Kritische Polizisten am Ende

Kritisches Mobbing

Die Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten und Polizistinnen steht vor dem Ende.

Deutschland ist eine radikale, uneinsichtige, totalitäre, diktatorische und korrupte Bananenrepublik.« So ein Satz klingt nach radikaler Gegnerschaft zum deutschen Staat. Doch so fernab der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht die Urheberin dieser Worte gar nicht. Sie heißt Bianca Müller und ist Polizistin, wenn auch keine gewöhnliche.

Die Berliner Kriminalbeamtin ist Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten (Hamburger Signal), kurz BAG. Der Verein versucht seit 1986 Straftaten, Dienstvergehen, Korruption, Mobbing und andere Missstände im Heer der gut 250 000 deutschen PolizeibeamtInnen aufzudecken und zu veröffentlichen. Eine Sisyphusarbeit, in deren Verlauf Bianca Müller ihren »Glauben, in einer Demokratie zu leben, an Recht und Gerechtigkeit, an Rechtsprechung der Justiz gänzlich verloren« hat, wie sie behauptet.

Thomas Wüppesahl, dem Sprecher der BAG, ergeht es ähnlich. Denn »wer die Schweinereien innerhalb der Polizei aufdecken will und gegen eigene Leute vorgeht«, sagt er, »läuft gegen Gummiwände«.

Aber damit könnte bald Schluss sein, denn die Organisation steht 15 Jahre nach ihrer Gründung vor dem Aus. Die chronisch klamme BAG ist zahlungsunfähig. Bei insgesamt 100 000 Mark Schulden droht das Insolvenzgericht.

Die Geldprobleme hatten sich verschärft, nachdem die BAG einen Prozess in Sachen Mobbing verloren hatte. Im Dezember vergangenen Jahres hatte Müller den Fall eines Berliner Polizisten bekannt gemacht, der von seinem Vorgesetzten in den Selbstmord getrieben worden sein soll. Müller glaubte, dafür bessere Beweise zu haben »als in den zwanzig Anzeigen gegen mich im Vorjahr«. Dabei hatten Angehörige des Verstorbenen erklärt, für einen Tod durch Mobbing gebe es keine Hinweise.

Berlins Polizeipräsident Hagen Saberschinsky jedenfalls klagte Mitte März vor dem Berliner Landgericht auf Unterlassung. Durch die Niederlage vor Gericht kamen noch einmal 25 000 Mark zu den bisherigen Schulden der BAG dazu.

In der Arbeitsgemeinschaft herrscht seitdem ein Streit über Müllers Vorgehen in dem Verfahren. Einige Vereinsmitglieder werfen ihr vor, in der Sache voreilig gehandelt zu haben. Die Vorstandsmitglieder Wolfgang Jandke und Rubert Huppertz und der Bundessprecher Wüppesahl schreiben auf der Homepage der Arbeitsgemeinschaft: »Die Verfasserin dieser schlecht recherchierten Pressemitteilung, Frau Bianca Müller, CDU-Parteimitglied, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit im CDU-Arbeitskreis Polizei in Berlin, hat dadurch der Glaubwürdigkeit der BAG einen schweren Schaden zugefügt.«

Der Vorwurf wiegt äußerst schwer, suggeriert er doch, ein CDU-Mitglied könnte der BAG, die den Grünen nahe steht, den Todesstoß versetzt haben. Im Moment der schwersten Krise seit ihrem Bestehen herrscht intern jedenfalls die größte anzunehmende Uneinigkeit.

Auch eine Krisensitzung brachte Anfang Mai statt einer Lösung vor allem Austritte. Und dabei waren nur zwölf von den verbliebenen siebzig Mitgliedern angereist. Auf dem Treffen wurde Wüppesahl von seinem Posten als Sprecher abgewählt, bislang aber verweigert er den Rücktritt. Jandke, Huppertz und er bezweifeln, dass es sich um eine ordnungsgemäß einberufene Mitgliederversammlung gehandelt habe.

Seither haben weitere 40 Mitglieder den Verein verlassen. Dessen Auflösung ist Wüppesahl zufolge nur eine Frage der Zeit. Bianca Müller hat einige der Ausgetretenen mittlerweile unter dem Dach der Humanistischen Union versammelt. Damit steht der erste Versuch von Polizisten auf dem Spiel, im eigenen Apparat für Transparenz zu sorgen.

Die BAG wurde 1986 nach der Einkesselung von 800 AtomkraftgegnerInnen bei einer Demonstration gegründet. Das harte und wenig rechtsstaatliche Vorgehen der Polizei hatte bundesweit unter dem Begriff »Hamburger Kessel« für Aufsehen gesorgt.

»Ein bisschen ausheulen« wollten sich die Kritischen Polizisten der ersten Stunde, erzählt Wüppesahl. Sich gegenseitig stützen, unbequem sein und politischen Einfluss nehmen, etwa gegen Übergriffe und deren Vertuschung oder gegen die Kriminalisierung der Anti-Atom-Bewegung. Noch in der letzten Ausgabe der BAG-Zeitung Unbequem rufen sie dazu auf, sich »quer zu stellen« und den Castortransport nach Gorleben zu verhindern.

»Aber wir hatten übersehen, dass der Apparat kritische Köpfe rausekeln kann«, klagt Wüppesahl. Das geht von der Pathologisierung der Mitarbeiter der BAG über Sticheleien bis zu konstruierten Strafverfahren. Die Konsequenz ist eine enorme personelle Fluktuation bei der Arbeitsgemeinschaft. Länger als drei Jahre hält kaum jemand durch. Deswegen beschäftigt sich die BAG heute vornehmlich mit dem Mobbing, dem Problem, das ihr nun selbst zum Verhängnis zu werden droht.

Bei Uniformierten im Allgemeinen und der Polizei im Besonderen, so Wüppesahl, sei Mobbing besonders ausgeprägt. Das liege daran, dass sich die Polizei ständig im Ernstfall wähne. »Wenn sie den Streifenwagen verlassen, glauben viele Kollegen, Feindesland zu betreten.«

Wer sich gegen den daraus resultierenden Corpsgeist stellt und sich zur Mitgliedschaft in der BAG bekennt, wird misstrauisch beäugt. Im schlimmsten Fall erwartet ihn das berufliche Abseits: die Verkehrsstreife oder ein Lehrposten an einer Ausbildungseinrichtung.

Trotz ihrer oft beschworenen Bedeutung für die Zivilgesellschaft hat die BAG also wenig verändert. Vielmehr haben sich dank ihrer Nadelstiche die Frühwarnsysteme des Apparats, der sich um die Gefahrenabwehr sorgt, noch verfeinert.

Bestes Beispiel ist die Dienststelle Interne Ermittlungen (DIE) in Hamburg. Die DIE wurde 1995 nach einem Polizeiskandal eingerichtet: Polizisten hatten in den eigenen Reihen gegen Kollegen ermittelt, die festgenommene Afrikaner schwer misshandelt haben sollen. Ein Beamter des Einsatzzuges soll der rechten Szene angehört haben.

Eine ähnliche Einrichtung gibt es seit Februar dieses Jahres auch im Bundesministerium des Innern, nämlich das Büro für interne Angelegenheiten. Vielleicht sind diese Dienststellen die letzten Erfolge der Kritischen Polizisten. Bevor sie sich endgültig selbst wegmobben.