arabern

Als der Globetrotter und Schriftsteller Paul Theroux die Solomon-Inseln besuchte, stellte er fest, daß Rambo dort ein Volksheld ist und daß auch abgelegen wohnende Dorfbewohner mittels eines Generators einen Videorecorder betrieben, um seine Filme abspielen zu können.

Auch anderswo in Süd- und Ostasien ist Rambo eine populäre Figur. Auf den ersten Blick könnte dies eine Bestätigung dafür sein, daß die globale Kulturindustrie homogenisierende Effekte im "Süden" hervorbringt: Rambo und andere imperialistische Texte des "american way of life" sorgen dafür, daß die Werte und Ideologien des amerikanischen Kapitalismus auf der ganzen Welt zum Standard werden. Die Zirkulation und Verfügbarkeit medialer Texte und Konsumwaren führt zur Nivellierung lokaler Kulturen und zur totalen Manipulation der Rezipienten. In dieser Lesart ist der Globalisierungsprozeß gleichbedeutend mit einer vereinheitlichten und für alle verbindlichen Weltkultur.

Gegen diese Theorie des kulturellen Imperialismus wurden in den letzten Jahren vor allem seitens der Cultural Studies gewichtige Einwände formuliert. Die Hauptkritik war, daß zu schnell und quasi automatisch von einer Analyse der Produkte auf deren Rezeption geschlossen wurde. So wurde selten untersucht, wie Konsumgüter und Medien in lokalen alltäglichen Kontexten tatsächlich angeeignet werden. Der "Held" Rambo, der sich gegen unzählige Feinde durchsetzt und alle Arten von Gefahren meistert, ist zunächst natürlich eine Figur, die überall eine große und vielfältige Anziehungskraft besitzt. Sind die Lesarten in Illinois, Hessen, Burma und auf den Solomon-Inseln aber wirklich alle gleich?

Der amerikanische Anthropologe Eric Michaels spürte in seinen Untersuchungen bei den Aborigines in den Wüsten Zentralaustraliens der Popularität von Rambo nach. Dort wird er als Held der Dritten Welt gesehen, da er sich in dem Film gegen eine weiße Offiziersklasse durchsetzt. Diese Lesart spiegelt die negativen Erfahrung mit den "Weißen" in Australien, insbesondere mit der Obrigkeit, wider.

Während Rambo in den USA, so z. B. von dem früheren Präsidenten Ronald Reagan, vor dem Hintergrund des West-Ost-Konfliktes als individualistischer, nationalistisch gesinnter Einzelkämpfer für die richtige Sache betrachtet wurde, produzieren die Aborigines in der Auseinandersetzung mit dem medialen Text Interpretationen, die für ihre Erfahrung als subordinierte Bevölkerungsgruppe relevant sind. Ungeachtet der Frage, ob und inwieweit nun andere Werte der westlichen Dominanzkultur lediglich reproduziert werden, ist Rambo hier in diesem spezifischen Kontext eine Identifikationsfigur geworden, die sich stellvertretend für die Aborigines in ethnischen Auseinandersetzungen behauptet.

John Fiske, der wohl bekannteste und am meisten kritisierte Vertreter dieses Zweiges der Cultural Studies, sieht Widerstand dort, wo die Lesarten der Marginalisierten den hegemonialen, vom Text nahegelegten Interpretationen widersprechen. Die soziale Positionierung in der australischen Gesellschaft ermögliche den Aborigines eine produktive Umdeutung des Hollywood-Textes. Die lustvolle und gemeinschaftliche Rezeption von Rambo sei ein wichtiger Bestandteil ihrer oppositionellen Kultur.

Was Michaels und Fiske hier beschreiben, darf nun aber nicht als typische Rezeptionsweise mißverstanden werden. Nicht jede Aneignung eines westlichen Produkts im Süden zeichnet sich durch Widerspenstigkeit oder Oppositionalität aus. Mit diesen Analysen werden eher Optionen benannt, "moments of freedom", wie der Anthropologe Johannes Fabian in seinen Untersuchungen zur Populärkultur in Afrika schreibt.

Marginalisierte und subordinierte Gruppen können kulturelle Ressourcen zur Sinnschöpfung, zur Identitätsbildung und zur Ausbildung von Eigensinn nutzen, müssen dies aber nicht zwangsläufig. Ohne den einfachen Umkehrschluß zur Imperialismusthese zu vollziehen und einem kulturellen Partikularismus das Wort reden zu wollen, und ohne in jeder differenten Lesart gleich den Schlüssel oder die Vorbedingung für eine Emanzipation der Menschen im Süden zu sehen, lassen sich jedoch unterschiedliche, kulturell geprägte Interpretationsweisen feststellen.

Die Cultural Studies können vor dem Hintergrund der globalen Postmoderne zu einem besseren Verständnis dieser Prozesse, in denen sich Populärkultur als Differenz und Widerstand artikuliert, beitragen.

Auch David Miller hat in einer spannenden Studie am Beispiel der US-Soap "The Young and the Restless" in Trinidad herausgearbeitet, daß die Rezeption mehr als nur der einseitige Export und Konsum nordamerikanischer Kultur ist. Soap Operas sind vielmehr einer "Lokalisierung" unterworfen, da sie in lokale Praktiken und Bedeutungszuschreibungen eingebunden werden. Die Rezeption von "The Young and the Restless" ist wie die von Telenovelas in Südamerika eine gemeinschaftliche Aktivität, in der die Zuschauer z. B. durch das Sprechen über die Serie einen Bezug zu ihrem Alltag herstellen.

Das gilt insbesondere für den Klatsch über die oft anstößigen sexuellen Beziehungen und Verwicklungen in der Serie, denn in Trinidad gibt es die weitverbreitete Vorstellung, "Wahrheit" würde durch skandalöse Enthüllungen ans Tageslicht gebracht. Darüber hinaus bietet vor allem die Mode in der Serie viel Gesprächsstoff für die Zuschauer und auch Anleitungen für eigene Selbstinszenierungen, die sich durchaus von den westlichen unterscheiden. Eine Analyse der rein formalinhaltlichen Merkmale von medialen Texten ist in Millers Verständnis ungenügend. Ebenso ist es wichtig, die lokalen Prozesse der Rezeption zu untersuchen, die nicht vorab bestimmbar, die kontingent und kontextuell spezifisch sind. Ähnliches gilt für "Dallas".

Die weltweit erfolgreiche und populäre texanische Soap "Dallas" war für viele Kulturkritiker in den achtziger Jahren ein Synonym für kulturellen Imperialismus. Die ostentative Darstellung von Reichtum und Luxus wurde ideologiekritisch hinterfragt. Wie die Sendung wirklich rezipiert wurde, untersuchten die Kritiker nicht. Tamar Liebes und Elihu Katz hingegen wiesen in ihrer umfassenden empirischen Studie über die Rezeption von "Dallas" nach, daß es zwischen und innerhalb von verschiedenen nationalen und ethnischen Kontexten stets einen Spielraum für Interpretationen gibt, den die Zuschauer auch aktiv nutzen. Die Studie basierte neben einem Fragebogen auf offen strukturierten Gruppendiskussionen, die durchgeführt wurden, nachdem die Teilnehmer unterschiedlicher Herkunft - Marokkaner, Russen, Araber, Japaner, Amerikaner und Israeli, die im Kibbuz lebten - jeweils eine Episode von Dallas gesehen hatten.

Die komplexen Ergebnisse der Studie können an dieser Stelle nicht umfassend dargestellt werden. Festzuhalten bleibt aber, daß es schon bei der Diskussion des Inhalts der geschauten Episode innerhalb und zwischen diesen Gruppen divergente Lesarten gab. So kam es in einer arabischen Gruppe zu folgender "Fehllektüre": In einer Episode hat Sue Ellen ihren Mann JR mit ihrem Baby verlassen und ist in das Haus ihres früheren Liebhabers und dessen Vater geflüchtet. Diese Gruppe bestärkte sich in der Diskussion gegenseitig in der Interpretation, daß sie ihren Mann verlassen hätte, um im Haus ihres eigenen Vaters zu leben.

Darüber hinaus konnten Katz und Liebes zeigen, daß die verschiedenen Gruppen die im Programm enthaltenen Werte vor dem Hintergrund ihrer kulturellen Erfahrungen kritisierten. Insbesondere die arabischen Gruppen lehnten die westliche Dekadenz ab, die sich in der Serie ihrer Ansicht nach in zerrütteten Familienstrukturen, in sexueller Immoralität und in der Zurschaustellung von Reichtum und Luxus äußerten. Einige der russischen Gruppen entwickelten Verschwörungstheorien und waren der Auffassung, die Produzenten würden mit Absicht die Wirklichkeit verzerrt darstellen, um die Zuschauer zu beeinflussen. Große Teile der Amerikaner, Kibbuzniks und Japaner waren auch kritisch, aber eher in bezug auf die Ästhetik des Programms und die Kompetenz der Produzenten.

Die Ergebnisse der Studie von Liebes und Katz weisen darauf hin, daß die Rezeption und Aneignung globaler Medienprodukte ein aktiver sozialer Prozeß ist. Jeder und jede verfügt über eine kritische Kompetenz, die sich aus bestimmten kulturellen und persönlichen Erfahrungen speist. Medienrezeption im Süden ist kein autoritärer und manipulierender topdown-Mechanismus, wie viele Kritiker annehmen. Innerhalb des vorgefundenen Materials gibt es genug Spielräume, die es den aktiv Zuschauenden ermöglichen, ihre eigene kulturelle Identität mitzugestalten und ihren "Widerstand" gegen den Einfluß der "imperialistischen US-Programme" zu artikulieren. In einer allzu einseitigen Ausrichtung stellt somit die Theorie des kulturellen Imperialismus in vielem eine polemische Zuspitzung dar.

Die Macht des Globalen darf nicht überschätzt werden, denn die globalen Medienprodukte werden lokal neu artikuliert. Es kommt zu Prozessen der Deterritorialisierung und Hybridisierung. Symbole, Zeichen und Ideologien sind ständigen Veränderungen unterworfen, denn sie werden aus ihren ursprünglichen Kontexten herausgelöst und gewinnen in Vermischung mit anderen kulturellen Elementen eine neue Bedeutung. So wird z.B. der in den amerikanischen "Ghettos" entstandene Rap in Lateinamerika von Künstlern mit Salsa, Reggae und Pop verbunden. Überall auf der Welt werden eigene Versionen räumlich entfernter Kulturen geschaffen. Deshalb impliziert Globalisierung immer auch Prozesse der Reterritorialisierung. Durch den produktiven und kreativen Gebrauch globaler Ressourcen konstituieren sich Kulturen ständig neu.

Mit Recht beschreibt Stuart Hall die gegenwärtige Globalisierung als eine Struktur, die gleichzeitig global und lokal ist. Die globalen Ströme von Zeichen und Bildern bringen keine einheitliche Kultur hervor. Die neue Kultur der "globalen Postmoderne" spricht nicht eine einzige Sprache oder wird von einer Ideologie geprägt, vielmehr wird sie durch Differenz und Pluralität bestimmt. Dies darf nun nicht dazu verleiten, die Macht des Lokalen zu überschätzen und zu denken, der "Süden" könne den Kampf gegen diese vom "Norden" ausgehende globale Postmoderne gewinnen.

Hall spricht auch von einer neuen Form der Homogenisierung durch das Kapital, das die Differenzen nun nicht mehr überwinden möchte, sondern ihre Inkorporation versucht. So ist Skepsis gegenüber allzu optimistischen Bewertungen angebracht. Aber auch Hall denkt hier - wie die Imperialismus-Theoretiker - von der Seite des Globalen aus. Wenn wir uns jedoch der Seite des Lokalen zuwenden, ergibt sich eine etwas andere Einschätzung.

Da die globale Postmoderne, die auch durch die Erosion und abnehmende Bedeutung des Nationalstaates geprägt ist, nicht durch kulturelle Kohärenz bestimmt ist, läßt sich das "globale Dorf" als ein "realm of uncertainty" (Ang 1994) charakterisieren. Dabei sind "abweichende", kritische oder subversive Lesarten, die in kulturellen Kontexten entwickelt werden, weniger ein Ausdruck der Freiheit der Konsumenten - eine Position, die Kritiker wie McGuigan fälschlicherweise den Cultural Studies unterstellen. Vielmehr sind sie als kontingente Sinnschöpfungen in einem dynamischen, konfliktreichen und widersprüchlichen Alltag zu begreifen.

Die globalen Ströme von Zeichen und Bildern treffen auf ein heterogenes, widerspenstiges und unkontrollierbares Spiel von Differenzen in den sozialen Praktiken. Welche Bedeutung sie gewinnen, wie das Globale mit dem Lokalen artikuliert wird, läßt sich vorab nicht bestimmen. Polyseme (mehrdeutige) Botschaften haben keine feststehende Struktur. In alltäglichen, lokal unterschiedlichen Kommunikationsprozessen wird Kultur immer wieder neu konstruiert.

Eine kritische Theorie, die die Logik der Machtverhältnisse in der globalen Postmoderne verstehen möchte, muß sich dieser radikalen Unbestimmtheit der Kommunikation stellen, ihre Möglichkeiten insbesondere für den "Süden" ausloten, ohne jedoch aus dem Blick zu verlieren, daß differente Lesarten nicht automatisch in politischen Widerstand gegen Macht münden und daß es sehr wohl dominante Kräfte gibt, die auf Profit, Inkorporation und (vielleicht) eine neue Ordnung im "Weltsystem" aus sind.

Ien Ang: In the Realm of Uncertainty: The Global Village and Capitalist Postmodernity, in: David Crowley, David Mitchell (Hg.), Communication Theory Today. Oxford 1994

Ien Ang: Radikaler Kontextualismus und Ethnographie in der Rezeptionsforschung. In: Andreas Hepp, Rainer Winter (Hg.): Kultur-Medien-Macht. Cultural Studies und Medienanalyse. Opladen 1997

Johannes Fabian: Moments of Freedom. Anthropology and Popular Culture. Charlottesville 1998

John Fiske: Understanding Popular Culture. London 1989

Stuart Hall: Das Lokale und das Globale: Globalisierung und Ethnizität. In: ders.: Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2. Hamburg/Berlin 1994

Karl H. Hörning, Rainer Winter (Hg.): Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung. Frankfurt a. M. 1999

Tamar Liebes, Elihu Katz: The Export of Meaning. Cross-Cultural Readings of Dallas. Oxford 1993

Jim McGuigan. Cultural Populism, London/NewYork, 1992

Daniel Miller: The Consumption of Soap Opera: The Young and the Restless in Trinidad. In: Robert C. Allen (Hg.): To Be continuedÖ Soap Opera around the World, London/New York 1995

Paul Theroux, The Happy Isles of Oceania: Paddling the Pacific. New York 1992

Rainer Winter: Der produktive Zuschauer. Medienaneignung als kultureller und ästhetischer Prozeß. München 1995

Der leicht gekürzte Beitrag von Rainer Winter ist der September-Ausgabe der blätter des informationszentrums 3. welt (iz3w) entnommen. Schwerpunkt des neuen Heftes ist der Kulturalisierungs-Diskurs.