»Tiger & Dragon« von Ang Lee

Bambus und Bambule

Aber auch Kabale und Liebe. Und Sinn und Sinnlichkeit. Der neue Ang Lee heißt »Tiger & Dragon« und ist einfach unbeschreiblich.

In diesem Film geht es um viele Dinge, aber zunächst geht es um ein Schwert. Zuerst ist es da, dann ist es weg, und dann ist es schon wieder woanders. Alles beginnt damit, dass der alternde Wutan-Krieger Li Mu Bai (Chow Yun-fat) sich entschließt, fortan auf ruhigeren Pfaden zu wandeln. Sein legendäres Schwert »Green Destiny« gibt er in die Obhut seiner langjährigen Gefährtin Shu Lien (Michelle Yo) und bittet sie, es dem ehrwürdigen Sir Te (Lung Sihung), einem alten Freund seines Vaters, zu überbringen.

Schwertlos und frei von weltlichem Ballast möchte Li Mu Bai seinem alten Lehrmeister Respekt erweisen. Der ist nämlich tot, dereinst wurde er von der mysteriös-zänkischen Jade Fox getötet. Zwischen Li Mu Bai und Shu Lien, so merkt man schnell, bestehen gewisse romantische Bande. Sie wissen nicht, wohin mit ihren Gefühlen, denn sie halten den Wutan-Ehrenkodex zu hoch, als dass sie ihnen nachgeben würden. Also nimmt Shu Lien das Schwert und macht sich auf den Weg. Als sie den Hof von Sir Te erreicht, macht sie Bekanntschaft mit Jen, Sir Tes eigensinnig schwärmerischer Tochter. Sie beneidet Shu Lien um ihr selbstbestimmtes abenteuerliches Dasein als Kriegerin sehr; schwer leidet sie hingegen unter ihrem eigenen Schicksal. Denn Jen, das steht fest, muss in Kürze heiraten, und das gefällt ihr gar nicht.

In der Nacht kommt es dann zu einem Zwischenfall. Das wertvolle Schwert wird von einem maskierten Räuber gestohlen, es gibt einen spektakulären Kampf, was danach folgt, ist so sensationell komplex, dass man es lieber lassen sollte, es zu referieren. Li Mu Bai beteiligt sich jedenfalls an der Suche nach dem Schwert. Er und Shu Lien haben diverse handgreifliche Zusammentreffen mit dem maskierten Räuber und Jade Fox, doch das Schwert bleibt vermisst. Ist dies das Werk von Jade Fox? Und wie passt Jen in das Puzzle der Geschichte? Es gibt viele Fragen und mitunter auch Antworten.

Doch als Li Mu Bai und Shu Lien schließlich eine geheime Romanze zwischen Jen und dem Banditen Lo entdecken, erscheint plötzlich alles wieder in einem anderen Licht. Bis dahin wird geflogen, gesprungen und tapfer der Gravitation getrotzt. Man gleitet durch die Luft, läuft Häuserwände hinauf und anschließend wieder herunter, man spaziert übers Wasser und wagt auch auf Baumwipfeln einen Kampf; nicht so, als sei das alles nichts, aber doch, als sei es nicht wirklich viel.

Hinsichtlich seiner magischen Qualitäten ist »Tiger & Dragon« sozusagen nonchalant. Den alten chinesischen Kriegern, die in einer Welt leben, in der Mystizismus, Tradition, Disziplin und unsichtbare Geister den Alltag regeln, ist das Aushebeln der Schwerkraft offenbar nicht der Rede wert. Was sie wirklich in Atem hält, ist der Plot. Und der dreht und wendet sich und folgt wie die Kampfszenen einer strengen, nicht geheimnisvollen Choreografie. Es gibt Pausen, Sprünge und ausladende Rückblenden, doch selbst in den sehr dialoglastigen Szenen, in denen man mitunter fürchtet, in einem Wust von Untertiteln - »Tiger & Dragon« wird im chinesischen Original gezeigt - den Handlungsstrang zu verlieren, ist immer etwas Wunderbares im Spiel: die Würde der Charaktere, die nichts anderes als jahrhundertealte Superhelden darstellen, mächtig und weise und stark.

»Tiger & Dragon« ist eine verblüffende Mischung aus östlichen und westlichen Elementen. Regisseur Ang Lee (»Sinn und Sinnlichkeit«, »Der Eissturm«) beschreibt seinen Film als Kreuzung aus Bruce Lee und Jane Austen. Und tatsächlich ist Jen eine typische Austen-Figur, die sich ihrer Verheiratung widersetzt und versucht, Geschlechts- und Klassengrenzen mit ausgefeilter Kampftechnik zu überspringen. Li Mu Bai und Shu Lien hingegen haben sich durch strenge Disziplin von eben diesen befreit, während sie in Liebesdingen noch unbedingt den Konventionen unterliegen.

Weil er unter anderem von dem bedauerlichen Umstand handelt, dass gerade in der Liebe nichts wirklich funktioniert, ist »Tiger & Dragon« auch ein lustiger Film. Er ist sozusagen »Sinn und Sinnlichkeit« mit vielen Toten. Er ist sogar noch mehr. So wie es Ang Lee gelingt, typische Martial Arts-Filmmotive mit der Handlung einer Sittenkomödie zu kombinieren, so schafft er es auch, den Action-Szenen einen poetischen Anstrich zu geben. Scheinbar ohne Anstrengung fechten die Figuren hier die seltsamsten Kämpfe aus, wobei jede weitere Kampfszene die vorherige noch mit Leichtigkeit übertrifft. Sie sind einerseits übertrieben, andererseits aber mit viel Understatement und gefühlvoll gefilmt. Der Film ist sehr albern, aber auch rührend und ernst. In manchen Momenten wirkt er wie das Kompendium aller Dialoge, die in Hongkong-Actionfilmen gesprochen wurden, inklusive Sätzen wie diesem: »Das Schwert ist so rein, weil sich das Blut so leicht von der Klinge waschen lässt.« Die ganze Ladung Klischees wird dann durch den Screwball-Twist veredelt. Dass man einen Film wie »Tiger & Dragon« noch nicht gesehen hat, liegt schlicht und einfach daran, dass es so einen Film bisher nicht gab.

Und dann könnte man »Tiger & Dragon« auch noch der Kategorie des modernen Frauenfilms zuordnen, so wie »Jackie Brown«, »Drei Engel für Charlie« oder »Buffy«, auch wenn diese Vergleiche nicht auf Anhieb einleuchten werden. Was letztlich aber als Bild in Erinnerung bleibt, ist der Kampf im Bambuswald. Leider ist er nur schwer zu beschreiben. Ang Lee hat mehr als nur einen exotischen Film gedreht. Er hat sich nicht von der Schwerkraft entbunden, er hat das Filmemachen von seinen Konventionen befreit.

»Tiger & Dragon«, Hongkong/Taiwan/USA 2000. Regie: Ang Lee, Darsteller: Chow Yun-fat, Michelle Yeoh, Zhang Ziyi, Chang Chen, Lung Sihung, Cheng Pei-pei, Li Fazeng