Kein Platz für Aussteiger

Das Rückkehrer-Programm des Verfassungsschutzes nutzte den vermeintlichen RAF-Mitgliedern Andrea Klump und Horst Ludwig Meyer wenig

Einer wollte mal wieder schneller sein. Schon im Winter 1995 tauchte der Verfassungsschützer "Hans Benz" (Jungle World-Dossier, 28/99) bei Andrea Klumps Vater auf. Mit der üblichen Masche: Er sei gerade zufällig in der Gegend, ob er nicht etwas über die gesuchte Tochter erzählen könne? Konnte er nicht. Vater Klump schickte den Reisenden in Sachen Aussteigerprogramm in die Wüste.

Der Versuch des Geheimdienstlers, auf diesem Weg an die mutmaßliche RAF-Frau heranzukommen, war gescheitert. Warum der Spiegel ein Jahr später trotzdem gewußt haben will, daß sich Klump in Peru aufhalte und aus "persönlichen Gründen" nicht zurückkommen werde, konnte sich auch deren Schwester Annegret nicht erklären. "Mit Benz steht Andrea nicht in Kontakt, sonst würde der hier nicht so rumbaggern, um zu erfahren, ob wir was von unserer Schwester gehört haben", sagte sie im Mai 1997 der taz.

Heute weiß nicht nur Benz mehr. Kaum war die 42jährige Klump vorvergangene Woche mit ihrem Begleiter Horst Ludwig Meyer von einem österreichischen Antiterror-Kommando unter Beschuß genommen, meldete sich der Vermieter des Pärchens beim Wiener Innenministerium, um sein Wissen auszuplaudern. Dreieinhalb Jahre hatten die beiden demnach in der Wiener Springergasse bei Siegfried D. zur Untermiete gewohnt. Einen Verdacht schöpfte der 34jährige Student nie. "Die Lebensgeschichten, die sich 'Jens' und 'Heidi' ausgedacht haben, waren derart detailliert, daß sie für mich absolut glaubwürdig waren."

Schenkt man den Ermittlern Glauben, so hatten sich die beiden weiterhin auf ein Leben in der Illegalität eingerichtet. Dafür spricht nicht nur jene "Fälscherwerkstatt", die in der Springergasse entdeckt wurde. Wie nicht anders möglich, mußten sich Meyer und Klump das nötige Kleingeld durch regelmäßige kleinere Überfälle von Banken oder Supermärkten beschaffen. Eine Alternative dürfte sich nicht geboten haben. Die RAF, und damit eine illegal organisierte Struktur, die das Überleben sicherer hätte gewährleisten können, ist Geschichte. Trotz Fälscherwerkstatt, angeblich weiteren konspirativen Wohnungen und Student D.s Berichten über einen etwa 40jährigen Deutschen, der Meyer und Klump immer wieder besucht haben soll.

Das Leben unter diesen Umständen hat freilich nichts mit jener Untergrund-Romantik vom "befreiten Gebiet" zu tun, die die RAF und ihr Umfeld in den achtziger Jahren beschworen. Es geht einher mit dem ständigen Risiko, erschossen zu werden oder für viele Jahre hinter Gittern zu verschwinden. Doch im Gegensatz zu einigen anderen aus der ehemaligen militanten Linken, deren Verfahren eingestellt wurden oder die mit Hilfe von Benz legal nach Deutschland zurückkehren konnten, hatten Meyer und Klump offenbar nicht die Wahl. Oder sie wollten nicht mit dem Verfassungsschützer dealen.

Gründe gegen eine solche Zusammenarbeit gibt es genug. Da greift die Rechtfertigung der einst wegen Mitgliedschaft in der Roten Zora gesuchten und später mit Hilfe des VS-Mannes zurückgekehrten Corinna Kawaters etwas kurz. "Das Verhalten der einzelnen Illegalen," schrieb sie, unterliege "nur der eigenen politischen Moral oder der von ihnen (den Betroffenen; d.Red) vertretenen Prinzipien." Doch auf das Aussteigerprogramm kann nur setzen, wer keine Beweise für die Beteiligung an militanten oder bewaffneten Aktionen fürchten muß. So bestätigt Christoph Seidler, der im Dezember 1996 mit Hilfe des Verfassungsschützers zurückgekehrt ist: "Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand, der tatsächlich in der RAF organisiert war, davon einen Nutzen haben kann."

Der Umkehrschluß für die Strafverfolger liegt auf der Hand: Wer wegbleibt, gehörte der RAF an und steht damit auf der Abschußliste. Was nicht nur für ehemalige RAF-Aktivisten gilt, sondern für alle, die sich in einer unkalkulierbaren Situation dem Zugriff deutscher Sicherheitsbehörden entzogen haben: So etwa zwei Frauen, die wegen Mitgliedschaft in der Roten Zora noch immer gesucht werden. Oder drei untergetauchte Berliner, die im Frühjahr 1995 geplant haben sollen, das Abschiebegefängnis in Grünau zu sprengen. Und trotz ihres Verständnisses für Seidlers Entscheidung erklärte die RAF selbst, daß durch das Aussteigerprogramm "Illegale" dazu gebracht werden sollten, "nicht nur ihre GenossInnen, sondern auch ihre eigene Geschichte zu verraten". Aus der Gruppe aber hätte Seidler nicht aussteigen können, "weil er dort nie war".

Der heute 42jährige Freiburger wartet noch immer auf die Einstellung seines Verfahrens, obwohl selbst die Bundesanwaltschaft wissen dürfte, wie spärlich die Beweise sind. Der ehemalige Verfassungsschutzspitzel Siegfried Nonne will Seidler und Klump im November 1989 in seiner Wohnung beherbergt haben, als die RAF einen Anschlag auf den Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen verübte. Den Angaben Nonnes glaubte jedoch nicht einmal der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof. Und Seidler lebte zu diesem Zeitpunkt längst im Libanon.

Dorthin, in ein Lager der Palästinensischen Befreiungsarmee (PLA) nahe Beirut, hatte es auch andere verschlagen: Barbara Meyer, ihren Mann Horst Ludwig sowie Thomas Simon. Sie waren untergetaucht, nachdem ihre Wohngemeinschaft im Stuttgarter Vorort Fellbach, in der vorher auch die RAF-Aktivistin Eva Haule gelebt hatte, zunehmend ins Visier der Staatsschützer geriet. Auch wenn die drei nichts mit der bewaffneten Gruppe zu tun hatten, mußten sie immer mit einer Verhaftung rechnen. Und wer sich sicherheitshalber aus dem Staub machte, landete schnell auf den Fahndungslisten des Bundeskriminalamtes (BKA). So auch die drei Stuttgarter.

Dabei ist heute klar: Barbara Meyer und Simon hielten sich wie Seidler in dem PLA-Lager auf, ehe sie sich den deutschen Behörden stellten. Die Wiesbadener Kriminalisten tappten also weitgehend im dunkeln. Mittlerweile können sie zumindest auf eine Aussage bauen: Wie Barbara Meyers Rechtsanwalt Eberhardt Kempf der Jungle World bestätigte, hat seine Mandantin nach ihrer Rückkehr im Mai dieses Jahres gegenüber den Ermittlern Angaben über ihre Vergangenheit gemacht. Demnach soll ihr Mann Horst Ludwig das Lager bereits 1987 verlassen haben. Was er danach tat, wissen die Strafverfolger aber bis heute nicht.

Ebensowenig, wo sich seine Begleiterin Andrea Klump nach ihrem Verschwinden aus der Rhein-Main-Szene Mitte der achtziger Jahre aufgehalten hat. Nur einen einzigen Beweis können die Behörden gegen die 42jährige anführen: Auf einem Notizzettel, der nach einem 1988 gescheiterten Anschlag auf eine von amerikanischen Soldaten besuchte Diskothek im spanischen Rota gefunden wurde, stellten die Fahnder Klumps Handschrift fest. Der durch Nonne aufgeworfene Verdacht hingegen, die jetzt in Wien auf ihre Auslieferung wartende Klump sei am Herrhausen-Attentat beteiligt gewesen, ist genauso haltlos wie der entsprechende gegen Seidler.

Hätte sich Andrea Klump freiwillig den Behörden stellen können, ohne mit einer lebenslangen Haft rechnen zu müssen? Vielleicht. Sie hat es nicht getan. Die RAF selbst hat nur einen "wirklich korrekten Weg" zu dieser Problematik zu bieten: Angesichts des historischen Epochenbruchs müsse die Linke jetzt "ihre illegal und oftmals im Exil lebenden GenossInnen, die aus den letzten 25 Jahren Kampfgeschichte kommen, zurückkämpfen" - also ihre "Re-Legalisierung" durchsetzen. Das aber, so die realistische Einschätzung der Ex-Militanten im Dezember 1996, "läßt das gegenwärtige Kräfteverhältnis nicht zu".