Nazi-Mord an Mosambikaner

Sterben in Dessau

Nach dem Mord an einem Mosambikaner in der sachsen-anhaltinischen Stadt ermittelt nun der Generalbundesanwalt - gegen Rechts.

Ein Sterbeort in Deutschland: Ein kleiner, übersichtlicher Stadtpark im Zentrum der Bauhaus-Stadt Dessau, an zwei Seiten umgeben von Wohnhäusern mit Blick auf den Park. Die nächste Polizei-Dienststelle ist knapp 500 Meter entfernt. Wild wuchernde Hecken, alte Buchen, spärlicher Rasen. Hier wurde in der Nacht von Pfingstsonntag auf Pfingstmontag der 39jährige mosambikanische Vertragsarbeiter Alberto Adriano, knapp drei Minuten von seiner Wohnung in einem der nahe gelegenen Wohnblocks entfernt, ins Koma geprügelt.

Auf dem Rückweg von einer Feier mit Freunden trifft er auf dem gewohnten Nachhauseweg durch den Park auf drei grölende, angetrunkene Nazi-Skins aus Bad Liebenwerda und Wolfen. Alberto Adriano beschwert sich offenbar über die Nazi-Parolen des Trios. Die Antwort kommt prompt: Tritte und Prügel, die bei dem gelernten Fleischer zu schwersten Verletzungen führen. Als Alberto Adriano regungslos auf dem Gras liegen bleibt, ziehen ihn die Angreifer noch nackt aus.

Ein Anwohner, der offenbar Schreie gehört hat, ruft die Polizei und den Notarzt. Trotzdem dauert es noch fast eine halbe Stunde, bis die Polizei im Park erscheint. Zu spät für Alberto Adriano. Am Mittwoch vergangener Woche stirbt er im Krankenhaus von Dessau, ohne aus dem Koma wieder aufgewacht zu sein.

Die Polizei nimmt die drei Angreifer noch in der Tatnacht im Stadtpark fest. Ihr Verhalten ist klassisch für die zahllosen Vollstrecker der rassistischen Mehrheitsmeinung: »Wir lassen uns doch von so einem Ausländerschwein nichts sagen«, sollen die beiden 16 und 17 Jahre alten Angreifer der Polizei gesagt haben. Sie sind wegen rechtsextremer Propagandadelikte polizeibekannt.

Der 25jährige Angreifer aus Bad Liebenwerda hingegen schweigt. Vielleicht, weil er geschulter ist im Umgang mit den Ermittlungsbehörden. An der Haustür im Plattenbau-Bezirk von Wolfen, wo der 16jährige Frank Miethbauer mit seiner Mutter wohnt, prangt die Zahl »88« für »Heil Hitler«, daneben droht die Zeichnung eines glatzköpfigen Skinheads mit geballter Faust »Ruhe«. An den Häuserwänden der Siedlung finden sich die entsprechenden Graffiti: »Ausländer und Zecken raus«. Die offiziellen Statements zur Motivation der Täter sind altbekannt: »Der rechtsextreme Hintergrund wird zur Stunde ermittelt«, erklärt Staatsanwalt Hermann-Josef Gerhards aus Dessau, bevor die Generalbundesanwaltschaft am Ende der Woche die Ermittlungen an sich zieht.

Ein Sterbeort in Deutschland: Seit Ende letzter Woche steht im Stadtpark von Dessau unter der alten Rotbuche ein kleiner, unauffälliger Granitstein mit einer eingemeißelten Blume. Davor liegt ein gerahmtes Schwarz-Weiß-Foto von Alberto Adriano, umringt von Kränzen, Grablichtern, Postkarten und Plüschtieren. »Die Tiere sind für die drei Kinder von Alberto«, sagt die 26jährige Sandra aus Dessau. Sie ist mit einem Flüchtling aus Mali befreundet; die gemeinsame fünfjährige Tochter lässt sie seit dem Mord an Alberto Adriano nicht mehr unbeobachtet auf der Straße spielen. Mit Sandra haben sich auch andere Frauen, die mit afrikanischen Vertragsarbeitern und Flüchtlingen befreundet sind, an dem Gedenkstein eingefunden, als zwei kahlgeschorene junge Männer vorbeikommen und pöbeln: »Haut ab, ihr Negerschlampen.« Die Frauen zucken zusammen: »Das passiert ständig«, sagt Sandra. »Warum soll ich darauf noch reagieren?«

Ein Sterbeort in Deutschland: Am Freitag vergangener Woche trifft der Demonstrationszug mit rund 2 000 Menschen vom Rathaus im Stadtpark ein. Die offiziellen Redner sagen das, was ihre Redenschreiber mittlerweile als Textbaustein »Betroffenheit« abgespeichert haben müssen: Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) fordert dazu auf, »konsequent gegen Rechtsextremismus und Fremdenhass im Alltag vorzugehen«. Immerhin stellt er fest: »Für Brutalität dieser Art gibt es keine Entschuldigung, weder den Hinweis auf wirtschaftliche Schwierigkeiten noch auf psychologische Hintergründe.«

Am Ende der offiziellen Reden gelingt es schließlich einem Sprecher der afrikanischen Asylbewerber, die gemeinsam mit ehemaligen Vertragsarbeitern an der Spitze des Trauermarsches gegangen sind, doch noch zu reden. Seine Forderungen sind klar: Umverteilung aller Asylbewerber aus Dessau in ein westliches Bundesland bis zum Ende des Monats, wenn sich die Situation vor Ort nicht verändert. Und ein Ende der rassistischen Polizeikontrollen, mit denen die Dessauer Ordnungshüter zu jeder Tages- und Nachtzeit Schwarze auf den Straßen und Plätzen der Stadt als »Drogendealer« verfolgen und denunzieren.

Später am Abend, während eine Antifa-Demo mit rund 500 TeilnehmerInnen durch die Wohnviertel zieht, werden Vertreter der Vertragsarbeiter-Community und Flüchtlinge von der grünen Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, Marieluise Beck, und Cem Özdemir zur »Aussprache« in die Räume der Landeskirche gebeten. Hier wiederholen die Flüchtlinge ihre Forderungen: Umverteilung, das Recht auf Freizügigkeit und Arbeit, menschenwürdige Wohn- und Lebensbedingungen sowie einen unabhängigen Ausländerbeirat mit Entscheidungskompetenz, um das Vorgehen der Polizei zu kontrollieren. Das Ergebnis: Ein Kirchenvertreter schlägt die Einrichtung eines Runden Tisches mit der Polizei vor, »um die Vorwürfe zu klären«. Und Beck wird am nächsten Tag mit dem Satz in den Medien zitiert: »Wenn der Geist der Springerstiefel Oberhand gewinnt, trifft es heute den Schwarzen, morgen den Homosexuellen und übermorgen den Liberalen.«

Sie fordert Lehrer, Eltern und die Polizei auf, »keinerlei rechtes Gedankengut zu dulden«. Die Forderung der Flüchtlinge nach einer Umverteilung in den Westen stößt bei der Betroffenheitsbeauftragten auf keine Gegenliebe. Özdemir sagt es nach der Zusammenkunft ganz offen: »Wenn die Asylbewerber hier weggehen, dann haben die Nazis doch das erreicht, was sie wollen: ausländerfreie Zonen.« Hier sei der Staat gefragt, die Sicherheit aller zu gewährleisten. Ansonsten unterstütze er selbstverständlich die Forderung nach dezentraler Unterbringung von Asylbewerbern. Sein Abschlusssatz, bevor muskulöse Bodyguards Beck und ihn in die wartenden Autos begleiten, klingt griffig: »Im Zweifelsfall heißt es Nazis raus, und nicht Schwarzafrikaner raus.«