Krise beim Energiekonzern Enron

Die Rente ist sicher weg

Bei Enron, dem größten Energiekonzern der USA, haben sich die auf Aktien basierenden Betriebsrenten in Luft aufgelöst. Nun stehen auch noch Ermittlungen wegen Spenden für den Wahlkampf von George W. Bush an.

Da haben sie schon den Präsidenten der USA in der Tasche und gehen trotzdem Pleite, möglicherweise. Die Rede ist von Enron, dem größten Energiekonzern der USA. Die nur 15jährige Geschichte des Unternehmens liest sich, bis zum Herbst 2001 jedenfalls, wie ein kapitalistisches Märchen. 1986 entstand Enron aus einer Verschmelzung von Houston Natural Gas, einem Erdgasproduzenten, und Internorth Inc., ebenfalls im Energiegeschäft tätig. Der Firmensitz liegt in Houston, Texas. Seit seiner Gründung wird der Konzern von dem in Missouri geborenen Kenneth Lay geleitet, einem Freund der Familie des US-Präsidenten George W. Bush.

Lay konnte mit seiner damals innovativen Investmentstrategie und aggressivem Marketing das eher gemütliche Erdgasunternehmen zum größten Energielieferanten der USA machen. Die Geschäftsbereiche von Enron umfassen heute den Betrieb von Pipelines, die Erzeugung von Elektrizität und deren Verkauf hauptsächlich im Nordwesten der USA, Finanzdienstleistungen, die Entwicklung und den Bau von Kraftwerken und Pipelines in aller Welt. Die Erdgasförderung, das ursprüngliche Kerngeschäft, wird mittlerweile von Tochterunternehmen und kleineren Drittparteien geleistet.

Enron ist der Energiekonzern, der im vergangenen Jahr am meisten in die Kampagnen der Republikanischen Partei investiert hat. Allein in den Präsidentschaftswahlkampf flossen etwa 50 Millionen Dollar. Im August 2000 erreichte die Aktie Enron ihren Höchststand von fast 85 Dollar. Allein an der Energiekrise in Kalifornien hat Enron Milliarden verdient. Trotzdem liegt der Börsenwert des Unternehmens jetzt bei etwa einem Zwanzigstel des Höchstwertes des vergangenen Jahres. Der Konzern steckt in erheblichen Schwierigkeiten, und diese haben mit dem 11. September nichts zu tun.

Nicht nur das Unternehmen, auch seine Mitarbeiter haben Trouble. Ihnen hatte die Unternehmensleitung angeboten, die Betriebsrente teils in Geld, teils in Aktien auszuzahlen. Der so genannte 401(k)-Plan galt angesichts der enormen Preissteigerung der Enron-Aktie in den vergangenen Jahren als Erfolgsmodell. Er wirkte so erfolgreich, dass viele Arbeiter und Angestellte des Unternehmens weit mehr Geld in Enron-Aktien anlegten, als es die in Arbeitsverträgen festgeschriebenen Pflichtanteile erforderten.

Bei Portland General Electric, einem vor vier Jahren gekauften Tochterunternehmen, traf es die Angestellten besonders hart. In Einzelfällen haben sich bis zu 900 000 Dollar in Luft aufgelöst, einige Familien stehen kurz vor der Rente plötzlich mit leeren Händen da.

Selbst schuld, möchte man meinen, das Risiko von Aktiengeschäften ist ja hinreichend bekannt. Ein Beispiel für die Risiken von aktienbasierten Betriebsrenten hatte im vergangenen Jahr der High-Tech-Riese Lucent Technologies geliefert. Bei Enron kommen allerdings noch einige Unregelmäßigkeiten hinzu, auf die die Mitarbeiter keinen Einfluss hatten. Die Nachrichten, die den Konzern in die Schlagzeilen brachten, waren nicht mehr Preisverleihungen an die Unternehmensleitung von irgendwelchen Managerzeitungen. Vielmehr kam heraus, dass ein umstrittenes Staudammprojekt in Indien, von Enron geplant, nicht nur ökologisch, sondern auch finanziell höchst bedenklich ist. Die Environmental Protection Agency, die Umweltschutzbehörde der US-Regierung, ermittelt zurzeit gegen die Enron-Tochter EOTT wegen von undichten Erdgaspipelines verursachter Umweltverschmutzung.

Enron hätte sich eigentlich bis zum 7. November zu den Vorwürfen äußern müssen, erhielt aber noch einen Aufschub bis zum 31. Januar. Außerdem ermittelt die Securities and Exchange Commission, eine Finanzaufsichtsbehörde, gegen Enron - wegen fauler Kredite. Der Geschäftsführer für Finanzen, Andrew Fastow, musste am 24. Oktober das Unternehmen verlassen.

Am 17. Oktober fror die Konzernleitung die Aktienbestände des 401(k)-Plans ein, die Angestellten konnten ihre Aktien nicht mehr abstoßen. Dann wurden die Nachrichten noch schlechter. Am 8. November machte die Meldung die Runde, dass der kleinere Konkurrent Dynegy, ebenfalls in Houston ansässig, plane, Enron aufzukaufen und die 12,8 Milliarden Dollar Schulden übernehmen wolle. Das Image von Enron litt weiter.

Als in der vergangenen Woche auch noch herauskam, dass die Buchhaltung des Unternehmens, schon immer bestenfalls undurchsichtig, auch noch schlicht betrügerisch ist, war das Ende der Fahnenstange erreicht. Nun droht der Bankrott, Dynegy will die Übernahme noch einmal überdenken. Enron veröffentlichte Daten, aus denen hervorgeht, dass die Schulden des Unternehmens um 690 Millionen Dollar höher sind als bisher bekannt, die Gewinnerwartungen hingegen um 600 Millionen Dollar niedriger. Enron plant nun eine Umstrukturierung seiner Minderheitsbeteiligungen an einigen Pipelines, um an neue Kredite zu kommen. Die Investoren, allen voran das Bankenkonsortium Citigroup, müssen abwägen, ob sie mit Krediten einen Totalverlust vermeiden können oder lieber kein Geld mehr in den maroden Riesen stecken wollen.

Für die Angestellten und ihre Betriebsrente kommt aber jede Hilfe zu spät. Auch wenn Enron jetzt von Dynegy übernommen wird, werden die Aktienkurse so bald nicht wieder steigen. Doch wegen des Einfrierens der Aktienbestände im 401 (k)-Plan haben sie jetzt Klage gegen die Unternehmensleitung eingereicht. Die Begründung: Eine Aktiengesellschaft ist stets verpflichtet, im besten Interesse ihrer Aktionäre zu handeln. Das Einfrieren des 401(k)-Plans stellt nach Auffassung der Kläger eine Missachtung dieser Verpflichtung dar.

Vertreten wird die Klage von Steve W. Berman. Der Anwalt hat bereits mehrere Staaten der USA erfolgreich bei Klagen gegen Tabakkonzerne vertreten. Kenneth Lay meinte zwar in der vergangenen Woche gegenüber der New York Times, das Einfrieren von 401(k) am 17. Oktober sei lediglich ein Fall von »sehr ungünstigem Timing«. Angesichts der Aktienverkäufe von Lay und anderen Managern im vergangenen und zu Beginn dieses Jahres erscheint seine Version jedoch zumindest fragwürdig.

Am Wochenende stellte sich dann heraus, dass der Skandal um Enron noch weitere Kreise ziehen könnte. Die Wirtschaftsprüfungsfirma Arthur Andersen, die bis vor etwa einem Jahr als »Gewissen der Industrie« bekannt war, hatte die falschen Bilanzen abgesegnet. Ob die Firma Andersen nun ihrerseits vom Enron-Management getäuscht wurde, muss noch untersucht werden. Gegen Andersen wird bereits wegen Bilanzfälschung ermittelt, allerdings in einem anderen Fall, dem der Recyclingfirma Sunbeam.

Auch die Regierung der USA scheint stärker in den Fall Enron involviert zu sein, als es auf den ersten Blick aussieht. Der Kolumnist Frank Rich von der New York Times schreibt, die »Arbeitsgruppe Energie« des Vizepräsidenten Richard Cheney sei vor einigen Monaten vom General Accounting Office (entspricht in etwa dem Bundesrechnungshof) verklagt worden, den Inhalt der Absprachen mit den Finanziers des Bush-Cheney-Wahlkampfes offen zu legen.

Die Wirtschaftsmeldungen aus den USA sind in letzter Zeit recht widersprüchlich, insbesondere seit dem 11. September. Einige Experten sprechen von einer bevorstehenden oder bereits eingetretenen Rezession, andere von einer baldigen Erholung von den Folgen der Terroranschläge. Der Fall Enron zeigt, dass auch ohne Terroranschläge der Akkumulationsprozess nicht mehr so reibungslos funktioniert, wie es noch vor zwei oder drei Jahren den Anschein hatte.

Angestellte, die aus ihrer Rentenkasse 900 000 Dollar verlieren können, gehören sicherlich nicht zu den Ärmsten der Armen in den USA, auch nicht nach ihrem Verlust. Der Fall Enron aber macht deutlich, dass die Krise auch nicht vor den Gewinnern des Booms Halt macht. Auch einige Pensionäre von Enron, Lucent Technologies oder anderen gestürzten Riesen könnten in den kommenden Jahren von der staatlichen Rentenkasse Social Security abhängig werden. Viel wichtiger sind die sozialen Sicherungssysteme für die mittlerweile offiziell 5,9 Prozent Arbeitslosen in den USA. Für sie dürfte sich in den kommenden Jahren die systematische Demontage dieser sozialen Sicherungssysteme unter Reagan, Bush senior und Clinton bitter rächen.