Schröder empfängt Barak

Sprachlos in Sachsenhausen

Nach der Serie von Wahlniederlagen konnte ein Staatsbesuch dem Image von Bundeskanzler Gerhard Schröder eigentlich nur gut tun. So kam der israelische Ministerpräsident Ehud Barak gerade zum rechten Zeitpunkt nach Berlin. Es war Schröders Coup, daß ausgerechnet Barak zum ersten offiziellen Staatsgast nach dem Regierungsumzug wurde. Die Kritik dafür kassierte der Ministerpräsident - in der israelischen Presse: Schließlich steht Berlin wie keine andere Stadt für die Planung und Verwirklichung der Shoah.

Gerade im Umgang mit der deutschen Vergangenheit hatte Schröder sich seit seinem Amtsantritt in Spielerlaune präsentiert. So wünschte er sich ein Holocaust-Denkmal, zu dem die Leute "gerne" hingingen. Und der Beerdigung von Ignatz Bubis blieb er lieber gleich fern. Um Verärgerung auf israelischer Seite auszuschließen, bedurfte es also eines besonders umsichtigen Vorgehens: Das Manuskript der Rede, die Schröder beim Besuch der Gedenkstätte Sachsenhausen halten wollte, war deshalb schon tags zuvor der israelischen Delegation überreicht worden. Die Berliner Zeitung schrieb: "Jeder Satz, jede Formulierung, die Barak in Israel zusätzliche Schwierigkeiten bereiten könnte, sollte vermieden werden. Bis tief in die Nacht hatten Kanzlermitarbeiter und Redenschreiber zwischen Schröders Dahlemer Dienstvilla und dem Kanzleramt hin- und hertelefoniert, Absätze gestrichen und eingefügt."

Heraus kam dabei das Konzept Sprachlosigkeit. Wer nichts sagt, sagt nichts. Auch nichts Falsches. So erklärte Schröder beim Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen: "Wir stehen an einem Ort, der zum Symbol geworden ist für etwas, das zu beschreiben keine Sprache der Welt ausreicht. Alles, was uns Sprache mitteilen kann, ist doch immer eine verharmlosende Beschreibung für das, was in den Stätten des Grauens vor sich ging." Nebulös bleiben, um nichts zu verharmlosen - Schröders Mißtrauen gegen sich selbst konnte nicht offener zutage treten.

Ehud Barak jedoch zeigte, was sich mit Sprache alles ausdrücken läßt. Er sagte in der Gedenkstätte: "Hier und auf anderen Schlachtfeldern (...) beging Deutschland das größte Verbrechen in der Geschichte der Menschheit." Auf diesen Satz wäre Schröder wohl nicht gekommen, und wenn, dann hätte er ihn dem deutschen Publikum nicht zugemutet. Schließlich wissen die Deutschen inzwischen, dank Joseph Fischer, daß Hitler auch nicht schlimmer war als Stalin oder Milosevic.

Auch zum Thema Entschädigung von ehemaligen NS-Zwangsarbeitern fand Barak klarere Worte als sein Gastgeber. Er setzte sich für eine schnelle und angemessene Entschädigung ein und erinnerte die Deutschen: "Der Krieg ist jetzt 50 Jahre vorbei." Auf welcher Seite Schröder in dieser Frage steht, hatte er schon vor Monaten deutlich gemacht, als er es als Pflicht eines deutsches Bundeskanzlers bezeichnete, sich "schützend vor deutsche Unternehmen zu stellen" und klarstellte: "Die Bundeskasse bleibt zu." Auch letzte Woche war von Schröder außer unverbindlichen Versprechungen nichts zu vernehmen.

Lieber würdigte er Baraks Bemühungen um Frieden im Nahen Osten und betonte die deutschen Einflußmöglichkeiten in dieser Sache, z.B. über die EU. Die Jerusalem Post kommentierte das so: "Die neue deutsche Entschlossenheit hat leider den Nebeneffekt, daß manche Deutsche ihre historische Last abschütteln möchten."

In seiner selbstgerechten Art lobte Schröder das deutsch-israelische Verhältnis als "exzellent". Wie exzellent dieses ist, zeigte sich, als die israelische Delegation beim Besuch in Sachsenhausen den Wunsch äußerte, die israelische Flagge zu hissen. Dazu kam es nicht, weil die Deutschen nur unter der Bedingung, daß auch ihre Fahne gehißt würde, zustimmen wollten. Die Israelis aber wollten im ehemaligen KZ nicht unter den Farben Schwarz-Rot-Gold ihrer Toten gedenken.

Betont zurückhaltend schrieb Schröder, dessen Sache Zurückhaltung sonst nicht ist, dann ins Gästebuch der Gedenkstätte Sachsenhausen: "Sprachlos stehen wir vor dem, was keine Sprache auszudrücken vermag." Nach Kohls "Gnade der späten Geburt" hat die deutsche Sprachlosigkeit nun also auch Schröders Segen. Und die meisten ehemaligen Zwangsarbeiter das Pech des frühen Todes.