Streit um Embargo gegen den Irak

Tote Esel treten besser

Die internationale Unterstützung für Sanktionen gegen den Irak nimmt ab. Die Kurden im Norden des Landes befürchten eine militärische Eskalation, die nur Saddam Hussein zugute käme.

Seit dem Scheitern der »intelligenten Embargopolitik« gegenüber dem Irak sieht sich die US-Regierung erneut genötigt, Konzepte für eine Veränderung der Situation im Irak vorzulegen. Eine gemeinsame Haltung zu den Sanktionen konnte der UN-Sicherheitsrat schon Anfang Juni nicht finden. Mittlerweile droht Russland offen mit einem Veto gegen den von der britischen Regierung vorgelegten Plan einer Revision des Embargos.

Der britisch-amerikanische Entwurf sieht vor, dem Irak freien Handel mit zivilen Waren zu erlauben, zugleich aber mit größerer Entschlossenheit gegen die Einfuhr so genannter dual use-Güter vorzugehen, jenem als zivil deklarierten Material, das die irakische Rüstungsindustrie zum Aufbau ihres chemischen und biologischen Arsenals benötigt. Die illegalen Geschäfte der Clique um Saddam Hussein - allein der Ölschmuggel mit den Nachbarländern bringt jährlich über zwei Milliarden Dollar ein - sollen durch legalen und damit kontrollierbaren Handel ersetzt werden.

Nachdem nun alle Versuche gescheitert sind, die europäischen Länder, Russland, China und die arabischen Staaten von diesen smart sanctions zu überzeugen, fällt die Irak-Politik der USA in jenen Zustand der Planlosigkeit zurück, der sich bereits beim Bombardement Bagdads im Februar dieses Jahres abgezeichnet hat (Jungle World, 10/01).

Ein guter Grund für Saddam Hussein, sich als Sieger zu feiern. Die smart sanctions, so verkündete er, seien »der letzte Tritt eines sterbenden Esels«. Deutlicher noch wurde der nach New York entsandte Sprecher des irakischen Außenministeriums Riyadh al-Qaysi, der vor der UN-Vollversammlung erklärte, ihre Verteter im Irak seien »vollgefressene Garfields«, die sich um die Fortpflanzung von Minenräumhunden im Nordirak mehr sorgten als um das Wohl irakischer Kinder. Seine Regierung werde sich auch in Zukunft vehement gegen alle »neokolonialen Eingriffe« zur Wehr setzen.

Gestärkt von seinem engsten Verbündeten Russland, kündigt Saddam Hussein einmal mehr den Showdown mit den USA an. Man erwarte, hieß es in der vergangenen Woche, eine »entscheidende Schlacht«. Die arabische Tageszeitung Al-Hayat meldete, der Irak habe zwei neue unterirdische Gebäudekomplexe fertig gestellt, wohin im Falle eines neuen Krieges wichtige Regierungsstellen verlegt werden sollen.

Seit einigen Monaten bereits verschärft die irakische Regierung den Konflikt mit den USA. Erneut werden die Patrouillenflüge vom irakischen Abwehrradar erfasst, weshalb amerikanische und britische Flieger die Radarstellungen unter Beschuss nehmen. Nachdem der Sicherheitsrat das so genannte Oil-for-Food Programm, das dem Irak Ölverkäufe unter UN-Aufsicht erlaubt, nur bis zum 3. Juli verlängert hatte, stellte das Regime Mitte Juni alle legalen Ölverkäufe ein. Der Versuch, auf diese Weise den Ölpreis in die Höhe zu treiben, ist zwar gescheitert. Iraks Nachbarländer Jordanien, Syrien und die Türkei aber, die größtenteils von irakischem Öl abhängig sind, betrachten die Entwicklung mit Sorge.

Nachdem das Scheitern des bisherigen Sanktionsregimes gegen den Irak deutlich geworden ist, wirbt Russland offen für eine Aufhebung des Embargos und die Abschaffung der Flugverbotszonen im kurdischen Nordirak und im mehrheitlich von Schiiten bewohnten Südirak. Frankreich und China setzen sich unter Vorbehalten für das gleiche Ziel ein, da sie ein berechtigtes Misstrauen gegenüber dem Regime hegen, das sich nur durch die Verletzung aller Vereinbarungen und Verträge am Leben halten kann.

In der vergangenen Woche meldete sich auch der Bundesverband der Deutschen Industrie zu Wort. Sein Hauptgeschäftsführer Ludolf von Wartenberg erklärte nach Angaben der FAZ unzufrieden, Deutschland würde heute für 270 Millionen Mark in den Irak exportieren. Dass es trotz der geltenden Sanktionsregelung mehr sein könne, zeige Frankreich, das für drei bis vier Milliarden Mark in den Irak exportiere. Im Handelsblatt sagte von Wartenberg, die Bundesregierung solle wieder einen deutschen Bortschafter nach Bagdad entsenden.

In der Region selbst bereiten sich vor allem die Türkei und der Iran auf einen Wandel vor. Wie dieser bei einer fortdauernden Herrschaft Saddam Husseins aussehen könnte, ist allerdings unklar. Zukunftsszenarien werden derzeit vor allem für den seit nunmehr zehn Jahren selbst verwalteten kurdischen Nordirak entworfen, den beide Länder als Freihandelszone nutzen und wo sie sich politisch einmischen. Die Region, die nach wie vor integraler Bestandteil irakischen Territoriums ist, könnte zum ersten Opfer der Rehabilitation des Bagdader Regimes werden, das an seinem Herrschaftsanspruch auf den Nordirak festhält. Nur durch eine Flugverbotszone geschützt, die sich über die Hälfte der Region erstreckt, fürchten die Kurden zu Recht, wieder einmal strategischen Interessen zum Opfer zu fallen.

Seitdem das irakische Flugabwehrsystem mit chinesischer Hilfe modernisiert wurde, haben die USA ihre Kontrollflüge über dem Gebiet drastisch eingeschränkt. Der Nordirak könnte nun auch Ansatzpunkt für eine neue Irak-Politik des US-Außenministeriums werden. Eine US-Delegation befindet sich derzeit in der Region, um über die Zukunft der kurdisch-amerikanischen Kooperation zu verhandeln. Dort haben sich die über Jahre verfeindeten irakischen Kurdenparteien unter Vermittlung der Türkei auf eine Zusammenarbeit geeinigt, die mit der Ausschaltung der PKK im Nordirak erkauft wurde.

Die Region wird so zu einem potenziellen Zentrum der Auseinandersetzung mit dem Irak. Vergangene Woche meldeten kurdische Medien aus dem Nordirak den Aufmarsch von 10 000 Soldaten der gefürchteten Republikanischen Garden. Sie sehen einen direkten Zusammenhang mit der Warnung Saddam Husseins vor einem neuen Krieg. Sollten irakische Truppen die Demarkationslinie überschreiten, wären die USA gezwungen, militärisch zu reagieren, ohne ein Mandat der UN zu besitzen. 1996 führte eine ähnliche Situation zu einer weitgehenden Diskreditierung der amerikanischen Schutzversprechen gegenüber den Kurden. Auf einen kurzfristigen Einmarsch irakischer Truppen in die Stadt Arbil reagierten die USA erst nach 48 Stunden, indem sie Militärstellungen im Zentralirak mit Marschflugkörpern beschossen.

Die Verabschiedung der smart sanctions würde die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation noch erhöhen. Saddam Hussein wäre dann, so der Publizist Eamad Mozori, des für seine internationale Rehabilitation wichtigsten Arguments beraubt, »dass das Leiden der irakischen Bevölkerung dem Embargo und nicht der Politik des eigenen Regimes geschuldet sei«. Eine Eskalation im Norden dürfte jede weitere Diskussion in den UN-Gremien verhindern, Saddam Hussein könnte weiterhin die internationale Unterstützung der amerikanischen Irak-Politik schwächen.

Auch im Iran ist die Diskussion über die zukünftige Entwicklung im Irak entbrannt. In führenden Zeitungen wird mittlerweile eine Schutzzone für Schiiten gefordert. Erstmals erklärte zudem der arabischen Zeitung Al-Zaman zufolge ein Beamter des iranischen Außenministeriums, der Iran würde einen eigenständigen kurdischen Staat auf bisher irakischem Territorium anerkennen. Der Iran arbeite an der notwendigen Aufteilung des Irak. Bislang hatte man in Teheran die »territoriale Integrität« des Irak nicht in Frage gestellt.

Wie die Türkei versucht der Iran, sich auf zwei gleichermaßen unerwünschte Möglichkeiten einzurichten: sowohl auf einen erstarkten Hussein wie auf eine von den USA gestützte kurdische Entität, die irgendwo zwischen einem Protektorat und einer Freihandelszone angesiedelt wäre.

Das wird die irakische Führung allerdings kaum akzeptieren. Dem Wiedereinmarsch irakischer Truppen würde eine kurdische Massenflucht folgen, die alle angrenzenden Länder destabilisieren könnte. So stehen die beiden Regionalmächte vor dem Dilemma, dass sie zwar das gegenwärtige Embargoregime ablehnen, zugleich aber fürchten müssen, dass ein rehabilitierter Saddam Hussein das instabile Kräfteverhältnis in der Region von Grund auf verändert.

Und wenn Saddam Hussein aus der momentanen Eskalation als Sieger hervorgehen sollte, wäre er zudem erneut ein unbestrittener Held der arabischen Massen in jenen Ländern, die noch Teil der zerfallenden Pax Americana im Nahen Osten sind.