»Bomben auf Belgrad« im Film

Im Herzen der Bestie

Goran Rebics Video-Dokumente des zerbombten Belgrad: »The Punishment«.

Die Strafe findet im Keller statt. Im Keller des neuen Sony-Kinos in Berlin. In Teppichschluchten servieren boys of color Drinks. Dort wird ein Film uraufgeführt. Es geht um die Bomben auf Belgrad. Und während diese Bomben fielen, wurde gleich neben diesem Keller der neue Reichstag eingeweiht. Arbeit zuerst für Deutsche, fordern deutsche Bauarbeiter. Gleich gegenüber protestieren Greise in gestreiften KZ-Uniformen gegen die Luftangriffe. Alte und neue Kriege verwirren sich.

Jetzt also der Sony-Bau, gleich nebenan. Ein Bild des Kriegs kehrt in diese Neue Mitte ein. Früher hieß es: ins Herz der Bestie. Und jetzt: designed by Helmut Jahn. Goran Rebic ist nach Belgrad gefahren. Die Einfahrt in die Stadt dauert lang. Es fällt kein Wort. Nur die Fassaden sprechen. Versehrt, verbrannt, zerstört. Der Blick verfinstert sich. Abblende. Ich spreche über einen Film. Er heißt »The Punishment«. Thema: Belgrad, nach den Angriffen. Technik: Video. Drehzeit: Ende der Bombardements bis Ende des Jahrtausends. Er habe denen eine Stimme geben wollen, die man nicht gefragt hat, sagt Rebic. Und sie reden. Vom Keller des jugoslawischen Fernsehens etwa, wo einer die Kollegen aus den Trümmern holte. Rebic zeigt keine Opfer, nur einmal eine kalte Hand. Wie sehr könnte man sie lieben und bedauern, diese Opfer, von dem Berliner Sony-Keller aus, in dem der Film Premiere hat. Aber die Leute jammern nicht. Sie spotten, zögern, sie erinnern, sie beharren. »Ich bin sehr verbittert über das niedrige Niveau des Denkens«, teilt uns ein junger Mann das Fazit seiner Reflexionen mit. »Es gibt zu wenige, die um etwas Besseres kämpfen. Es ist miserabel. Meine Seele schmerzt deswegen.«

Und nachdem ein Ökologe detailliert die radioaktiven Werte aufgelistet hat, schließt er, dass dieser Krieg für den Westen nichts als eine »drittklassige Naturkatastrophe« sei. Gleich hinter ihm der Fluss, wo eine Dame Wasser holt. Sie sagt, dass viele aus dem Kosovo gekommen seien und in Ruinen leben. Ohne Bedauern. So ist es einfach, tako je. Rebic mag diese Leute, und ich sehe es. Sie sprechen ohne Geländer im Rücken, nur den Boden unter ihren Füßen. Kein ausgewogenes Bild.

Die Ausgewogenheit überlässt der Regisseur dem Nato-General. Der behauptet, es handle sich beim Bombenmaterial um eine Art Uranium light. Eine junge Dame spricht. »Ich spreche oft mit meinen Freunden über die EU«, sagt sie. »Sie löscht die Grenzen und die Währungen, und während sie uns bombardieren, lieben sie sich alle sehr.« Dagegen seien sie nichts als die unterste Etage in diesem europäischen Gebäude, Untermenschen, auf die man während der Safari schießt. Ein Junge, vielleicht sieben, spricht vom Keller und dem Warten auf die Bomben. Viel sagt er nicht, nur seine dicke Brille zittert. Er trägt ein Mickey-Mouse-T-Shirt. Als Rebic fragt, ob er nicht nach Disneyland fahren wolle, lacht er verstört. Andere Buben schreien: »Tötet Clinton!« Wieder andere tauchen im Brunnen nach Touristen-Münzen.

Die Strafe findet im Keller statt. Im Keller dieses Kontinents. Wie um es bloß nicht zu vergessen, filmt Rebic immer wieder seine Dreharbeiten, die Suche nach dem eigenen Standort. Der ist prekär. Die einen sagen »wir«, die anderen »ihr«. »Ihr habt uns verändert«, erzählt ihm eine Frau. Er lebt in Wien. Sie steht am Flughafen von Belgrad. Von dort startet am Tag eine einzige Maschine nach Moskau. Der Kontext ist dort, wo man steht, selbst wenn man nicht so richtig weiß, ob man dort stehen kann und darf. Auf das, was sie da redet, stehen zwei Monate Gefängnis, sagt eine andere Frau. Wenn es überhaupt jemanden interessiert. Aber es interessiert nicht. Nicht den Milosevic und nicht den Westen. Den Rebic interessiert es. Aber dem wird kein Standort zuerkannt.

Er sucht sich also mühsam eine Perspektive. Ein Mädchen spricht. Geboren 1981. Das Schlimmste, sagt sie, seien nicht die Bomben, nicht die Nächte, nicht die Toten. Vielleicht sei dies sogar eine gerechte Strafe. Aber das Schlimmste, was passieren könne, sei diese Abgeschnittenheit, das Fehlen jeder Zukunft, das Fehlen jedes Raums - kein Ausweg. Bleibt nur der Platz, auf dem man steht. Sie sagt das so, von einem Keller in den anderen. Vom Keller eines Paria-Staates ins Basement eines globalistischen Kultur-Bordells. Und fast ist es zu spüren, wie sich die Zuschauer zu fragen beginnen: Was wird unsere gerechte Strafe sein? Gefragt danach hat keiner, geklatscht haben wir viel. Von einem Keller in den anderen. Das Herz der Bestie war bewegt. Und dann spricht Goran Rebic. In Wien sei auch was los, sagt er. Und schon steht es im Raum: Haider, Milosevic.

Das sei nicht zu vergleichen, sagt der Rebic und vergleicht: Das Glückwunschtelegramm von Milosevic an Haider habe zwei Seiten. Es heißt: Willkommen in der Isolation, ab in den Keller. Es heiße aber auch, dass beide den Rassismus nutzen, um gegen das Herz der Bestie Europa vorzugehen. Genauso wie die Bestie gegen sie. Wie viele Herzen hat die Bestie? Oder haben viele Bestien ein Herz? Es gibt kein Hüben und kein Drüben, nur Bestien, und die Herzen sind im Keller. Die Seiten und die Mittel gleichen sich. Für die, die Rebic mag, bleibt nur der Platz, auf dem sie stehen. Und das ist Rebics Perspektive. Seine Protagonistin spricht: Die Frage der Menschenrechte darf nicht den Klüngeln überlassen werden, deren Rhetorik der der Tierschutzvereine gleicht. Es ist Zeit, dass diese Menschen selbst erscheinen, mit Namen und Gesicht und Position beziehen. Und diesen Raum zurückgewinnen. Jenseits der Isolation. Den Raum von Handeln und Begegnung. Der Bestie das Herz wegnehmen. Wann, wenn nicht jetzt?

»The Punishment«. Österreich 1999. Video. R/B: Goran Rebic