Ziel ohne Weg

Die Niederlande wollen abgelehnten irakischen Flüchtlingen keine Unterstützung mehr gewähren.

Hier geht es um reine Schadensbegrenzung«, kommentierte eine holländische Flüchtlingshelferin die Anhörung im niederländischen Parlament zum kurdischen Nordirak, »und darum, dass sie nicht sagen können, sie hätten von nichts gewusst.« Dabei dürfte selbst diese nüchterne Einschätzung noch zu nachsichtig sein. Gerade eine Hand voll Abgeordnete war zugegen, um sich die Kritik von Experten am Lagebericht des holländischen Außenministeriums anzuhören, der den Nordirak als sichere Region zur Rückführung von Flüchtlingen bezeichnet.

Da Christ- und Sozialdemokraten die Anhörung boykottierten, ist die Annahme des Berichts durch das Parlament zur reinen Formsache geworden. Damit wird die ohnehin geringe Anerkennungszahl von irakischen Asylsuchenden gegen Null tendieren, während praktisch kein Abschiebeweg in den Nordirak existiert.

Flüchtlingsorganisationen und Kirchengruppen in den Niederlanden fürchten jetzt, dass bis zu 9 000 irakische Flüchtlinge bis Jahresende auf die Straße gesetzt werden könnten. Denn das seit April dieses Jahres in Kraft getretene neue Ausländerrecht sieht vor, Flüchtlingen nach der endgültigen Ablehnung ihres Asylantrags ihren Status und damit auch jeden Anspruch auf Unterstützung zu entziehen. Flüchtlinge, die nicht abgeschoben werden können, sind dann völlig von Kirchen und privaten Unterstützern abhängig. Deren Zufluchtstätten für Illegalisierte sind bereits jetzt überfüllt. Wer hier nicht unterkommt, so hoffen die Behörden, sucht woanders Schutz.

Die niederländische Politik könnte zum Vorbild für andere europäische Staaten werden. Irakische Flüchtlinge stellen die größte Gruppe der Asylsuchenden in nahezu allen europäischen Ländern und werden innerhalb der EU-Staaten seit 1998 als größter Problemfall behandelt. Damals wurde auf Drängen der deutschen Regierung ein Entwurf zur Bekämpfung von Flüchtlingen als erster so genannter Aktionsplan vom Europäischen Rat verabschiedet. Von den 46 Einzelpunkten des Papiers betrafen 40 repressive Maßnahmen an den Außengrenzen.

Einen Weg, um jene Iraker loszuwerden, die Europa bereits erreicht haben, sucht die EU seitdem vergebens. Denn solange der Nordirak als integraler Bestandteil des Landes jederzeit wieder unter die Kontrolle des Hussein-Regimes gelangen kann, lehnen die meisten Gerichte eine Rückführung ab. Die Türkei, die als Transitland für eine derartige Rückführung dienen müsste, verweigert zugleich jede Kooperation.

Die niederländische Regierung versucht nun, gleich beide Probleme zu lösen. So werden im Lagebericht des Außenministeriums über den kurdischen Nordirak die völkerrechtlichen Beschränkungen kurdischer Selbstverwaltung schlicht unterschlagen. Während das Ministerium seitenlang über die Kolonialgeschichte des Irak unter der Herrschaft König Faisals referiert, verschweigt der Bericht, dass die Region nach wie vor nicht international anerkannt wurde und keinerlei Schutzmechanismen vor dem Herrschaftsanspruch Saddam Husseins existieren. Die größte Gefahr, ein Wiedereinmarsch irakischer Truppen in die Region, wird nicht einmal erwähnt.

Damit knüpft das niederländische Außenminmisterium zugleich an die Politik des UNHCR an, das seine Haltung zum Nordirak in den vergangenen Jahren grundsätzlich geändert hat. Bezeichnete das Flüchtlingshilfswerk der UN noch Anfang 1998 die Region als extrem unsicher und verwehrte sich gegen deren Einstufung als »interne Fluchtalternative«, so erklärt ein aktueller Bericht des UNHCR an die EU den Nordirak im Einzelfall mittlerweile sogar als »sichere Rückkehrmöglichkeit«.

Der Umschwung wurde ermöglicht, indem die UN-Organisation neuerdings schlicht eines ihrer Kriterien zur Feststellung einer Fluchtalternative - ob eine Region dauerhaft besteht - unterschlägt. Seitdem sind auch in anderen europäischen Ländern die Anerkennungsquoten rapide gesunken. Selbst das britische Foreign Office, das für seine harte anti-irakische Haltung bekannt ist, bezeichnet den Nordirak mittlerweile als eine sichere Ausweichmöglichkeit.

Gegründet sind diese Analysen auf dem politischen Willen, sich der irakischen Flüchtlinge in Europa zu entledigen und dem Verzicht der UN-Organisation, auf internationalen Schutzmechanismen und rechtlicher Sicherheit für Flüchtlinge zu bestehen. 30 000 irakische Flüchtlinge möchte Großbritannien loswerden. Sie sollen zurückkehren, wenn sie sich sozial und ethnisch in die kurdische Gesellschaft im Nordirak integrieren lassen.

So funktioniert die gemeinsame europäische Politik gegenüber Flüchtlingen als komplementäres System, in dem sich EU und Nationalstaaten gegenseitig ergänzen. Während die EU als einer der wichtigsten Geldgeber des UNHCR diese Organisation zu immer weiteren Konzessionen an den Abschiebewillen der Gemeinschaft zwingt, schieben sich die Mitgliedsstaaten die Flüchtlinge gegenseitig zu.

Die Frage der Rückkehr, so hofft man jetzt in ganz Europa, klärt sich mit einem sinkenden sozialen Status von allein. Wer nicht freiwillig geht, soll ausgehungert werden. In Frankreich, wo Flüchtlingen erst mit dem Eintritt in das Asylverfahren Sozialleistungen zustehen, wird die Aufnahme des Verfahrens systematisch über Monate verzögert. Deutsche Behörden drohen abgelehnten Flüchtlingen, die sich weigern, in der irakischen Botschaft Papiere zur Ausreise zu besorgen, den Entzug der Sozialleistungen an. In England werden abgelehnte Iraker, die nicht freiwillig zurückkehren, interniert. In Griechenland und Italien sind die öffentlichen Parks zum letzten Zufluchtsort irakischer Flüchtlinge geworden. In Rom hält die Armenküche der katholischen Kirche sie am Leben.

Die niederländische Regierung hat diese Praxis nun legalisiert. Was genau allerdings dieser kurdische Nordirak sein soll, in den die Flüchtlinge zurückkehren sollen, weiß auch das Außenministerium in Den Haag nicht: »Es ist der Teil der Republik Irak, der von den kurdischen Parteien kontrolliert wird.« Doch dieser Teil könnte, wie einer der Länderexperten bei der Parlamentsanhörung lakonisch kommentierte, »vielleicht morgen schon nur noch ein schmaler Streifen entlang der Grenze zur Türkei sein, über die die Bevölkerung gerade zu fliehen versucht.«