Warp 10 + 1 + 2 + 3

Werden und Vergehen

Wir waren jung, die Sonne schien, wie auf Kleiderbügeln hingen die T-Shirts an unseren dünnen, schüchternen Leibern. Die Musik schrie und schraubte sich durch die Tänzer und wies ihnen ihren Weg. Noch unsicher schauten wir ihnen mit großen Augen zu. Come and join the future. Natürlich, wie hätten wir denn nein sagen können. Die Beats nahmen kein Ende, es ging immer weiter, es war neu, und für uns hatte es keinen Namen.

War das Techno? Acid womöglich? Im Grunde interessierte uns das nicht. Wir hörten nur diesen Baß, der uns jetzt von der Seite packte, an uns rüttelte, uns dann losließ und dann wieder packte. Immer wieder. Davon hatte man uns nichts erzählt, darauf waren wir nicht vorbereitet. Keiner von uns sagte ein Wort, doch wir verstanden und sahen, wie dieser Baß alles, was wir kannten, mit einem Mal von der Straße spülte - jedenfalls kam es uns so vor. Feel it? Was sonst.

Wenig später hatte ich dann diese Platte erworben, sie hieß "Pioneers of the Hypnotic Groove". Noch oft sollte ich sie in jenem Sommer hören, Songs wie "Tricky Disco", "LFO" und "Hey Hey! Can U Relate", doch das ist lange her, ich verlor sie zwischen den Jahren.

Warp, jenes Sheffielder Label, auf dem diese Compilation damals erschien, feiert dieses Jahr sein zehnjähriges Jubiläum und hat dazu drei Doppel-CDs veröffentlicht, die zeigen, wie alles begann, dann seinen Weg nahm, bis die Musik unserer Jugend zu selbstgefälligem Kunsthandwerk wurde.

Ein Entwicklungsroman in drei Teilen. Teil 1: Werden. Die Hauptdarsteller in diesem Stadium heißen Mr. Fingers, Phuture, Master C & J, Model 500, Reese & Santonio etc. Musikhistorisch fällt ihr Schaffen unter dem Begriff Chicago-House - minimal, funky, Gesang nicht ausgeschlossen. Der Einfluß reicht bis nach England. Künstler wie 808 State und A Guy Called Gerald nehmen den Sound dankbar an und entwerfen Songs wie "Let Yourself Go" und "Voodoo Ray". Keiner der Songs auf "Warp 10 + 1 Influences" stammt vom gleichnamigen Label.

Teil 2: Sein. In der verschlafenen Industriestadt Sheffield veröffentlicht das junge Label Warp seine erste Platte, sie heißt "Track With No Name" und stammt von den Forcemasters. In rascher Folge erscheinen weitere Platten, die Alben "A Word Of Science (First & Final Chapter)" von Nightmares On Wax und "Frequencies" von LFO zählen zu den besten der neunziger Jahre. Auszüge davon sowie unvergeßliche Maxi-Hits sind auf "Warp 10 + 2 Classics" versammelt.

Teil 3: Vergehen. Vielleicht ging alles mit Aphex Twin zu Ende. Der Funk der frühen Tage, die charmante Funktionalität verschwand hinter verbiesterten Tüfteleien, ein angestrengter Experimentalcharakter bestimmte fortan die Tracks, hierfür stehen unter anderem die Warp-Künstler wie Autechre und Squarepusher. Auf "Warp 10 + 3 Remixes" finden sich teils schöne, teils eklige Originale von zumeist fiesen Künstlern remixed, nicht schön, aber beispielhaft. Hauptdarsteller des traurigen letzten Drittels sind John McEntire (Tortoise), Bogdan Raczynski, Jim O'Rourke und der Geräuschfabrikant Oval.

V.A.: "Warp 10 + 1 Influences";

V.A.: "Warp 10 + 2 Classics";

V.A.: "Warp 10 + 3 Remixes".

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