Alternative Lebensformen

Das Streckennetz im Aktenschrank

Wer sie kennt, der hasst sie. Erst recht, wenn man auf sie angewiesen ist, weil das Auto mal wieder kaputt, verliehen oder gar nicht erst vorhanden ist und das Wetter - was hierzulande in Ausnahmefällen durchaus vorkommt - zum Fahrradfahren einfach zu schlecht ist: die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG).

Der Name ist schon Warnung genug: »Verkehrsbetriebe«. Hier wird Verkehr nicht als Dienstleistung angeboten, sondern bürokratisch verwaltet, man könnte den Laden genauso gut in »Amt für Organisation und Aufrechterhaltung eines Verkehrssystems, das gegen Entgeltleistung von Berlinern und Stadtbesuchern genutzt werden kann« umbenennen. Entsprechend heißen die Kunden wohl auch nicht Kunden, sondern »Entgeltzahler mit Anspruch auf eine Beförderungsleistung« und werden behandelt wie bei anderen Behörden: beschissen.

Sinn und Zweck der BVG, so könnte man fast meinen, ist nicht der Transport von Menschen, sondern vor allem die Kontrolle ihrer Nutzer.

In ihrer Zentrale in der Potsdamer Straße planen die Behördenchefs Razzien, die eines deutschen Innenministers würdig wären. In diesem Jahr will die BVG eine neue Offensive starten: Jeden Tag mindestens acht Razzien in U-Bahnhöfen, Bussen oder Trams, lautet die amtlich vorgegebene Linie, dazu kommt eine Videoüberwachung in ausgewählten Bussen und Bahnhöfen.

Ziel ist es, all jene dingfest zu machen, die man bei der BVG nicht haben will: Vandalierer und Schmierfinken, Gewalttäter und Verkäufer von Obdachlosenmagazinen oder Leute, die nicht einsehen, dass sie für so schlechten Service so viel Geld bezahlen sollen und dies deswegen einfach bleiben lassen - »Erschleichung von Beförderungsleistungen«, wie das im BVG-Amtsdeutsch heißt. Die Kontrolle muss aber ordentlich und vorschriftsgemäß sein: 33 Mitarbeiter, die Kontrollen angaben, die sie gar nicht gemacht hatten, wurden von der BVG kurzerhand entlassen.

Aber es gibt nicht nur Unerfreuliches von der Behörde, die das Berliner Verkehrsnetz verwaltet, als wäre es ein riesiger Aktenschrank. Mit technischen Neuerungen kommt die BVG noch nicht so richtig klar. Da hat man ordentlich Geld ausgegeben, um ein neues - elektronisches! - Ticket zu testen, mit dem die genaue Fahrtstrecke der Nutzer abgelesen und abgerechnet werden kann. Nur können die Männer und Frauen in Blau nicht kontrollieren, ob die Testkunden am Anfang ihrer Fahrt den Chipkartenfahrschein brav ins Terminal eingeführt haben und ihre Reise überhaupt bezahlen. Die Behörde hat nämlich nur zehn Lesegeräte und die sind zur Zeit noch nicht einsatzbereit. Deswegen fahre er jetzt immer schwarz, frohlockte ein begeisterter Ticket-Tester bereits in der Berliner Zeitung.

Die geschickteste Beförderungserschleichung ist eben so gemacht, dass die Bürokraten der Verkehrsbetriebe keine Chance haben, sie nachzuweisen. Wer die BVG kennt - und damit hasst -, wird daran viel Freude haben.