Jairo Bedoya, kolumbianischer Sozialforscher

»Kolumbien ist für die USA strategisch zentral«

Militärhilfe und Drogenbekämpfung für die Menschenrechte - US-Präsident William Clinton gab sich bei seinem Kolumbien-Besuch letzte Woche ganz demokratisch. Einige tausend Demonstranten sahen das anders. Sie wiesen auf Verbindungen der US-Regierung zu den kolumbianischen Paramilitärs hin, die für die Morde an zahlreichen Oppositionellen verantwortlich gemacht werden. Jairo Bedoya ist Sozialforscher des Medelliner Bildungsinstituts IPC, das Projekte in den Armenvierteln der Stadt durchführt. 1999 wurde Bedoya im Auftrag der Paramilitärs entführt und drei Wochen festgehalten. Seit seiner Freilassung lebt er im Exil. Zuletzt beteiligte er sich an Aktivitäten von Oppositionsgruppen in Madrid gegen die internationale Finanzierung des Plan Colombia (Jungle World, 34/00).

Während der Entführung sind Sie mit Carlos Casta-o zusammengetroffen, der als intellektueller Urheber der meisten Massaker in Kolumbien gilt. Wie war Ihr Eindruck?

Man kann den Paramilitarismus nicht nur als militärisches Projekt begreifen. Er beinhaltet auch ein soziales und ökonomisches Programm, zum Beispiel zur Landreform. Entscheidender als die Leute in Waffen sind jene Sektoren in Wirtschaft und Politik, die die Leitlinien festlegen - die reaktionärsten Teile der kolumbianischen Gesellschaft. Die zweite wichtige Erkenntnis war, dass Casta-o seine Entscheidungen nicht allein trifft. Offensichtlich war er mit der Freilassung nicht einverstanden, musste sich aber anderen Leuten beugen.

Anfang August wurde bekannt, dass die US-Drogenbehörde DEA über Mittelsmänner mit Casta-o verhandelt hat. Was wissen Sie über diese Zusammenarbeit?

Ich glaube, dass Verletzungen der Menschenrechte, wie sie die USA in Nicaragua begangen haben, heute auch in Kolumbien möglich sind. Damals erlaubte der US-Geheimdienst, dass sich die Contra durch Drogenexporte in die USA finanzierte. Der Online-Nachrichtendienst Nizkor hat jetzt einen Artikel veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass die Verlagerung des Schlafmohnanbaus von Südostasien nach Lateinamerika in den letzten 15 Jahren von DEA und CIA unterstützt worden ist. Erwähnt wird eine militärstrategische These, wonach derjenige die Andenländer beherrscht, der in den Bergen das Gebiet um die 2 000 Höhenmeter kontrolliert. Dort befinden sich, historisch gesehen, die wichtigsten Städte. Und Schlafmohn wird genau in dieser Höhe angebaut. Bei Nizkor heißt es weiter, dass die US-Geheimdienste nach der Verselbständigung der bis dahin von ihnen unterstützten Taliban in Afghanistan das Geschäft aus Asien abziehen wollten. Heute gibt es zwei große Schlafmohn-Anbaugebiete in Lateinamerika: im kolumbianischen Südwesten und in Mexiko.

Warum sollten die USA an einer solchen Verlagerung Interesse haben?

In Kolumbien gibt es ein klar definiertes politisches Ziel: Man will das Vordringen der Guerilla stoppen, indem man eine Gegenkraft aufbaut, die die Aufständischen von den Städten abschneidet. Der Drogenhandel ist solch eine Gegenkraft. Interessant ist auch, dass es im Plan Colombia nur um Kokain-, nicht aber um Schlafmohn-Anbaugebiete geht. Und das, obwohl Kolumbien der zweitgrößte Heroin-Produzent der Welt ist. Die USA ist in beiden Richtungen aktiv: ganz legal in der Drogenbekämpfung, zum anderen aber auch in der Kontrolle des Drogenhandels und der Kanalisierung der Einnahmen.

Der Drogenkonsum, gerade der von Heroin, ist für die USA aber ein enormes innenpolitisches Problem.

Bei der Finanzierung der Contra in den achtziger Jahren haben wir beobachten können, wie Drogenhandel gefördert wird, wenn dadurch bestimmte politische Gruppen gestärkt werden. In Kolumbien ist es ähnlich. Die Schlafmohn-Kartelle sind bisher noch nicht wie die Koka-Kartelle als politische Akteure im kolumbianischen Konflikt aufgetreten. Sie sind eine strategische Reserve für die kolumbianische Rechte.

Wie eng sind die Verbindungen Casta-os zum Drogenhandel?

Er leugnet alles und führt als Beweis an, dass er 1990 zu den Pepes (»Verfolgte von Pablo Escobar«) gehörte. Eine Gruppe, die die Bezeichnung Paramilitärs wirklich verdient, weil dort Casta-os Leute mit Offizieren, Polizisten, dem Cali-Kartell und anderen zusammengearbeitet haben. Es ist ein blödes Argument, wenn Casta-o damit seine Verbindungen zum Drogenhandel widerlegen will. Wie die Verbindungen zwischen Paramilitarismus und Drogengeschäft im Detail sind, kann ich nicht sagen. Aber es gibt Indizien. Eine Kriegsmaschine wie die der Paramilitärs braucht immense Geldsummen, und irgendwoher müssen die kommen.

Die 6 500 Mann von Casta-o sind nicht allzu viel, wenn man bedenkt, dass die Guerilla etwa 20 000 Leute umfassen soll.

Casta-o sagt, es gebe zwei bestimmende Faktoren im Konflikt, Regierungstruppen und Farc, und zwei beeinflussende, Paramilitärs und ELN. Diese Einschätzung stammt offensichtlich nicht von ihm. Die Pastrana-Regierung beschloss 1998, keine Verhandlungen mit der ELN aufzunehmen - bei der Farc war das anders. Gleichzeitig eröffneten die Paramilitärs den Krieg gegen die soziale Basis der ELN. 80 Prozent der paramilitärischen Massaker und Morde richteten sich seitdem gegen Gebiete, die als Einflusszonen der ELN gelten.

Was hat es mit dem Plan Colombia auf sich? Geht es den USA darum, die Kontrolle über den Drogenhandel zu bekommen, die Guerilla zu schlagen oder sich als Regionalmacht gegenüber Venezuela, Ecuador und Peru zu konsolidieren?

Es geht um alle drei Ziele. 1994 haben die Staatschefs Amerikas vereinbart, bis 2005 eine Freihandelszone auf dem gesamten Kontinent zu errichten. Nafta und Mercosur scheinen recht gefestigt, noch nicht vereinheitlicht sind die Märkte in der Andenregion und in der Karibik. Dafür braucht man eine Sicherheitsstrategie, und die versucht der Plan Colombia zu entwickeln. Kolumbien ist, wie ein US-Berater gesagt hat, geostrategisch zentral. Die Panamericana-Straße soll das Land durchqueren, eine Alternative zum Panama-Kanal ist geplant. Wie soll man das bauen, wenn da die Guerilla herumspringt?

Der Plan Colombia wird auch Auswirkungen auf die Nachbarländer haben. Es wird Pläne für Ecuador, Peru und Venezuela geben. Der gleiche Berater hat darauf hingewiesen, dass man regionale Streitkräfte unter US-Führung braucht. Die drei im Zusammenhang mit dem Plan Colombia gegründeten Anti-Drogen-Bataillone sind die Keimzelle einer solchen Regionalarmee: gut ausgerüstet, von US-Militärs kommandiert, mit Lateinamerikanern besetzt. Und die jüngsten Ereignisse in der Region haben die Militärstrategen erschreckt: der Aufstand gegen die Währungsankoppelung an den Dollar in Ecuador, die Proteste gegen Fujimori in Peru und der Erfolg der linksnationalistischen Regierung Chávez in Venezuela.

General Barry McCaffrey, höchster Drogenbekämpfer der USA, und Charles Wilhelm, Chef des Kommandos Süd der US-Armee, haben letztes Jahr in Argentinien und Peru für eine Militärintervention in Kolumbien geworben. Ist eine Intervention wirklich denkbar?

Der Plan Colombia sieht die Entsendung von 300 offiziellen Militärberatern und 200 Angehörigen von privaten Sicherheitsdiensten, also Söldnern, vor. Außerdem ist bei der Vermittlung im US-Kongress eine Klausel hinzugefügt worden, die es dem Präsidenten erlaubt, die Intervention zu verstärken, wenn Interessen der USA direkt betroffen sind. Es wird keine offene Invasion geben, aber Washington wird weiter darauf hinarbeiten, eine Anden-Armee unter US-Kontrolle aufzubauen. Die Soldaten werden Lateinamerikaner sein, die Leitung wird beim Pentagon liegen.