Feridun Zaimoglus Roman »Liebesmale, scharlachrot«

Phallerie, Phallera

»Liebesmale, scharlachrot«. Feridun Zaimoglus Briefroman ist ein Schwanzvergleich auf 300 Seiten.

Vorwürfe gegen Feridun Zaimoglu gab es in den letzten Monaten mehr als genug. Immer wieder wurde der Kieler Autor als Angeber und Möchtegern-Getto-Clown angegriffen, der das enfant terrible des Kulturbetriebs mime. Als ob nicht alle, die im Betrieb mitspielen, irgendeine mediale Rolle übernehmen. Autoren vorzuwerfen, dass sie im bürgerlichen Feuilleton rezipiert werden und daran auch ein gewisses Interesse besitzen, ist nicht besonders originell.

Doch Feridun Zaimoglus erster Roman »Liebesmale, scharlachrot« ist tatsächlich ordentlich missglückt. Der 1964 geborene Zaimoglu, der mit »Kanak Sprak« (1995), »Abschaum« (1997) und »Koppstoff« (1998) eine Art Testimonium-Literatur von Deutschländer-Türken produzierte - ästhetisierte O-Ton-Aufzeichnungen der zweiten und dritten Generation -, versucht sich am Genre des Briefromans. Hakan, Typ »Vor-Kaufhallen-rumhängender-Viertel-Allstar« mit Charme, und Serdar, Abiturtürke mit Goethe-Vorbildung, korrespondieren über die Meere hinweg. Hakan sitzt, wie immer vom Gerichtsvollzieher verfolgt, in Kiel, sein Freund Serdar ist auf der Suche nach literarischer Inspiration in einen Ferienort nahe Izmir geflüchtet.

Ihr Briefwechsel hat ein großes Thema - und da beginnen die Probleme auch schon. Auf knapp 300 Seiten geht es um Frauen, das heißt, vor allem um die plötzliche Sommer-Impotenz Serdars, die von seinem Kumpel mit den üblichen markigen Sprüchen bedacht wird. »Alles Phantasiemachen hilft nix, du hast'n Dauerhänger, und auch wenn du kiloweise Margarine um dein Pint drumrum schmierst, es will alles nix bewirken.«

Das ist pennälerhaftes Mackertum. Zaimoglu lässt seine Helden in großtönerischem Straßenspeak aufeinander losgehen und merkt dabei nicht, dass der Grat zwischen Ironie und Peinlichkeit manchmal recht schmal ist. Mehr Distanz und Lektorat hätten da nicht geschadet. So jedoch fährt Zaimoglu auf, was ihm so einfällt. Eine »Pustel in der Kinnkerbe«, die auf »Ampelrot« schaltet, das klingt ja noch ganz witzig, aber was passiert, wenn ein ganzes Buch nur aus der Aneinanderreihung mäßig durchgestylter Sprüche und kleiner Anekdoten besteht? Es schleppt sich dahin.

Serdar an Hakan: »Du stehst also in deiner ganzen Erbärmlichkeit für ein Phänomen, dein Mastschweinhormonhaushalt ist der eines Bimbos, der nicht anders kann, als sich aus der limitierten Produktpalette zu bedienen. Du kannst nichts, du bist nichts, du hast keine Uniform, also kriegst du auch keine Frau ab, was sollte eine Frau mit so einem wie dir anfangen? Bestenfalls kannst du dich als Dienstleister nützlich machen, nämlich als Pedikürenali für Mittvierzigerblondchen.« Und Hakan an Serdar: »Nun bist du aber kein Bezirkspate, sondern ne Oberpfeife und Tüllmaus in einer Person, und ich darf dir mal stecken, dass du mit deinem Blähkopp die Papierkörbe deines Viertels anprobieren solltest, vielleicht kannst du dir n passenden Hut baun.« So geht das über 295 Seiten.

»Liebesmale, scharlachrot« hat mehrere Probleme. Erstens sprechen die vermeintlich gegensätzlichen Charaktere, Hakan, Straßen-Lan, und Serdar, Schriftsteller, bis auf wenige kurze Passagen, dasselbe Großmaul-Alemannisch. Das scheint dem Autor zwischenzeitlich auch aufzufallen, deshalb wird immer wieder darauf hingewiesen, wie sehr sich die beiden Freunde doch voneinander unterscheiden. Eigentlich hat man es aber immer mit Zaimoglu zu tun: Herumgemosere auf unterschiedlichem Niveau. Zweitens bleibt Zaimoglu das gesamte Buch über bei einer Battling-Sprache, wie sie im HipHop kultiviert wird. Die nebenbei erzählten Geschichten über die Ereignisse an Ostsee und Ägäis liefern nur das Material für das gegenseitige Dissen. Die Großtönerei beim Battlen kann einem schon bei Straßenunterhaltungen oder einer Freestyle-Jam bisweilen mächtig auf die Nerven gehen. Schriftlich fixiert ist sie meistens nicht mal mehr witzig.

Drittens schließlich besitzt »Liebesmale, scharlachrot« keine Dramaturgie: Serdar kommt in Izmir an, ist impotent und kann nicht mehr schreiben. Hakan sitzt in Kiel, hat keine Probleme mit der Potenz und interessiert sich nicht fürs Schreiben. Und noch einmal ... und noch einmal ... Erst auf den letzten 20 Seiten gibt es so etwas wie einen Showdown: Serdars Ex-Freundin Anke reist nach Izmir, und der mittlerweile anderweitig verliebte Abiturtürke lässt seinen Straßenkumpel einfliegen, damit der ihm die Ex vom Hals hält. An dieser Stelle fällt einem zum ersten Mal auf, dass das Buch auch eine Geschichte hätte haben können.

Natürlich gibt es einiges, das man Zaimoglu zu Gute halten sollte. Nicht ein einziges Mal wird der Problemblick eingenommen, auf den sich Freunde der Ausländerliteratur schon gefreut hatten: Wie ist das Leben zwischen den Kulturen wohl? So hin und her gerrissen? Außerdem hat Zaimoglu was gegen Germanen, eine Antipathie, die dazu führt, dass praktisch alle Volldeutschen aus dem Roman getilgt werden. Man braucht sie nicht. Lobenswert. Und schließlich hat Zaimoglu nicht diesen beknackt-kalkulierten Weiß & Studi-Blick eines Stuckrad-Barre.

Zaimoglu hätte mit seinem Material vielleicht die eine oder andere Kolumne füllen können. Aber als Roman-Autor ist er mit »Liebesmale, scharlachrot« gescheitert. Das Tempo von »Kanak Sprak« über eine ganze Geschichte durchzuhalten, ist eben alles andere als einfach. Nichts für ungut. »Ich hätt dir n Sieg gegönnt und s große Gefühl, wenn

n Kerl auf die Brust trommelt. Doch jede Schönheit hat n Rhythmus und jeder Kampf ne eigne Energie, der Feind war dir über, und da nützt einem auch nicht ne Kalaschnikow im Geigenkasten.«

Das nächste Mal vielleicht.

Feridun Zaimoglu: Liebesmale, scharlachrot, Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2000, 296 S., DM 36