Nazis im Schwarzwald

"Viehjud Levi" ist ein guter deutscher Heimatfilm. Er kommt nur vierzig Jahre zu spät

Didi Danquarts Film "Viehjud Levi" ist im Schwarzwald der dreißiger Jahre angesiedelt. Wie jedes Jahr kommt der Viehhändler Levi (Bruno Cathomas) in ein ärmliches Tal, um den Bauern ihre Erträge abzukaufen. Nebenbei macht er Lisbeth (Caroline Ebner), der Tochter des Bauern Horger (Gerhard Olschewski), seine Aufwartung.

Doch dieses Jahr ist alles anders: Die Reichsbahn hat einen Bautrupp geschickt, der Eisenbahntunnel ist eingestürzt. Mit der Eisenbahn kommt der Faschismus unter Volldampf: Hakenkreuzfähnchen in der Kneipe, Volksempfänger und knackige Reden halten Einzug bei den Hinterwäldlern, auch der Lippenstift - der Nationalsozialismus ist eine erstaunlich einfallsreiche Bewegung. Vor allem wird der Viehhändler Levi zum Juden Levi, dem man die Reifen aufschlitzt und den man zwingt, beim Umdrehen der Ohren arisches Liedgut zu intonieren.

Die Politik kommt wie eine böse Krankheit über die Dörfler. Das Spielterrain gleicht Dürrenmatts "Besuch der alten Dame" - die Dinge, die man bisher für sich selbst regelte, werden einer strengen Prüfung von außen unterzogen. Und wie bei Dürrenmatt fallen auch in Danquarts Adaption eines Thomas-Strittmatter-Theaterstücks die einfachen Charaktere schnell um. Der Bauer Horger verkauft den Nazis das Kalb billiger als dem Viehprofi Levi - es folgt ein treffender Dialog zwischen dem Bauer und seiner Frau: "Wenn die Bahn nicht gekommen wär, dann wär' dir der Levi schon recht. Auch Judas nahm Geld für den Verrat. Und, war das ein Segen?" - Horger: "Verrat, Verrat ... Die Bahn ist nicht irgendwer. Die Bahn ist staatlich."

Mit dieser vorgeblichen Legitimität ist auch die Voraussetzung dafür geschaffen, den Levi anders zu behandeln, auch wenn die Nazis den Landwirten unangenehm sind. Es ist eben eine neue Zeit angebrochen. Der einzige, der sie schon aus eigener Anschauung kennt, ist Paul (Bernd Michael Lade), ein zugezogener Arbeiter aus Berlin, ein Filou, dem die Arbeit nicht viel bedeutet und der mit Levi um Lisbeth konkurriert. Mit der Arbeiterklasse hat er auch nicht viel im Sinn, die hat immer nur Schwielen an den Händen. Er brettert lieber mit dem Motorrad durch die Gegend.

Paul gilt als Außenseiter und Vertreter eines großstädtischen Lumpenproletariats. Ebenfalls von den Nazis gequält, trifft er eine überraschende Entscheidung: Während einer Wirtshausszene schlägt er sich auf ihre Seite und rechnet mit Levi ab. Die Infiltration hat funktioniert - und das ausgerechnet bei dem, der es besser weiß.

Die einzige Überraschung des Films, aber eine wichtige: Paul übernimmt den Job, den ihm die Nazis antragen. Er ist die wirklich moderne Figur: Ich stehe nicht dahinter, mach's aber trotzdem. In der Wahrnehmung des Zuschauers ist er ein verletzter Mensch, der auf den Bruch in der Zeit nur gewaltsam zu reagieren vermag. Aus traditionellen Klassen gelöst, durch Eifersucht wahnsinnig, kombinieren sich in Paul die Einzelabrechnungen der anderen. In "Viehjud Levi" gibt es keine KZ und keine SS, aber mit Paul und seiner moralisch amorphen Gestalt den Typus des kommenden KZ-Wächters und SS-Manns: den radikalisierten Mitmacher mit Durchblick.

Das Thema des Films sei nicht der historische Nationalsozialismus, sagt Danquart; er sollte nur als Folie dienen, um eine Geschichte zu erzählen: Wann spricht man Menschen ihre menschlichen Eigenschaften ab, um sie erniedrigen zu können? Das Dilemma: Die Bilder der realen Epoche sind bereits besetzt. Den Filmemachern gilt der Holocaust als Formel für das allgemeinmenschliche Leiden an der Unterdrükkung selbst.

So auch für Didi Danquart, prämierter Regisseur von Dokumentarfilmen, Mitbegründer der Medienwerkstatt Freiburg, in seinem ersten Spielfilm. Danquart verbrachte längere Zeit in Bosnien zu Zeiten des Bürgerkrieges. Seine prägende Erfahrung: Wie aus Jugoslawen und Nachbarn Moslems, Serben und Kroaten wurden. Daraus filtert er das Verhalten in vergangenen Kriegen. "Ich wollte erst die Bedrükkung erlebbar machen und sie dann historisch einordnen. Ich wollte nicht mit den üblichen Klischees arbeiten - Uniformen, Aufmärsche etc. Über das menschliche Leiden Levis finden die Zuschauer in den Film."

Dagegen hatten vor allem die KZ-Überlebenden etwas: Auf dem Jerusalemer Filmfest 1999 bemängelten sie, der Film stelle die Juden in Deutschland als identifizierbare Außenseiter dar, das sei so vor 1933 nicht gewesen. Den Mayor's Prize gab's trotzdem. "Nur pädagogisch kann man heute nicht mehr erzählen", sagt Danquart. So könne man einen 20jährigen nicht für diese Stoffe interessieren. Und zur Kritik des israelischen Publikums sagt er: "Warum soll ich beim weiteren Verlauf der Entwicklung, wie sie gekommen ist, Levi nicht als fremd darstellen?"

Gute Frage. Denn während die Schauspieler allesamt an ihren Rollen feilen dürfen, insbesondere Paul, der Nazi-Konvertit, bleibt für den Levi-Darsteller Bruno Cathomas nur die Schnulze. Juden sind auch hier so, wie Deutschlands nichtjüdische Einwohner sich das vorstellen. Allenthalben muß Levi jiddische Lieder anstimmen, und Freunde hat er natürlich auch keine, so daß ihm nur ein Hase als Zuhörer bleibt. Nein, overacted sei Levi nicht, meint Danquart. Der Film erzähle nur langsam, an die Zeit angelehnt. Doch in der kulturellen Überzeichnung des Levi stößt der Film an seine Grenzen. Denn wie stellt man die Opfer dar? Den meisten (deutschen) Filmen über die NS-Zeit scheint es leichter zu fallen, die Mörder agieren zu lassen, während man mit denen, die etwas zu erleiden haben, nicht so viel anzufangen weiß. Kino ist Action, das Medium der Tat, andere haben es da schwer.

Damit ist "Viehjud Levi" wiederum eher ein Film über die Täter als über die Opfer geworden. Die Mörder sind deutsche Faschisten, und mit Faschismus beschäftigt sich Danquart, so sagt er, schon seit 25 Jahren. Und nach Bosnien und der Spielfilmproduktion hat er dann auch was über Täter gelernt: "Ich kann jetzt meine Eltern besser verstehen." Die waren ganz normale Mitläufer und erzählten von der Kriegszeit vor allem, was nach dem Krieg kam: vom Hunger und von der täglichen Jagd nach dem Nötigsten.

Dennoch ist "Viehjud Levi" kein Fehlschuß, ganz im Gegenteil. Er kommt nur 40 Jahre zu spät, denn so hätte der deutsche Heimatfilm der fünfziger Jahre aussehen können und müssen. Daß man sich mit Danquarts Arbeit heute nicht allzulange aufhalten wird, scheint absehbar. "Politisch korrekt", schimpfte Cinema, und das ist bekanntlich ein Schimpfwort.

"Viehjud Levi". D 1998. R: Didi Danquart, D: Bruno Cathomas, Bernd Michael Lade, Ulrich Noethen, Caroline Ebner, Eva Mattes, Gerhard Olschewski. Start: 30. September