Ex-Geheimdienstler Montesinos verhaftet

Lenin liebt Splattervideos

Vladimiro Montesinos, der starke Mann des gestürzten Fujimori-Regimes in Peru, ist in Venezuela gefasst worden. Seine Videosammlung beunruhigt nicht nur das peruanische Establishment, sondern auch die CIA.

Wo steckte er nur? Acht Monate lang war Vladimiro Montesinos, der ehemalige de facto-Chef des peruanischen Geheimdienstes Sin, wie vom Erdboden verschluckt - trotz einiger Indizien für seinen Aufenthalt in Venezuela. Am vorletzten Samstag wurde der Mann, der im Schatten des gestürzten autoritären Regimes von Alberto Fujimori agierte, in der venezolanischen Hauptstadt Caracas gefasst. Zwei Tage darauf wurde er nach Peru überführt.

Bei seiner ersten Vernehmung vor peruanischen Richtern versicherte Montesinos, dass er sich die ganze Zeit in verschiedenen venezolanischen Städten aufgehalten habe. Zur Bekräftigung dieser Version zog er aus seiner Tasche einige Papiere, Flugtickets und Quittungen. Dabei rutschte ihm auch eine kleine Figur heraus: »Sarita Colonia«, eine Art volkstümliche »Heilige«, die als Schutzpatronin der Mafiosi gilt.

Eine verspätetete Rebellion gegen die Autorität seines Vaters, der ihm den wohlklingenden Namen Vladimiro Iljitsch Lenin Montesinos Torres gegeben hatte? Ein Versuch, sich himmlische Protektion zu sichern? Seit seiner Überführung nach Lima hat der ehemalige starke Mann Perus offensichtlich Angst, ermordet zu werden. Bei seiner Ankunft trug er eine schusssichere Weste, angeblich soll er seine Wächter bitten, ihm auch als Vorkoster zur Verfügung zu stehen.

Sein Missgeschick könnte größer kaum sein.Er sitzt in einem Hochsicherheitsgefängnis des Marinestützpunkts von Callao, das auf seine eigene Anordnung gebaut wurde. Dort sind auch Abimael Gúzman und Victor Polay inhaftiert, die mutmaßlichen Guerillaführer des maoistischen Sendero Luminoso bzw. des guevaristischen Movimento Revolucionario Tupac Amaro (MRTA).

Um Montesinos' Verhaftung in Caracas ranken sich zahlreiche Geschichten von Verrat und Verdächtigungen. Schnell war die anfängliche Euphorie verflogen, von der der umstrittene Präsident Venezuelas, Hugo Chavéz, auf einem Gipfeltreffen der Andenländer in Caracas einen Vorgeschmack gegeben hatte. »Gestern Nacht fassten wir glücklicherweise, und ich danke Gott dafür, Vladimiro Montesinos lebend«, meinte er. Dann wickelten die venezolanischen Behörden den Fall in aller Stille ab.

Umso lauter wurde der Streit, wer die Verhaftung des meistgesuchten Mannes in Lateinamerika tatsächlich vorgenommen habe. Caracas schrieb sich die ganze Operation zu. Die Regierung in Lima hingegen erklärt, sie habe zusammen mit dem FBI Montesinos aufgespürt. Der Streit eskalierte soweit, dass die vormals guten Beziehungen zwischen Peru und Venezuela mittlerweile ernsthaft bedroht sind.

Dem peruanischen Innenminister Antonio Ketin Vidal zufolge konnte die Operation dank der Mitarbeit des ehemaligen venezolanischen Geheimdienstlers José Guevara durchgeführt werden, der in Kontakt mit Montesinos stand. Demnach war Guevara bereits am 15. Mai nach Miami geflogen, um dort 38 Millionen Dollar von einem Konto der Pacific Industrial Bank abzuheben, das allerdings nach Angaben der New York Times auf Ersuchen der peruanischen Behörden gesperrt worden war.

Angestellte dieser Bank hätten daraufhin das FBI alarmiert, was am 23. Juni zur Verhaftung von Guevara führte. Der ließ sich von der Justiz einschüchtern und beschloss, Montesinos Aufenthaltsort zu verraten. Er forderte fünf Millionen Dollar Belohnung, die die peruanische Regierung für Informationen, die zur Ergreifung des ehemaligen Präsidentenberaters führten, ausgesetzt hatte.

Nach dieser Version akzeptierten auch die Leibwächter von Montesinos, den Flüchtigen auszuliefern. Während sie vortäuschten, ihn an einem andern Ort zu verstecken, hätten sie ihn zur peruanischen Botschaft in Caracas gebracht. Ohne weitere Erläuterung fügte der peruanische Innenminister hinzu, dass Montesinos unerklärlicherweise nicht an diesem diplomatischen Sitz eintraf, sondern in die Hände der Polizei von Chávez fiel.

Der peruanischen Tageszeitung La República zufolge erklärte Montesinos hingegen, er sei nicht gefasst worden, sondern habe beschlossen, sich selbst zu stellen, weil dies mehr Möglichkeiten zum Verhandeln böte. Er fügte hinzu, dass er in Venezuela mit der Protektion »einer Gruppe von Militärs« gerechnet habe, die er 1992 nach dem fehlgeschlagenen Putschversuch von Chávez und einigen Uniformierten kennengelernt habe. Der Verdacht einer Komplizenschaft der gegenwärtigen venezolanischen Regierung liegt nahe, erinnert man sich daran, wie nachdrücklich diese Administration dementiert hatte, dass Montesinos sich auf venezolanischem Territorium aufhalte.

Die plötzliche Feindschaft zwischen dem starken Mann des Fujimori-Regimes (1990 bis 2000) und der damaligen Clinton-Administration im Weißen Haus resultierte der New York Times zufolge aus einer fehlgeschlagenen Propagandakampagne von Montesinos. Unter Beihilfe peruanischer Militärs waren Waffen aus Jordanien an die kolumbianische Guerilla Farc, einen Erzfeind der US-Administration, geliefert worden. Montesinos wollte sich als derjenige darstellen, der die Auslieferung des größten Teils der Waffen vereitelt habe. Die Kampagne hatte einen kleinen Schönheitsfehler, denn die Profite aus diesem Waffendeal wanderten schließlich in die Taschen des ehemaligen Sin-Chefs.

Das war umso pikanter, als Montesinos lange mit der CIA zusammengearbeitet hatte. Seit Anfang der neunziger Jahre etwa hatte die CIA im peruanischen Geheimdienst Sin eine Anti-Drogeneinheit installiert. Kein Wunder ist es daher, dass Peter Kornbluh, Forscher beim National Security Archive von Washington, nunmehr davon ausgeht, dass »Funktionäre der US-amerikanischen Geheimdienst-Community aus Sorge über die Möglichkeit, dass Videobänder über ihre Treffen mit ihm existieren, viele schlaflose Nächte haben« werden.

Denn Montesinos verfügt über ein hervorragendes Mittel zu seiner Verteidigung: etwa 30 000 Videobänder, auch als »Vladivideos« bekannt, die noch immer nicht in die Hände der peruanischen Justiz gelangt sind, welche bislang nur etwa 2 000 aufspüren konnte. »Das wird ein Gemetzel werden. Ich habe seit 1990 Videos aufgenommen, in denen Unternehmer, Diplomaten, Nordamerikaner, Russen, Europäer auftauchen, wenn ich die herausziehe, wird eine internationale Krise entstehen«, meint Montesinos.

Mit Erpressung, der Wäsche von Einkünften aus dem Drogen- und Waffenhandel, Korruption und Mord habe Montesinos ein Vermögen von 264 Millionen Dollar angehäuft, enthüllt ein Bericht der konservativen peruanischen Zeitung El Comercio. 52 Prozesse und 140 Untersuchungsverfahren, in die 553 weitere Personen verwickelt sind, laufen in Peru derzeit gegen ihn.

Nun scheint der ehemalige Präsidentenberater zu Aussagen bereit zu sein. Seine ersten Erklärungen ließen auch seinen ehemaligen Chef Fujimori nicht aus, der aus Lima entkommen war, um nach Japan zu flüchten. Nach Montesinos Angaben war es der damalige Präsident, der ihm befahl, seine Treffen in den Niederlassungen des Sin aufzuzeichnen.

Folgt man dem Staatsanwalt José Ugaz, hat Montesinos nur drei Möglichkeiten: schweigen, kooperieren oder lügen. »In Anbetracht seiner Persönlichkeit ist es nicht sehr schwierig zu vermuten, dass er sich für eine Mischung aus diesen dreien entscheidet, auf der Suche nach der Lösung, die ihm am meisten nützt«, stellt Giovanna Penaflor, eine Kommentatorin der Wirtschaftszeitung Gestión, fest.

Die Neigung, in Montesinos die »Personifikation des Bösen« zu sehen, ist in Peru weit verbreitet. Roberto Lerner, Kolumnist derselben peruanischen Zeitung, hingegen betont in seinem Artikel vom 28. Juni: »Wir dürfen nicht übersehen, dass die peruanische Gesellschaft den Autoritarismus toleriert hat, der die Vereinnahmung aller ihrer Institutionen ermöglichte.«

Er fügt hinzu, dass »dieselben Institutionen und viele ihrer Repräsentanten mit einer korrupten und korrumpierenden Macht zusammenarbeiteten, sie verteidigten und ihre Existenz rechtfertigten. Dass die Instanzen zur Überwachung, Kontrolle und Überprüfung der Machtausübung bis auf ehrenwerte Ausnahmen überall ihre Augen hatten außer in den Büros des Sin. (...) Dass die qualifiziertesten Vertreter des Staates, die Unternehmerverbände und ihre bedeutendsten Autoritäten und Repräsentanten dazu neigen, bis heute vor der Macht auf die Knie zu fallen.«