Neonazis im Internet

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Während die Internet-Aktivitäten von Neonazis zunehmen, haben sich in Deutschland und den USA unterschiedliche Anwendungen durchgesetzt.

Ob NPD oder Freie Kameradschaften, ob Musikvertriebe wie Rock Nord oder regionale Naziskinbands - Rechtsextremisten aller Strömungen haben das Schlagwort »Cyberhate« längst zur virtuellen Realität gemacht. Rund 300 rechtsextreme Internetseiten werden mittlerweile in Deutschland von deutschen Neonazis betreut.

Genutzt wird das Internet dabei vor allem für die Verbreitung von strafrechtlich sanktionierter NS-Propaganda, zum Vertrieb von rechtsextremer Musik, Literatur und szenetypischen Outfits sowie zur Vernetzung und zur Mobilisierung, meint Devin Burghart vom Center for New Community aus Chicago. Das Center beobachtet seit längerem die Entwicklung von »Cyberhate« in den USA und Europa und versucht, durch Veranstaltungen Bildungsarbeit über Rechtsextremismus in Basisbewegungen zu verankern.

Bei einer kürzlich vom Berliner Antifaschistischen Pressearchiv organisierten Rundreise betonte Burghart auch, eine der Gefahren beim Thema »Neonazis und Internet« liege darin, aus dem Blick zu verlieren, dass die Webseiten nur ein Spiegelbild der Realität seien. »Rechtsextreme Propaganda im Internet wird von realen Neonazis in den unterschiedlichsten Communitys erstellt und verbreitet. Hier sollte auch der Ansatzpunkt für antifaschistische Aktivitäten liegen.«

Da Medienberichte über die Nutzung des Internet durch Neonazis zunehmen, sieht man sich jetzt beim Bundesjustizministerium im Zugzwang: Priorität hat hier, gegen die virtuellen Erscheinungen von Rechtsextremismus vorzugehen. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) kündigte vor kurzem an, sie werde Anfang Juli mit großen Internetfirmen über eine »Art Verhaltenskodex« sprechen. Dabei solle geklärt werden, was auf keinen Fall ins Netz kommen dürfe und »wie die Hetzer zu fassen« seien.

Weiter will Däubler-Gmelin eine EU-weite Abstimmung der Strafvorschriften erreichen. Sie hofft, auch die USA einbinden zu können. Die Diskussion mit den zuständigen US-Regierungsstellen über in Deutschland strafbare Äußerungen und in den USA von der Meinungsfreiheit gedeckte Inhalte sei bisher allerdings »äußerst kontrovers«, erklärt der parlamentarische Staatssekretärs der Ministerin, Eckart Pick.

Auch in der EU sind die Richtlinien keineswegs einheitlich. So kritisierte Michel Friedman, Mitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland, dass das Leugnen des Holocausts zwar in Deutschland und Frankreich verboten sei, nicht aber in Schweden oder Dänemark. Dies ermögliche es Neonazis, dort ihre Texte ins Internet zu stellen. Friedman forderte zur Holocaust-Leugnung im Netz eine einheitliche EU-Gesetzgebung.

In der Neonaziszene zeigt man sich von solchen Forderungen unbeeindruckt. Webseiten, die heute in Deutschland von großen Providern abgeschaltet werden, würden innerhalb weniger Tage über US-Provider wieder ins Netz gestellt, hat Devin Burghart beobachtet. Vermehrt nutzen deutsche Neonazis auch Provider aus den eigenen Reihen - beispielsweise das NPD.net -, um Zensurmaßnahmen zu umgehen. Insbesondere Anti-Antifa-Aktivitäten haben immer mehr an Bedeutung auf rechtsextremen Webseiten gewonnen.

Das jüngste Beispiel: Die militante Kameradschaft Gera veröffentlichte im März auf ihrer Webseite einen Steckbrief des Geraer DGB-Jugendreferenten Sirko M. samt Fotos und Drohungen. Mittlerweile konnte M.s Anwalt zwar erreichen, dass der Eintrag auf der Webseite wieder gelöscht wurde. Dies gelang nur, weil die Kameradschaft ein Foto veröffentlicht hatte, für das dem Provider die Veröffentlichungsrechte fehlten. Bereits seit Mitte Mai wird auf der Webseite offen gegen den Geraer Stadtjugendpfarrer Michael Kleim gehetzt und dazu aufgefordert, Kleim »die Meinung zu sagen«.

Auch das NPD-Bundesvorstandsmitglied Frank Schwerdt meldet sich per Internet in der Szene zurück: Der Gründer der aufgelösten Nationalen e.V. und Verfechter eines NS-Kurses in der NPD hat die neue Domain der neonazistischen Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene (HNG) im Internet angemeldet. Als Adresse gab Schwerdt seinen rechtsextremen Versandhandel Vortrag-Buch-Reise-Verlag (VBR) in Berlin-Schöneweide an.

Über die HNG-Webseite wird seit Neuestem nicht mehr nur die jeweils aktuelle Ausgabe der HNG-Nachrichten verbreitet, sondern auch Zugriff auf ein Printarchiv angeboten, in dem alle Ausgaben der Publikation seit 1997 verfügbar sind. Die HNG verspricht sich von ihrer neuen Netzpräsenz eine schnellere Verbreitung von Szene-Terminen und Gerichtsurteilen gegen Mitglieder und Sympathisanten.

In der Nutzung für Mobilisierungen und Vernetzung liegt nach Ansicht von Devin Burghart ein wesentlicher Unterschied zwischen europäischen Neonazigruppierungen und der US-Szene. Während »Internet-Mobilisierungen« für Aufmärsche in den USA mehrfach zum Flop für Neonazis wurden und eine starke antifaschistische Gegenmobilisierung zur Folge hatten, würde wegen der geringeren Entfernungen in Deutschland diese Form der Kommunikation erfolgreich sein.

Auf beiden Seiten des Atlantiks von gleicher Bedeutung sei das Internet bei der Verbreitung rechtsextremer Propaganda und Musik, sagt Burghart. Beispielhaft sei hier der Marktführer unter den US-Nazimusikvertrieben, das zu Jahresbeginn von dem Anführer der National Alliance, William Pierce, aufgekaufte Label Resistance Records. Der Vertrieb gibt an, in diesem Jahr einen Gewinn von mehr als 1,5 Millionen Mark durch den Verkauf von White-Power-Musik-CDs machen zu wollen.

Ein wesentlicher Prozentsatz des Verkaufs wird durch die Webseite von Resistance Records und ihrem neuen Internetradio, Resistance Radio, erwartet. Viele ihrer Online-Kunden kommen aus Deutschland. »Das Internet ist der billigste Weg, um einfachen Zugang zu Neonazimaterial zu bekommen und um finanziell bedeutende Einnahmequellen zu schaffen«, so Burghart: »Heute sitzen US-Jugendliche mit einem signifikanten finanziellen Potenzial in ihren Kinderzimmern und bestellen die neuesten deutschen White-Noise-CDs von Resistance Records oder anderen Vertrieben, indem sie einfach online mit ihrer Visa- oder Master-Card bezahlen.«