Bis zum Kollaps

Als »Lokomotive« für die krisengeschüttelte Kaliningrader Sonderwirtschaftszone sollen ausgerechnet Luxuskarossen aus bayerischer Fertigung dienen.

Das braucht der russische Normalverdiener: Gut tausend Autos der 5er-Modelle von BMW sind bis heute in Kaliningrad vom Band gerollt. Weil Russland ein »bedeutender Markt« sei, wie BMW-Vorstandsmitglied Horst Teltschik - der auch schon als Ministerialdirektor und enger Vertrauter Helmut Kohls fungierte - betont, und der Münchner Konzern »ihm eine große Perspektive« einräume, soll bis ins Jahr 2003 die jährliche Kapazität der Automobilmontage in der russischen Exklave auf etwa 10 000 Fahrzeuge ansteigen.

Besonders zugute kommt dem bajuwarischen Unternehmen, das als erster westeuropäischer Automobilhersteller seit Ende Oktober 1999 mit der Montage in Russland begonnen hat, dass nicht nur Fertigungs- und Lohnkosten bedeutend geringer sind als in Westeuropa, sondern zugleich sein Risiko stark minimiert wird. Denn das frühere Schiffbau- und Rüstungsunternehmen Avtotor, in dessen Fabrikhallen die Fahrzeuge montiert werden, trägt einen Großteil der Risiken selbst. BMW hat kein Joint Venture mit dem russischen Unternehmen gegründet, sondern es nur mit der Montage der Autos beauftragt.

Die in der russischen Küstenstadt montierten Fahrzeuge werden etwa 20 bis 25 Prozent billiger sein als die aus der Bundesrepublik nach Russland importierten, wie die russische Zeitung Kommersant berichtete. Ein weiterer finanzieller Vorteil besteht darin, dass die fertig zusammengeschraubten Wagen zollfrei ins übrige Russland transportiert werden können. Dies passt zum Kalkül von BMW, will man doch insbesondere Mercedes und Volvo im Bereich der Staatskarossen den Rang ablaufen, die heute noch die bevorzugten Fortbewegungsmittel der Angehörigen des Staats- und Verwaltungsapparates sowie der Provinzgouverneure sind.

Bei der Eröffnung des Werkes im Herbst 1999 äußerte der Gouverneur der krisengeschüttelten Kaliningrader Region, Leonid Gorbenko, die Hoffnung, dass BMW »eine Lokomotive für die Wirtschaft des Gebiets und die deutsch-russischen Beziehungen« werden könne. So lässt sich BMW seinen Einstieg in die Montage in Russland auch einiges kosten: Der deutsche Konzern investiert in das Montagewerk etwa 50 Millionen Mark. In den Aufbau einer Handelsorganisation zusammen mit der Firma Vital Holding sollen weitere 75 Millionen Mark fließen. Knauseriger geht es bei den Löhnen zu: Der derzeitige Verdienst der qualifizierten Facharbeiter in der Kaliningrader BMW-Montage liegt zwischen 100 und 150 Dollar monatlich.

Der Hauptvorteil für BMW: Die westlichste Provinz Russlands wurde im Januar 1996 offiziell zur russischen Sonderwirtschaftszone ernannt. In dieser Funktion setzt Kaliningrad besonders auf seine günstige Lage an der Ostsee und seinen eisfreien Hafen. In dieser russischen Sonderwirtschaftszone ist die Ein- und Ausfuhr von Waren zollfrei möglich. An die zollfreie Ausfuhr ist jedoch die Bedingung geknüpft, dass 30 Prozent der Wertschöpfung aus der Provinz selbst stammen müssen.

Nach Angaben des Provinz-Gouverneurs Gorbenko hat der Warenaustausch Kaliningrads vom Status der Sonderhandelszone deutlich profitiert: Während sich 1992 sein Wert noch auf 145 Millionen Dollar belaufen habe, habe er ein Jahr nach Einrichtung der Sonderhandelszone bereits die Marke von 1,7 Milliarden Dollar erreicht. Gorbenko wird bis heute nicht müde zu betonen, dass die Provinz ihren Sonderstatus dem massiven Zuzug »neuer und innovativer Branchen« verdanke.

Etwas anders schätzt Admiral Gennadi Moschkow, der Geheimdienstchef Kaliningrads, die Lage ein. Vor wenigen Monaten stellte er öffentlich die Sicherheit der russischen Provinz in Frage. Die zwischen Polen und Litauen gelegene Exklave stehe »wirtschaftlich vor dem Zusammenbruch«. Berichten des Spiegel von Mitte des vergangenen Jahres zufolge, sah Moschkow die Schwachstellen in Kaliningrad insbesondere in der Lebensmittel- und Stromversorgung, der Telekommunikation und den Transportverbindungen. Die Industrieproduktion sei seit 1990 fast völlig zum Erliegen gekommen, so der Geheimdienstchef. Ferner würden die Energielieferungen in den seltensten Fällen bezahlt, und der Hafen der Provinz liege ebenfalls fast still: 300 Schiffe seien als »Schrott« an ausländische Abnehmer verkauft worden. Auch in der Landwirtschaft sieht es nach seinen Angaben schlecht aus, seien die Erträge aus der Getreide-Ernte doch weit zurückgegangen.

Die Kaliningrader Regionalverwaltung wiegelte ab: Moschkows Analysen seien »oberflächlich«, außerdem habe er ein »zu loses Mundwerk«. Abzustreiten sind die Krisenerscheinungen in der Region jedoch keinesfalls. Seit dem russischen Wirtschafts-Crash im Herbst 1998 geht es in Kaliningrad merklich schlechter, denn die Bewohner der Provinz litten wegen ihrer Abgeschnittenheit vom Reststaat unproportional unter der Versorgungsknappheit.

In Kaliningrad mangelte es wegen der ausbleibenden Lieferungen aus Zentral-Russland seinerzeit nicht nur an Lebensmitteln, sondern auch an Benzin und Elektrizität. Zwischen 70 und 80 Prozent der Lebensmittel werden nach Kaliningrad eingeführt. Durch die Abwertung des Rubel wurden sie bedeutend teurer, konnten aber nur teilweise durch Produkte aus der Region ersetzt werden. Die Importe aus Zentral-Russland verteuerten sich durch die langen Transitwege, sofern überhaupt Nahrungsmittel in die Ostseestadt durchkamen. Die konservative Zeitung Corriere della Sera aus Mailand kommentierte seinerzeit, die russischen Regionen hätten begonnen, »autonom zu handeln«. Sie blockierten die Preise, »'regionalisieren' angeschlagene Unternehmen und rufen quasi den Notstand aus wie Kaliningrad«. Damit nehmen sie vorweg, was »zum Zukunftsszenario werden könnte: die Auflösung des Landes - ein Kollaps sowjetischen Stils«.