»La sale guerre«

Kabbelei in Paris

Die Massaker im algerischen Bürgerkrieg wurden von den Militärs begangen, behauptet ein in Frankreich erschienenes Buch.

Wer tötet wen? lautet die Frage, die seit den neunziger Jahren debattiert wurde, wenn es um den algerischen Bürgerkrieg ging. Mehrere Bücher widmen sich dieser Frage. »La sale guerre« (Der schmutzige Krieg) von Habib Souaïdia heißt das wichtigste, erschienen im Pariser Verlag La Découverte. »La sale guerre« ist die Autobiografie des Offiziersschülers Habib Souaïdia.

Das Buch hat zwei Ghostwriter, die sich in den französischen Medien gegenseitig vorwarfen, den Text manipuliert zu haben. Der algerische Journalist Mohammed Sifaoui behauptete in einem Interview mit dem Wochenmagazin Marianne, der Verleger François Gèze habe den Text verändert, woraufhin dieser in einem Offenen Brief an die Zeitschrift Politis antwortete, Sifaoui habe nicht korrekt gearbeitet, weswegen er ihm den Job entzogen und das Buch selbst fertiggestellt habe. Sifaoui lebt, wie Souaïdia selbst, als politischer Flüchtling in Frankreich.

Das Buch setzt mit Souaïdias Ausbildung an der Militärakademie von Cherchell ein und beschreibt, wie er im Jahr 1993 einer Spezialeinheit zur Bekämpfung der Islamisten zugeteilt und in den Bürgerkrieg geschickt wird. Von nun an besteht das Buch aus der Beschreibung einer langen Folge militärischer Operationen und grausamer Taten sowie aus der detailierten Schilderung der schlechten Behandlung der Soldaten und der Privilegien der Offiziere.

Daran ist wenig in Zweifel zu ziehen - der Text beschreibt präzise, was in vielen Medien verschleiert wird: dass der Kampf zwischen der algerischen Regierung und den Islamisten tatsächlich ein Bürgerkrieg war, der von beiden Seiten mit militärischen Mitteln geführt wurde. Die große Zahl der Toten auf Seiten des Militärs sowie der Islamisten widerspricht der These, wonach alles nur eine Manipulation der militärischen Machthaber gewesen sei.

Neben diesen Kämpfen schildert Souaïdia, wie Islamisten oder als Sympathisanten Verdächtigte durch das Militär gefoltert wurden. Sowenig anzuzweifeln ist, dass es diese Folterungen gegeben hat, so unglaubwürdig ist die Rolle, die Souaïdia innerhalb des Apparats eingenommen haben will.

Bereits bei der ersten Folterung, deren Zeuge er wird, will er explizit widersprochen haben. Ganz naiv schildert Souaïdias, er habe einen Verhafteten - einen islamistischen Politiker - gefragt, was er angerichtet habe. Dieser habe geantwortet: »Nichts. Ich weiß nicht einmal, warum ich hier bin.« Daraufhin habe sich Souaïdias an seine Armeekollegen gewandt und ihnen gesagt: »Dieser Mann hat nichts getan, ich bin davon überzeugt. Lasst ihn laufen.« Souaïdia schreibt, von nun an habe er »oft die Gelegenheit gehabt, solche schrecklichen Szenen zu sehen«. Merkwürdig ist, dass die Armee ihn trotz seines angeblichen Widerstands gegen ihre Praktiken immer wieder zum Zeugen von Folterungen gemacht haben soll.

Zwei Jahre später, schreibt Souaïdia, sei er dann wegen seiner kritischen Haltung zu vier Jahren Haft im Militärgefängnis von Blida verurteilt worden. Als Vorwand habe gedient, dass man ihm einen Diebstahl bei der Armee in die Schuhe geschoben habe. Zu Unrecht natürlich. Journalisten der algerischen Tagespresse - die, zugegeben, auch nicht als neutral gelten können - berichteten hingegen im Frühjahr, Souaïdia sei inhaftiert worden, weil er sein Offiziersamt ausgenutzt habe, um von Zivilpersonen an Kontrollstellen Geld zu erpressen. Seine Inhaftierung und seine Zeit im Militärgefängnis seien es gewesen, die Souaïdia dann auf den Gedanken gebracht hätten, ein Buch zu schreiben, um »über die Ungerechtigkeit in Algerien Zeugnis abzulegen«. Diese Selbstdarstellung unterscheidet sich nur in einer Nuance von der Einschätzung durch seinen zeitweiligen Ghostwriters Sifaoui: »Es ist möglich, dass Habib Souaïdia mich benutzt hat, um offene Rechnungen mit seinen Vorgesetzten zu begleichen.«

Das Interesse der Medien an »La sale guerre« besteht vor allem in einem: Das Buch scheint zu belegen, dass die großen Massaker der Islamisten in Wirklichkeit von der Armee begangen worden seien. So berichtet Souaïdia von einem Massaker, das im März 1993 im Dorf Douar Ez-Zaatria begangen worden sei - durch Militärs, die sich falsche Bärte umgebunden hätten, um als Islamisten durchzugehen. Am folgenden Tag hätten »die algerischen Zeitungen« verkündet, ein Massaker bewaffneter Islamisten habe in dem Dorf stattgefunden.

Mitarbeiter der Tageszeitungen El Watan und Le Matin überprüften die Angaben in ihren Archiven: Nirgendwo war im fraglichen Zeitraum von einem Massaker an diesem Ort die Rede. Auch wenn es um das Vorgehen der Armee geht, widerspricht sich Souaïdias. An mehreren Stellen kritisiert er, die Vorgesetzten hätten ihn und seine Kollegen daran gehindert, islamistischen Terrorgruppen nachzusetzen. Anderswo bemängelt er aber, die militärische Hierarchie habe statt auf »den Dialog« und »die Versöhnung (réconciliation)« »auf die Politik der Auslöschung (éradication) der Islamisten« gesetzt .

Hier spricht aller Wahrscheinlichkeit nach direkt der Herausgeber François Gèze, denn éradication und réconciliation waren in den Neunzigern die Schlüsselbegriffe in der Debatte darüber, wie man die Situation in Algerien einzuschätzen habe. In dieser Debatte spielte Gèze eine zentrale Rolle (Jungle World, 23/01).

Géze scheint sich nicht mit dem Gedanken abfinden zu können, dass der algerische Bürgerkrieg der Neunziger keine richtige Seite kennt. Sein politisches Engagement begann mit dem Einsatz gegen die Militärdiktaturen in Chile und Argentinien. Und er scheint zu glauben, die Situation in Algerien sei damit vergleichbar. Dabei übersieht er allerdings den repressiven Charakter der bewaffneten Opposition, die nichts bietet als eine reaktionäre Alternative. 5 000 Opfer forderte der islamistische Terror im vergangenen Jahr, allein 1 100 seit Anfang dieses Jahres. Auch bei der Unterdrückung der gegenwärtigen, vor allem von der Jugend getragenen Proteste unterscheiden sich die Islamisten nicht vom Militär. Die legale und mitregierende Islamistenpartei MSP/Hamas etwa forderte vergangene Woche im Parlament, das Militär solle eine Großoffensive starten.

Trotzdem glaubt Gèze, die Massaker hätten nicht durch die bewaffneten Oppositionsgruppen begangen werden können, jedenfalls nicht in diesem Ausmaß. Zumindest die gröbsten Gewalttaten gingen allein auf das Konto des Regimes. Mit »La sale guerre« haben die Verfechter dieser Linie nun genügend Material, um ihre These öffentlichkeitswirksam zu verbreiten. Einer seriösen Untersuchung hält das Buch jedoch nicht stand.

Habib Souaïdia: La sale guerre. La Découverte, Paris 2001, 203 S., FF 95