Regierungskrise in Jugoslawien

Leb wohl, Belgrad!

Milosevic sitzt in Den Haag, Kostunica in der Patsche und Djindjic am Hebel der Macht. Jugoslawien dagegen steht am Abgrund.

So oder so ähnlich soll am Donnerstag vergangener Woche ein Telefonat zwischen dem serbischen Premier Zoran Djindjic und dem jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica abgelaufen sein. Dabei ging es um die sofortige Auslieferung des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic nach Den Haag.

Djindjic hatte wenige Minuten später einen Termin mit dem amerikanischen Botschafter in Belgrad, William Montgomery, und sollte dem Diplomaten die Entscheidung Serbiens mitteilen. Offenbar hat Kostunica zugestimmt, doch bestätigt wird der Verlauf des Telefonats nur vom Büro des serbischen Premiers.

Kostunica dagegen beharrt darauf, dass er aus den Medien von der vorerst letzten Reise seines Amtsvorgängers erfahren hat. Wütend wandte sich der brüskierte Staatspräsident via Fernsehen an die Bevölkerung: »Hier wurden die Prinzipien von Milosevics eigener Politik angewandt: Rechtlosigkeit und Unverantwortlichkeit.«

Dabei hatte das jugoslawische Verfassungsgericht noch Stunden vor dem Abflug Milosevics ein Dekret der serbischen Regierung suspendiert, das zumindest eine dürftige rechtliche Legitimation für den Transfer nach Den Haag geboten hätte. Doch die Entscheidung der jugoslawischen Verfassungsrichter war durchaus erwartet worden. »Man kann die jugoslawische Verfassung, die eine Auslieferung jugoslawischer Staatsbürger verbietet, nicht mit einem einfachen Dekret aushebeln«, meinte am letzten Donnerstagnachmittag noch Zoran Ivanovic, einer der Anwälte Milosevics gegenüber Jungle World.

Aber man kann eben doch. Wobei die Begründung des serbischen Premiers Djindjic vielleicht aus politischen Gründen verständlich, rechtlich aber problematisch war. »Das Urteil der Verfassungsrichter ist nichts wert. Sie alle wurden noch von Milosevic vorgeschlagen«, urteilte der selbstbewusste Premier vor der internationalen Presse über die angebliche Befangenheit des Gremiums.

Die Auslieferung Milosevics erfolgte ausgerechnet am 28. Juni, dem Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld von 1389, in der der serbische Nationalmythos begründet liegt. Die Überstellung Milosevics war eine logistische Meisterleistung: Mit einem Polizeihubschrauber wurde der ehemalige Staatschef ins bosnische Tuzla gebracht; dort stieg er dann in eine britische Militärmaschine um, die ihn in Begleitung mehrerer Kampfjets in die Niederlande flog. Die Organisation des Express-Transportes in das Gefängnis Scheveningen war keineswegs eine Frage von Stunden. »Wir haben uns seit Wochen drauf vorbereitet, weil es schon lange den Anschein hatte, dass die serbische Regierung das tun würde«, verriet Florence Hartmann, Sprecherin der Den Haager Chefanklägerin Carla Del Ponte.

Auch die Anwälte Milosevics hatten schon geahnt, dass die serbische Regierung sich über die Entscheidung der jugoslawischen Verfassungsrichter hinwegsetzen würde. Noch vor dem Spruch des Richtergremiums meinte Zoran Ivanovic: »Wir befürchten, dass sie ihn trotz eines möglichen gegenteiligen Spruchs des Gerichtshofes sofort ausliefern werden. Mitarbeiter von Djindjic haben uns das in den letzten Tagen zu verstehen gegeben.«

Nicht informiert wurde dagegen anscheinend die Familie des Ex-Präsidenten. Als Mira Markovic am späten Nachmittag wie üblich ihren Mann im Belgrader Zentralgefängnis besuchen wollte, war die Zelle schon leer. Zu Gesicht bekommen wird sie ihn wohl länger nicht, weil die niederländischen Behörden den Angehörigen Milosevics die nötigen Visa verweigern.

Aber nicht nur die Familie Milosevic muss gegenwärtig eine unfreiwillige Zerreißprobe bestehen. Dem jugoslawischen Staat geht es nicht anders. Der Alleingang von Zoran Djindjic hat politische Gräben aufgerissen. Kostunica bleibt nur noch seine Popularität in der Bevölkerung, im Belgrader Machtkampf dagegen wurde er auf die billigen Plätze verbannt. Gleich nach Milosevics Auslieferung hat er den Austritt seiner Demokratischen Partei Serbiens aus dem DOS-Parteienbündnis angekündigt. Die jugoslawische Regierung ist zerfallen, die Bundesorgane sind vollständig gelähmt und Montenegro ist seiner Unabhängigkeit wieder einen Schritt näher. Im Gegensatz zu früher ist die Teilung Jugoslawiens inzwischen auch der serbischen Regierung nicht mehr so unsympathisch. Am vergangenen Samstag verkündete Djindjic, dass eine Unabhängigkeit Montenegros durchaus vorstellbar wäre.

Auch in Podgorica, der Hauptstadt von Montenegro, spürt man, dass der Moment günstig wäre, weil die Idee eines gemeinsamen Jugoslawien immer mehr an Rückhalt verliert und ihre letzten Anhänger in einem ziemlich resignativen Gemütszustand verharren. Die Sozialistische Volkspartei von Predrag Bulatovic, die im April mit ihrem Wahlbündnis Gemeinsam für Jugoslawien bei den montenegrinischen Parlamentswahlen angetreten war, ist von der Lähmung der Bundesorgane am stärksten betroffen. Zwar befindet sie sich in Montenegro in Opposition zum Präsidenten und Unabhängigkeitsbefürworter Milo Djukanovic, in der jugoslawischen Bundesregierung aber war sie vertreten. Weil die aber nun über der Auslieferung Milosevics zerbrochen ist, sieht man die Chancen für einen Fortbestand Jugoslawiens schwinden. »Das ist das Ende der Föderation«, klagte der Abgeordnete der Volkspartei, Dragan Koprivica, in der letzten Woche.

Unterdessen übt sich Montenegro schon fleißig in effizientem Lobbying für seine Unabhängigkeit. »Ich glaube, nun sieht man auch in der EU endgültig ein, dass die Föderation am Ende ist«, meint Slavica Milacic, die offizielle Vertreterin Montenegros in Brüssel. Eine rasche Lösung der leidigen Frage sei nun »einfacher und schneller« zu erreichen. »Die neuen Entwicklungen und die Lähmung des Bundesstaates haben uns darin bestätigt, dass wir spätestens im Januar 2002 ein Referendum über die Unabhängigkeit Montenegros durchführen möchten«, betont Milacic. So wird also zum Konsens, was bisher für Streitereien gesorgt hat. In Serbien wie auch in Montenegro gewinnen diejenigen die Überhand, die für eine Abspaltung eintreten. Die Verhandlungen können also beginnen.

Carla del Ponte hat es unterdessen recht eilig, ihren prominentesten Häftling mit Klagen einzudecken. Bereits in den nächsten Tagen soll die bisherige Anklage um die Verwicklung Milosevics in weitere Massaker an Kosovo-Albanern erweitert werden. »Schon vor rund zehn Tagen waren Ermittler aus Den Haag bei den Exhumierungen der Massengräber mit den Leichen von Kosovo-Albanern in der Nähe Belgrads anwesend«, berichtet Mathias Helmann, ein Mitarbeiter der Belgrader Filiale des Kriegsverbrechertribunals. Dass der kurze Aufenthalt der Ermittler allerdings ausreicht, um die Anklage substanziell zu vertiefen, bezweifeln Experten. »Ich muss mich wirklich wundern, wie die es schaffen wollen, in so kurzer Zeit neue Anklagepunkte aufzustellen«, meint etwa die finnische Pathologin Helena Ranta, die 1999 die Untersuchung des angeblichen Massakers von Racak leitete.

Damit nicht der Eindruck entsteht, es würden ausschließlich mutmaßliche serbische Kriegsverbrecher verfolgt, und um Vorwürfen an Zoran Djindjic, er sei ein Mann des Westens, entgegenzuwirken, wird das Tribunal wahrscheinlich auch gegen Kosovo-Albaner ermitteln. Nach Informationen aus Den Haag, die Jungle World vorliegen, wurden Ranta und andere Zeugen von Ermittlern des Tribunals schon vor Wochen über mögliche Massaker von UCK-Rebellen an der serbischen Zivilbevölkerung vor der Nato-Intervention im März 1999 befragt.

Konkret untersucht das Tribunal das mutmaßliche Massaker an serbischen Zivilisten im Dorf Klecka und noch ein weiteres mögliches Verbrechen. Ein Name auf der Liste der Angeklagten steht schon jetzt fest: Agim Ceku, der ehemalige UCK-Kommandant, ist womöglich in die Vorgänge in Klecka verwickelt und könnte sich bald mit Slobodan Milosevic eine Zelle teilen.