Heß-Gedenkmarsch in Wunsiedel

Dem Märtyrer folgen

Erstmals seit Jahren planen Neonazis eine Großdemonstration zum Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß.

Als sich Rudolf Heß am 17. August 1987 im Kriegsverbrecher-Gefängnis der Alliierten in Berlin-Spandau nach 46jähriger Haftzeit das Leben nahm, setzte sofort die Legendenbildung um den ehemaligen Stellvertreter Adolf Hitlers ein. Der »Mythos Heß« geistert seither durch die deutsche Neonazi-Szene: »Rudolf Heß - Das war Mord«, »Märtyrer für den Frieden«, »deutscher Märtyrer«; derartige Propaganda-Parolen verbreiten extreme Rechte bis heute an Heß' Todestag in vielen Orten Deutschlands.

Auch in diesem Jahr machen die deutschen Neonazis aus diesem Anlass mobil. Am 18. August planen sie einen Aufmarsch in der bayerischen Kleinstadt Wunsiedel, dort, wo Heß nach seinem Selbstmord begraben wurde. Zuletzt waren 1991 rund zweitausend Alt- und Neonazis »zum Gedenken« durch die Stadt marschiert.

In der vergangenen Woche jedoch hat der sozialdemokratisch regierte Landkreis Wunsiedel die vom Hamburger Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger angemeldete Gedenkkundgebung und den anschließenden »Trauermarsch« verboten. Die Behörden argumentieren mit einer antifaschistischen Demonstration, zu der unter anderem die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und unabhängige Antifa-Gruppen aufrufen. In der Kleinstadt im Fichtelgebirge könne ein Zusammentreffen beider Demos nicht verhindert werden. Außerdem würde mit dem rechten Aufmarsch nationalsozialistisches Gedankengut verbreitet.

In Mecklenburg-Vorpommern hingegen scheinen die zuständigen Behörden im tiefsten Sommerloch zu schlummern. Eine von Freien Kameradschaften angemeldete Ausweichdemonstration in Hagenow, die ebenfalls am 18. August unter der unverfänglichen Parole »Meinungsfreiheit statt politische Verfolgung« angemeldet wurde, ist nach wie vor genehmigt.

Im Landratsamt Wunsiedel gibt man sich derweil optimistisch, dass das Verbot auch vor Gericht Bestand haben wird. Das war nicht immer so. Das Bayreuther Verwaltungsgericht und der Bayerische Gerichtshof hatten 1988 ein Verbot des ersten Heß-Aufmarsches wieder aufgehoben. Damals waren nur 150 Nazi-Kader aus Westdeutschland unter großem Medieninteresse durch den Ort gezogen. Schon im folgenden Jahr gingen rund 1 000 Neonazis aus Ost- und Westdeutschland durch die engen Straßen Wunsiedels, 1991 schafften es doppelt so viele in den Ausweichort Bayreuth.

Die autonome Antifa brachte zwar in beiden Jahren viele Gegendemonstranten auf die Straße, doch sie wurden von der Polizei bedrängt. 1992 konnten auf dem Höhepunkt der ersten Welle neonazistischer Gewalt in Deutschland 2 000 Neonazis im nahe gelegenen thüringischen Rudolstadt unter der wohlwollenden Aufsicht eines Dutzend Streifenbeamter für Hitlers Stellvertreter demonstrieren, während das bayerische USK (Unterstützungskommando) in Hof die antifaschistische Demonstration angriff.

Auch in den folgenden Jahren gehörte zu den Heß-Mobilisierungen, die immer mehr zu einer Schnitzeljagd zwischen Neonazis, Antifas und Polizisten wurden, ein gehöriges Maß an Kumpanei zwischen Rechtsextremisten und den örtlichen Polizeibehörden. So musste der damalige Innenstaatsekretär von Hessen 1993 seinen Hut nehmen, weil die hessische Polizei einen Aufmarsch in Fulda mit 500 Neonazis nicht nur geduldet, sondern die Anführer regelrecht hofiert hatte. Auch bei den Neonazi-Aufmärschen 1996 im rheinland-pfälzischen Worms und im sachsen-anhaltinischen Merseburg schaute die Polizei dezent zur Seite. 1994 und 1995 wichen deutsche Neonazis ins dänische Roskilde aus - zur Freude dortiger AntifaschistInnen und auch einiger BürgerInnen, die den internationalen Neonazi-Aufmarsch verhindern konnten.

Erst Ende der neunziger Jahre schien das Gedenken angesichts zahlreicher Versammlungsverbote erstmals seine Attraktivität für die Szene verloren zu haben. Regionale Kleinaufmärsche um Mitternacht, Holzkreuze an verlassenen Landstraßen oder Plakatklebeaktionen waren alles, was die Neonazis zustande brachten. Selbst zu Ausweichveranstaltungen in Skandinavien ließ sich nicht einmal mehr der harte Kern der Neonazi-Szene mobilisieren.

Doch in diesem Jahr soll alles anders werden. Die Internetseiten der Freien Kameradschaften sind voller Heß-Fotos, auch Aufrufe zur Demonstration in Wunsiedel finden sich dort. Um die staatlichen Verbotsmaßnahmen zu umgehen, wird zu Spontankundgebungen und Plakataktionen aufgerufen. Außerdem werden die Kameraden aufgefordert, einen Anzeigentext, den Wolf-Rüdiger Heß, ein unermüdlicher Vertreter der These vom Mord an seinem Vater, verfasst hat, in Regionalzeitungen zu schalten.

Der Grund für die erneute Großmobilisierung ist offensichtlich: Seit über einem Jahrzehnt werden die Aktionen vom immer gleichen Personenkreis aus der Struktur der NS-Vorfeldorganisation Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) organisiert. Dazu gehören die Hamburger Neonazikader Christian Worch und Thomas Wulff, die heute als führende Köpfe der so genannten Freien Kameradschaften fungieren.

In dem sich zuspitzenden Machtkampf zwischen den Freien Kameradschaften und der NPD wollen die »Freien« die Oberhand behalten. Und das scheint ihnen momentan auch zu gelingen. Den Streit um die Neonazimobilisierungen zum 1. September in Greifswald und Leipzig, mit denen der Wehrmachtsangriff auf Polen und die Kriegsschuld Nazideutschlands geleugnet werden sollen, haben die Kameradschaften bereits gewonnen. Die NPD hat eine eigene Kundgebung in Weimar mittlerweile abgesagt und will ebenfalls in Leipzig demonstrieren. Dort wollen Christian Worch, der ehemalige NF-Aktivist Steffen Hupka und zwei ehemalige Waffen-SS-Mitglieder mal wieder am Völkerschlachtdenkmal demonstrieren.

Den Anfang der diesjährigen Aktivitäten zum Gedenken an Heß machte derweil die selbst ernannte Neonazi-Avantgarde im dänischen Hillerød. Dort marschierten Mitglieder des internationalen Blood & Honour (B & H)-Netzwerks in der vergangenen Woche auf. Ganz vorne mit dabei: Die deutschen B&H-Kameraden, deren Organisation nach Angaben von Bundesinnenminister Otto Schily gar nicht mehr existieren dürfte.