Nazis, der 1. Mai und die Folgen

Dezentral durchgesetzt

Nach den zumeist erfolgreichen Nazi-Aufmärschen vom 1. Mai hat sich die sächsische NPD auf die Suche nach neuen Bündnispartnern begeben.

Wenn allein Zahlen ein Maßstab für den aktuellen Zustand der Nazi-Szene in Deutschland wären, dann müssten AntifaschistInnen nach dem 1. Mai Alarm geben. Die meisten Schätzungen gehen von rund 2700 Neonazis aus, die am 1. Mai in Bayern, Berlin, Hessen und Sachsen durch die Straßen zogen. Dabei unterschieden sich die Bedingungen für Antifas vor Ort erheblich. Leichtes Spiel hatten rund 350 Neonazis aus Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, die auf dem Weg zur NPD-Kundgebung in Berlin, einen unangekündigten halbstündigen Aufmarsch in der brandenburgischen Kleinstadt Neuruppin durchsetzen konnten. Die Tatsache, dass sich die Polizei in Neuruppin auf Verkehrsregelung beschränkte, sorgte im Nachhinein in brandenburgischen Medien und bei LokalpolitikerInnen für erhebliche Kritik. Auch in Berlin räumte die Polizei den rund 1 000 Neonazis die Straßen frei und unterband antifaschistische Proteste. Weitläufige Vorkontrollen in Berlin-Hellersdorf und den öffentlichen Verkehrsmitteln brachten 170 meist jugendliche AntifaschistInnen in Unterbindungsgewahrsam. Auf dem Kundgebungsplatz gelang es einer Gruppe von rund 50 Antifas trotzdem, den Ablauf der Nazi-Kundgebung zumindest kurzfristig zu stören, bis sie von der Polizei hinter die Absperrung zurückgedrängt wurden. In Hellersdorf waren es vor allem die Strukturen der Freien Kameradschaften, von Blood & Honour und Hammerskin-Gruppen aus Norddeutschland, dem Ruhrgebiet und Ostdeutschland, die die Mehrzahl der Teilnehmer stellten. Auch die Redner waren auf das Publikum zugeschnitten: Christian Worch, Friedhelm Busse, der letzte Vorsitzende der verbotenen FAP, sowie Jonni Hansen vom DNSB aus Dänemark. Die NPD war auf dem Podium nur durch Andreas Storr vertreten. »Anderswo ist es lustiger als in Berlin«, werden sich AntifaschistInnen aus anderen Bundesländern nach dem 1. Mai gedacht haben. Im bayerischen Fürth gelang es rund 800 Antifas und einem breiten Bündnis, das rund 2 000 Menschen mobilisieren konnte, durch Straßen-Blockaden und Präsenz an der Aufmarschroute der 500 Neonazis, Routen-Änderungen durchzusetzen und den »zentralen Aufmarsch für Süddeutschland« mehrfach zu stoppen. Ein »Kesselchen«, in dem die Polizei eine große Gruppe von Antifas und BürgerInnen für eine halbe Stunde festhielt, wurde von Lokalpolitikern, Gewerkschaftern und der Lokalpresse als »überzogen« kritisiert. Auch in Ludwigshafen gelang es rund 400 Antifas durch eine Platzbesetzung, die Neonazis von ihrem Sammelpunkt abzuhalten; eine Spontandemonstration und Straßenblockaden sorgten für erhebliche Verzögerungen der Neonazi-Demonstration mit rund 200 Teilnehmern. Im nahe gelegenen Mannheim hatte in der Nacht zum 1. Mai eine Gruppe Neonazis - unter ihnen vermutlich ein bekannter Anti-Antifa-Aktivist aus Schifferstadt - versucht, einen Brandanschlag auf das autonome Jugendzentrum »Juz« zu verüben. Das Feuer konnte schnell gelöscht werden, nach Polizeiangaben wurden acht Tatverdächtige vorübergehend festgenommen. Als zwiespältig erwies sich nicht nur in Ludwigshafen die Rolle des DGB. Hier hatte der Gewerkschaftsbund nach der Aufhebung des Aufmarsch-Verbots durch ein Oberverwaltungsgericht eine zuvor angekündigte »machtvolle Gegendemonstration« spontan abgesagt - um »nicht zu viele Polizeikräfte zu binden«. In Wetzlar mobilisierte der DGB gemeinsam mit dem Antifaschistischen Bündnis und Kirchen zwar 2 500 Menschen zu einer Kundgebung in der Innenstadt. Parallel dazu konnte allerdings die NPD mit 120 Neonazis, unter ihnen Manfred Roeder, in einem Vorort demonstrieren. Dem mitgliederstärksten Landesverband der NPD in Sachsen gelang es, rund 1 000 Neonazis in zwei Städten auf die Straße zu bringen. Während in Grimma rund 600 Neonazis relativ ungestört durch die Stadt ziehen konnten, griffen in Dresden AntifaschistInnen den Aufmarsch mehrfach an und sorgten mit Transparenten an Dresdener Denkmälern für sichtbaren Protest. NPD-Hauptredner und Deutsche Stimme-Chefredakteur Jürgen Distler hatte Mühe, sich gegen die 400 lautstarken GegendemonstrantInnen verständlich zu machen. Auch wenn in mehreren Städten durch erfolgreiche Bündnisarbeit den Neonazis auf der Straße entgegengetreten wurde - ein vorläufiges Resümee bleibt zwiespältig: Das Konzept der NPD, durch regionale Anmeldungen zumindest für die Hälfte der Städte Demonstrationen und Kundgebungen durchzusetzen, hat sich als wirkungsvoll erwiesen. Selbstzufrieden klangen denn auch die Verlautbarungen der Nationalen Infotelefone und der NPD. Bei der Neonazi-Partei, die die militanten Freien Kameradschaften inzwischen in den eigenen Publikationen unverhohlen als »außerparlamentarische Vorfeldorganisationen« bezeichnet, will man nun - angesichts wahlkampffreier Zeiten - wieder verstärkt auf Aufmärsche setzen. Vorreiter ist hier wieder einmal der NPD-Landesverband Sachsen. Dessen Vorsitzender Winfried Petzold gibt die Richtung in der neuesten Ausgabe der NPD-Propagandapostille Sachsen Stimme vor: Nur mit »entschlossenen, hochmotivierten Kämpfern für die deutsche Sache« könne man eine Änderung der politischen und damit wirtschaftlichen Verhältnisse erreichen. Es liege nach »10 Jahren BRD in Mitteldeutschland« auf der Hand, dass »ein Wandel zum Besseren durch Wahlen nicht zu erreichen« sei: »Der zweifellos bevorstehende Endkampf bedarf gut geschulter politischer Soldaten, die aus voller Überzeugung bereit sind, im Notfall alles zu opfern, ja das Letzte zu geben«, heißt es bei Petzold, der dem bis dahin vor allem in Sachsen eingeschlagenen NPD-Kurs, Wahlpartei zu sein, eine Absage erteilt und dem Schulterschluss mit den Freien Kameradschaften Priorität einräumt.