IWF und Weltbank-Treffen in Prag

Dank an die Kritiker

Indem er auf NGO-Forderungen eingeht, schafft sich der IWF, der globale Schuldenscherge des Westens, neue Legitimation.

Kritik am Internationalen Währungsfonds (IWF) liegt im Mainstream. »Destroy IMF« lautet der Schlachtruf der linken Kritiker, und das Gleiche fordert auch die Kommission unter Führung des konservativen Wirtschaftsprofessors Allan Meltzer, die im November 1998 vom US-Kongress eingesetzt wurde, um Vorschläge für eine Umstrukturierung des IWF und der Weltbank auszuarbeiten. In ihrem Abschlussbericht schlägt sie vor, den IWF in eine Art statistische Behörde mit angegliedertem kleinem Kredittopf umzuwandeln, die hauptsächlich Finanz- und Wirtschaftsdaten ihrer Mitgliedsstaaten sammelt und veröffentlicht sowie sie wirtschaftspolitisch berät. Zudem sollen nur noch kurzfristige Liquiditätskredite (maximal 120 Tage mit nur einer Umschreibung) zu Strafzinssätzen zur Überbrückung von Krisensituationen vergeben werden, wenn die privaten Finanzmärkte kein Geld mehr rausrücken.

Der IWF, so die Kommission, habe auf ganzer Linie versagt. Seine »Bemühungen zu kurzfristigem Krisenmanagement seien zu teuer, die Reaktion auf Finanzkrisen zu langsam, die Ratschläge häufig faktisch falsch und seine Bemühungen, Politikformulierung zu beeinflussen, zu aufdringlich, urteilte die Kommissionsmehrheit« nach einem Bericht der FR (13. April). »In Entwicklungsländern, die vom IWF entgegen dessen ursprünglich begrenzten Mandats heute langfristige, an Auflagen zur Strukturanpassung geknüpfte Kredite bekommen, unterminieren die Programme des IWF nationale Souveränität und behinderten die eigenständige Entwicklung verantwortlicher, demokratischer Institutionen. Internationale Geldgeber vertrauen darauf, dass der IWF bei Liquiditätskrisen der Schuldnerländer einspringe (vgl. die Mexiko-Krise von 1994/95) und damit die ausländischen Investitionen sichere (ðmoral hazardÐ).«

Das könnte ohne weiteres aus einer Erklärung entwicklungspolitisch engagierter NGOs stammen. Freilich versteht die Kommission unter »nationaler Souveränität« nichts anderes als die »Freiheit« der vom Weltmarkt abgeschriebenen Länder, endgültig im Elend zu versinken, ohne dass sich jemand im Westen dafür verantwortlich fühlen muss. In der marktwirtschaftlich üblichen Perfidie wird so getan, als habe nicht der IWF mit seiner »Strukturanpassungspolitik« die Logik der Kapitalverwertung global exekutiert - mit den bekannten, mörderischen Konsequenzen für die Mehrheit der Weltbevölkerung. Im Gegenteil: Er soll angeblich die marktwirtschaftliche Dynamik gestört und damit die Länder des Südens und des Ostens um ihre guten Chancen betrogen haben.

Diese durchsichtige Sophistik hat einen banalen ökonomischen Hintergrund. Spätestens die Krisen in Südostasien und Russland haben gezeigt, dass der IWF an die Grenzen seiner Kapazitäten stößt. In den achtziger und frühen neunziger Jahren hatte er sich von einer währungspolitischen Institution der Nachkriegszeit zum globalen Schuldenschergen des Westens entwickelt, der die Länder der Dritten Welt und des ehemaligen Ostblocks zu umfassender Marktöffnung und Deregulierung zwang. Doch der Dynamik an den transnationalen Finanzmärkten gegenüber, die er auf diese Weise selbst mit zu entfesseln half, erweist er sich letztlich als hilflos. In der Asienkrise musste der IWF seine letzten Kreditreserven mobilisieren, um die Finanzmärkte zu stützen und eine Ausweitung des Crashs auf Japan, die USA und Europa gerade noch zu verhindern. Selbst routinierte Abwiegler in Presse und Wirtschaftsfakultäten mussten zugeben, dass die Welt nur knapp an einem Mega-Crash vorbeigeschrammt war.

Der Schreck wurde im Westen ideologisch spiegelverkehrt verarbeitet. Die einen, wie die Meltzer-Kommission, wiegen sich in der Illusion, es könnte ihnen gelingen, die böse Welt der Krisen einfach von ihrer phantasierten Insel der ökonomischen Glückseligkeit fernzuhalten; im übrigen werde der Markt es schon richten. Die anderen plädieren für eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte - wahlweise mit oder ohne Hilfe des IWF -, um so den Einfluss des »heißen Geldes« zurückzudrängen und wieder Raum für keynesianische Wirtschafts- und Sozialpolitik zu gewinnen.

Beide Positionen sind illusionär. Sie verdrängen, dass die gesamte Weltökonomie vom spekulaiven Finanzsektor abhängt; und zwar nicht einfach, weil die Deregulierungswut der letzten zwei Jahrzehnte institutionelle Fakten geschaffen hat, sondern weil nur die fortwährende Flucht in das »fiktive Kapital« (Marx) einen vorübergehenden Aufschub der durch die mikroelektronische Revolution ausgelösten Akkumulationskrise erlaubt.

Gerade die US-Ökonomie - aber keinesfalls nur sie - speist sich wesentlich aus realökonomisch ungedeckten Zuflüssen aus den transnationalen Finanzmärkten; allein für die Finanzierung des chronischen Leistungsbilanzdefizits waren das im letzten Jahr 340 Milliarden Dollar. Hätte der IWF in die Asienkrise nicht interveniert, wäre der vielgepriesene »historisch einmalige Boom« sehr schnell in eine ebenso einmalige Depression umgekippt.

Aus dem gleichen Grund verbietet sich aber eine auch nur halbwegs ernsthafte Regulierung der Finanzmärkte etwa durch eine Spekulationssteuer (»Tobin-Tax«), wie sie die Neo-Linkskeynesianer fordern. Allein die politische Absicht, käme sie denn zustande, würde eine gigantische Flucht aus den Kredit- und Aktienmärkten provozieren und damit jene Crash-Dynamik auslösen, die verhindert werden soll.

Der IWF verhält sich in diesem Dilemma wie die neuen sozialdemokratischen Regierungen überall auf der Welt: »pragmatisch«. Das heißt, er versucht, die prekäre ökonomische Weltlage so lange wie möglich in der Schwebe zu halten. Die erste Regel dabei lautet: möglichst wenig verändern, um das labile Gleichgewicht nicht zu stören. Die zweite: möglichst viel Veränderungsrhetorik verbreiten.

Insofern ist eine Wende in der praktischen Politik des IWF nicht zu erwarten. Er wird auch weiterhin als Feuerwehr bei regionalen Finanzmarktkrisen intervenieren, soweit irgendwie noch finanzielle Mittel mobilisiert werden können; natürlich nur, wenn es sich um »Länder von großer systemischer Bedeutung für die globale Finanzstabilität« handelt, wie es die demokratische Minderheit in der Meltzer-Kommission ausdrückt.

Um seinen Spielraum für solche taktischen Interventionen ein wenig zu erweitern, will der IWF versuchen, die Banken, Investmentfonds und andere private Finanzmarkt-Akteure schon im Vorfeld einzubinden. Im Ernstfall wird eine Allianz zwar kaum tragen, weil jeder versucht, seine Felle ins Trockene zu bringen, aber sie schafft propagandistischen Rückhalt. Immerhin muss der IWF seine Mitgliedsstaaten dazu bewegen, ihre Quoten auch einzuzahlen, also Kreditgeld bereit zu stellen. Das jedoch wird angesichts der breiten Kritikerfront von Rechtspopulisten bis Linksradikalen, die gemeinsam die Sozialisierung der privaten Spekulationsverluste beklagen, immer schwieriger; insbesondere der US-Kongess zeigt sich ziemlich störrisch.

Einen hohen moralischen Legitimationsgewinn wirft auch der Schuldenerlass für die am höchsten verschuldeten armen Länder ab, der auf dem letztjährigen Weltwirtschaftsgipfel in Köln beschlossen wurde und der perfiderweise so konzipiert ist, dass er sich praktisch selbst blockiert. Von 35 Ländern wurde bisher nur eines, Uganda, teilentschuldet, und lediglich vier weitere erhielten verbindliche Zusagen. Die Schuldenerleichterung tritt nämlich nur in Kraft, wenn die betreffenden Länder neben den üblichen marktradikalen »Strukturreformen« auch so genannte Strategien zur Armutsbekämpfung entwickeln, an deren Aushandlung die »zivilgesellschaftlichen Akteure« beteiligt werden sollen.

Dieses Eingehen auf die Forderungen der NGOs beschert dem IWF eine doppelte legitimatorische Entlastung. Werden zumindest auf dem Papier Almosen bereitgestellt, kann das als »Beweis« dafür gelten, dass die Auslieferung an den Weltmarkt eben doch den allgemeinen Wohlstand fördert; der IWF kann sich dann als Förderer des Sozialen inszenieren. Zugleich werden die betreffenden NGOs noch stärker als bisher politisch vereinnahmt und zu Instrumenten der offiziellen Krisenverwaltung gemacht. »Armutsbekämpfung« wird dann, wie so oft, zum Disziplinierungsinstrument.

Gelingt es dagegen nicht, ein so genanntes Poverty Reduction Strategy Paper (PRSP) zu entwerfen, kann sich der IWF unschuldig geben. Er hat getan, was er konnte, die Verantwortlichen für das Elend sitzen in den Ländern selbst. Mit gutem Gewissen können diese also je nach Bedarf sich selbst überlassen oder einer internationalen Krisenverwaltung unterworfen werden.

Der IWF hat damit bewiesen, dass auch er in der »reflexiven Moderne« angekommen ist. Er hat in den Krisen der letzten Jahre gelernt, Kritik so zu integrieren, dass sie ihm nicht schadet, sondern nützt.