Viktor Pelewins »Generation P«

Mach den Pepsi-Test

Viktor Pelewins »Generation P« ist ein schlaues Buch über den post-sowjetischen Turbokapitalismus mit Eat-the-Rich-Appeal.

Die Geschichte, die Viktor Pelewin in »Generation P« erzählt, ist zunächst mal ganz simpel: Babilen Tatarski ist Schriftsteller und gehört zur Generation »P«. Der Vorname Babilen verbindet den Titel eines Gedichtes von Viktor Jewtuschenko, »Babi Jar«, mit dem Namen Lenin und klingt damit fürchterlich nach Chruschtschow-Ära. Aber »P« steht natürlich nicht für »Proletariat« oder »Praxis«, sondern für »Pepsi«, denn unter Breschnew war es der Getränkefirma als erste gelungen, hinter den Eisernen Vorhang zu kommen. Weil der Literat Babilen Tatarski nicht unbedingt zu den Wendegewinnlern gehört, schlägt er sich anderweitig durch. Er verkauft Zeitungen in einem Kiosk, der von einem tschetschenischen Mafia-Typen abkassiert wird. Davon lässt sich natürlich schlecht leben, weshalb Tatarski denn auch ausgesprochen glücklich ist, als ihn Ex-Kommilitone Morkowin für die Werbebranche anheuert.

Die Agentur, bei der Morkowin arbeitet, ist darauf spezialisiert, neurussischen Unternehmern in der nicht besonders langen Phase zwischen Kreditaufnahme und Konkurs eine eigentlich überflüssige Werbestrategie aufzuschwatzen. In kluger Voraussicht des sich anbahnenden Totalkollapses der russischen Wirtschaft entwickelt die Agentur zugleich Werbekonzepte für Westprodukte, die demnächst den einheimischen Markt monopolisieren dürften und mit spezifisch russischen Reklamestrategien populär gemacht werden sollen.

Blöderweise frisst Tatarski jedoch jede Menge Fliegenpilz, so dass er - und mit ihm der Leser - zwischendurch den roten Faden der Geschichte aus den Augen verliert. Seitenlang referiert dann Che Guevara über die drei Wow-Typen des bürgerlichen Konsumenten (Streben nach Geld, wollüstiger Ausstoß von Geld, unverständliche Mischform); eine andere Stimme spricht von babylonischer Enkidu-Mythologie und Buddhismus, und, schwupps, wird der Chef der Agentur umgebracht, gerade noch rechtzeitig, bevor er Tatarski ernsthaften Ärger machen kann.

Doch damit nicht genug. Unser Held mit dem blödsinnigen Vornamen kommt - wieder mal so ein Zufall - zum Fernsehen, wo er zum Wirklichkeitssimulanten aufsteigt, denn - die Überraschung hält sich in Grenzen - Politiker, wie man sie im Fernsehen sieht, gibt es gar nicht. Man hat es längst geahnt. Die Gestalten aus den Acht-Uhr-Nachrichten, Jelzin, Putin, Lebed, aber auch all die Typen aus Washington, sind nichts als Computersimulationen. Warum? Weil Nachrichten ohne Politiker nur halb so schön sind, und Nachrichten die besten Werbeeinnahmen garantieren. Nun wird der kritische Leser natürlich genauso misstrauisch wie Babilen Tatarski: Wer steckt denn dann hinter allen Entscheidungen, wenn nicht die Politiker? Die Programmchefs, die Großkonzerne, gar die Freimaurer? Alles Quatsch: Der achte Stock steckt dahinter, weil der über dem siebten liegt, und der siebte irgendwie wieder auch hinter dem achten, was nicht weiter wichtig ist, solange die Chose gut funktioniert.

Am Schluss wird Tatarski ganz ähnlich wie der Protagonist in dem Roman »Illuminatus« von Robert Anton Wilson und Robert Shea zum Gemahl der Großen Göttin auserwählt, ein rein rituelles Amt übrigens. Die Göttin wiederum kämpft gegen den fünfbeinigen Hund, und dieser Kampf stellt sehr kompliziert den Zusammenhang zwischen den Dingen her, um die es hier geht.

Klingt ein bisschen wirr und ist es auch. Viktor Pelewin, einer der (auch im Westen) bekanntesten russischen Autoren der jüngeren Generation, befördert einen mit seiner Satire rasant ins neurussische Absurdistan, wo nichts funktioniert, nur das Geld-Ausgeben - wenn man es denn hat. Logisch ist in diesem Buch nur die Nummerierung der Seiten, aber dafür passiert wenigstens etwas: LSD-Horrortrips, religiöse Zeremonien, tschetschenische Bombenanschläge, Informationen aus dem Innersten der Macht, wo sich die Beresowski-Simulation für ihre Simulation bedankt.

Dass »Generation P« im Vergleich zu Pelewins zuvor erschienenem Buch »Buddhas kleiner Finger« fast schon so etwas wie eine stringente Handlung besitzt, hat damit zu tun, dass es hier ein zentrales Sujet und eine gewisse Chronologie gibt. Während in »Buddhas kleiner Finger« Leute in einem Sanatorium der Jetzt-Zeit einschliefen, 1919 als Revolutionshelden wieder wach wurden, irgendwelche Drogen nahmen, über die ostasiatische Küchenphilosophie referierten und wieder einschliefen, arbeitet sich Pelewin diesmal etwas zielstrebiger an sein Thema heran: Es geht um die Verhältnisse im aufgetunten Turbo-Kapitalismus, in dem das Fernsehen die zentrale Stätte zur Sinnproduktion des »Homo zappiens« geworden ist.

Dabei spart sich der Autor larmoyante Zivilisationskritik, in der einem noch mal gesagt wird, was sowieso schon alle wissen - dass es nämlich mit der Welt irgendwie nicht zum Besten steht -, sondern er liefert eine Art Cyberpunk für die literarische Comic-Abteilung.

Seltsamerweise gefällt das den verschiedensten Leuten. Der 1962 geborene Pelewin ist nicht nur ein Popstar der post-sozialistischen Jugendkultur, die sich sonst nicht für Literatur interessiert - die Auflagen russischer Autoren liegen heute im Durchschnitt bei zehn Prozent dessen, was zu Sowjetzeiten üblich war -, er ist auch das geliebte enfant terrible der internationalen Literaturkritik. Egal, ob nun im New Yorker oder auf den Sesseln des berühmten Eitelkeitswettbewerbs im ZDF - überall lobt man Pelewin. Das könnte einen misstrauisch machen, muss es aber nicht.

Pelewins »Generation P« ist ein unterhaltsames Buch voll anarchischem Witz. Und es ist alles andere als dumm. Pelewin reißt Fragen an, ist aber gleichzeitig intelligent genug, sich Antworten zu verkneifen. Statt Plattitüden zu Medienkapitalismus und Werbeästhetik zu produzieren oder in ein allgemeines Lamento über die neuen sozialen Ungleichheiten einzustimmen, setzt Pelewin auf die Aussagekraft von Unsinnigem oder zieht das Tempo an und sprintet am verminten Terrain der Kritik vorbei. Dabei straft er im Vorbeigehen Antisemiten, Nationalisten, Homophobe und Träger von Rolex-Uhren ab. Was kann man sich von einem Buch schon mehr wünschen? Beschissene Verhältnisse, die man nicht ändern kann, sollte man wenigstens auslachen können. Pelewin schreibt Eat-the-Rich-Literatur.

Viktor Pelewin: Generation P. Volk und Welt, Berlin 2000, 323 S., 42 DM